Noch gibt es gegen die Lungenkrankheit Covid-19 kein wirklich vielversprechendes Medikament. Selbst zum Wirkstoff Favipiravir, den die deutsche Bundesregierung gerade im großen Stil einkauft, finden sich bislang keine überzeugenden Daten. Doch während Forschende weltweit nach wirksamen Mitteln suchen, könnte eine Therapie schon bald zehntausendfach zur Verfügung stehen: Antikörper von Patientinnen und Patienten, die die Infektion überstanden haben. In Deutschland, schätzt das Robert Koch-Institut, haben bisher schon mehr als 21.000 Menschen die Krankheit hinter sich und gelten als genesen. Ob ihr Blutplasma Infizierten helfen könnte, wollen Wissenschaftler in Deutschland nun prüfen. 

Ziel ist, mit dem Plasma von Genesenen sowohl Patientinnen und Patienten zu behandeln, die leicht an Covid-19 erkrankt sind – als auch jene mit schweren Verläufen. "Damit eine Heilung eintritt, die Menschen kürzer beatmet werden müssen oder sie im Idealfall gar nicht erst schwer erkranken", sagt Rainer Blasczyk, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering an der Medizinischen Hochschule Hannover, im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Blasczyks Klinik ist eine von mehreren, in denen in den kommenden Wochen die deutschlandweit erste kontrollierte Studie mit dem Plasma der Covid-19-Genesenen starten soll.

Die Idee dahinter ist recht simpel: Steckt sich jemand mit dem neuen Coronavirus an, bildet sein Immunsystem passgenaue Antikörper, die den Erreger im besten Fall neutralisieren. Auch wenn das Virus besiegt und nach einer Weile aus dem Körper verschwunden ist, bleiben die Antikörper erhalten. Sie schwimmen im Blutplasma und bilden eine Art Immungedächtnis. Das wollen Forscher wie Blasczyk nun ausnutzen – anzapfen, um genau zu sein. Sie wollen Plasma von Patienten gewinnen, die die Krankheit durchgemacht haben, und es Infizierten spritzen. Deren Körper bekommt damit beim Kampf gegen das Virus Unterstützung. Man spricht von einer passiven Immunisierung, weil der Körper der Patienten – im Gegensatz zu einer Impfung – dadurch nicht selbst lernen muss, die Antikörper herzustellen, sondern sie sozusagen geschenkt bekommt.

Der "Retter der Kinder"

Dieses Prinzip ist nicht neu. Emil von Behring bekam dafür 1901 sogar den ersten Nobelpreis für Medizin. Ende des 19. Jahrhunderts hatte er Kindern, die an Diphtherie erkrankt waren, das Blutserum von Tieren gespritzt, die er vorher künstlich gegen die Krankheit immun gemacht hatte. Dieses "Behring'sche Gold" löste den Luftröhrenschnitt als klassische Behandlung der Diphtherie ab, die Presse pries Behring seinerzeit als "Retter der Kinder". 

Seitdem setzten Ärztinnen und Ärzte inmitten von Krankheitsausbrüchen immer wieder auf die Methode, wohl erstmals während der Influenza-Pandemie 1918, der "Spanischen Grippe". Wie gut sie damals gewirkt hat, lässt sich heutzutage nicht mehr genau nachvollziehen. In einer 2006 veröffentlichten Metaanalyse an 1.703 Grippepatienten jedenfalls kommen Forscher zu dem Schluss, dass das Plasma von Genesenen die Fallsterblichkeit bei Influenza-Infizierten mit Lungenentzündung um ganze 21 Prozentpunkte gesenkt haben könnte (Annals of Internal Medicine: Luke et al., 2006). Auch während der Sars-Epidemie 2002/2003, beim Ausbruch der "Schweinegrippe" 2009 und bei der Ebola-Epidemie in Westafrika verabreichten Mediziner Infizierten das Serum Genesener. "Plasma wird eingesetzt, weil es naheliegend ist, dass es wirkt, und Plasma zudem sehr nebenwirkungsarm ist", sagt Rainer Blasczyk.

In den USA ist Genesenenplasma schon zugelassen

So war es auch bei der aktuellen Pandemie. Schon recht früh schlugen Wissenschaftler in Ermangelung von wirksamen Medikamenten vor, eine Therapie mit dem Plasma von Genesenen zu versuchen (Lancet Infectious Diseases: Chen et al., 2020). Erst gab es nur Fallberichte. Kürzlich aber veröffentlichten Mediziner aus dem chinesischen Shenzhen eine kleine Pilotstudie. Sie verabreichten fünf kritisch kranken, beatmeten Covid-19-Patienten jeweils 400 Milliliter Plasma, das sie am selben Tag aus dem Blut von Genesenen gewonnen hatten. Bei vier von ihnen verschwand das Fieber innerhalb von drei Tagen, bei allen ging die Viruslast zurück und auch diverse klinische Kenngrößen verbesserten sich. Bis zum Ende der Studie konnten drei der fünf Patienten aus dem Krankenhaus entlassen werden (JAMA: Shen et al., 2020). Ähnliches berichtet eine andere Forschungsgruppe in einer Studie mit zehn Patienten, die allerdings noch nicht von Experten begutachtet wurde (Medrxiv: Duan et al., 2020). In den USA ist die Methode seit dem 26. März zur Behandlung schwer kranker Covid-19-Patienten zugelassen – trotz der unsicheren Studienlage. Denn zwar stimmen die genannten Ergebnisse vorsichtig positiv. Aber valide Studien mit einer Kontrollgruppe fehlen bisher. Nur diese würden es ermöglichen, herauszufinden, ob sich die Effekte wirklich auf das Plasma zurückführen lassen. 

Genau das soll nun in Deutschland im Rahmen der Studie CAPSID geschehen, an der auch Blasczyks Hannoveraner Klinik teilnehmen wird. An mehr als einhundert schwer erkrankten Covid-19-Patienten wollen Wissenschaftler erproben, ob die Fremd-Antikörper den Krankheitsverlauf beeinflussen. "Damit Patienten in die Studie eingeschlossen werden können, muss ihre Atmung deutlich beeinträchtigt sein", sagt der Ulmer Transfusionsmediziner Hubert Schrezenmeier, der die Studie zusammen mit Erhard Seifried aus Frankfurt ins Leben gerufen hat. Auch Patienten, die schon auf einer Intensivstation liegen und beatmet werden, sollen teilnehmen können. Nach einer definierten Zeit wird dann überprüft, ob die Patienten, die Plasma erhalten haben, einen besseren Verlauf erleben als die Kontrollgruppe. Derzeit liege der Studienantrag bei den Genehmigungsbehörden. Schrezenmeier hofft, dass es bald losgehen kann.