Ein günstiger Ausgangspunkt für Schwellenländeranleihen?

6 min zu lesen 14 März 24

Nach einer soliden Entwicklung im Jahr 2023 bleiben die Aussichten für Schwellenländeranleihen vielversprechend. Ein günstiges makroökonomisches Umfeld und die anhaltende Lockerung der Geldpolitik sollten die Anlageklasse stützen, sagt Claudia Calich, Head of Emerging Markets Debt bei M&G Investments. Doch es gibt viele Unsicherheitsfaktoren, darunter die wahlbedingte Volatilität: Milliarden von Menschen werden 2024 die Möglichkeit haben, ihre Stimme abzugeben. Investoren sollten daher selektiv vorgehen, um attraktive Chancen zu finden, so Claudia Calich.

2023 war ein hervorragendes Jahr für Schwellenländeranleihen. Wie viele andere Finanzanlagen auch legten sie zum Jahresende eine kräftige Rallye hin: Das Mantra des „längerfristig höhere Zinsen“ war schnell der Erwartung gewichen, dass die meisten Zentralbanken der Industrieländer bis Mitte 2024 Zinssenkungen einleiten würden. Die Gewinne im November und Dezember sorgten für die höchsten Zwei-Monats-Renditen des JP Morgan EM Government Debt Index seit der globalen Finanzkrise.1

„Wir sind aus mehreren Gründen optimistisch, was die Aussichten für Schwellenländeranleihen und -währungen für das laufende Jahr betrifft.“
 

Die Renditen im letzten Jahr waren fulminant: Staatsanleihen der Schwellenländer (EM) in Lokal- und Hartwährungen stiegen um 13 % bzw. 11 %.2 Damit haben sich die Chancen in bestimmten Bereichen der Anlageklasse etwas eingetrübt – besonders bei hochverzinslichen und notleidenden Krediten. Wir sind jedoch aus mehreren Gründen optimistisch, was die Aussichten für Schwellenländeranleihen und -währungen für das laufende Jahr betrifft. Allerdings gehen wir davon aus, dass Kuponerträge (Carry) 2024 eine größere Rolle spielen werden als Kapitalzuwachs.

Günstiges makroökonomisches Szenario

Die Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften im Angesicht höherer Zinsen hat 2023 viele Investoren überrascht. Mit Blick auf 2024 ist unser makroökonomisches Basisszenario günstig: Die Inflation ist in den meisten Volkswirtschaften zurückgegangen, und die Zentralbanken haben ihre Geldpolitik gelockert – oder werden dies bald tun. Das Wirtschaftswachstum hat sich zwar teilweise verlangsamt, eine Rezession könnte sich jedoch vermeiden lassen. Während zu Beginn des Jahres 2023 allgemein mit einer Rezession gerechnet wurde, wuchs gegen Ende des Jahres die Überzeugung, dass die großen Volkswirtschaften auf eine „sanfte Landung“ zusteuern: Mit einer zurückgehenden Inflation, ohne dass die Wirtschaftstätigkeit beeinträchtigt wird. 

Die Märkte haben diese Einschätzungen unserer Ansicht nach jedoch bereits weitgehend eingepreist. Bleibt die Inflation „hartnäckiger“, könnten die Zentralbanken die Zinssätze jedoch weit weniger senken als derzeit erwartet. Gegenwärtig deuten die Marktpreise auf US-Zinssenkungen von über 100 Basispunkten hin.3 Dies würde wahrscheinlich steigende Anleiherenditen nach sich ziehen, da sich Anleiherenditen und Kurse in entgegengesetzte Richtungen bewegen. Alternativ dazu könnte es unserer Meinung nach zu einer stärkeren Konjunkturabschwächung kommen. Dies würde eine Ausweitung der Spreads und niedrigere Aktienkurse begünstigen, jedoch eine weitere Erholung der Kernstaatsanleihen nahelegen. (Die Spreads spiegeln die Differenz zwischen der Rendite von Schwellenländeranleihen und entsprechenden US-Staatsanleihen.)

Tendenz zur Desinflation 

Das EM-Universum bleibt eine der breitesten und am stärksten diversifizierten Anlageklassen im Bereich der festverzinslichen Wertpapiere. Es bietet eine Diversifizierung nach Regionen, Ländern, Sektoren, Währungen und Rohstoffen. Heute weist es zudem aus Sicht des wirtschaftlichen und geldpolitischen Zyklus eine hohe Disparität auf. 

In den vergangenen Jahren haben die meisten Zentralbanken der Schwellenländer die Leitzinsen sehr schnell erhöht – angesichts der hohen Inflation. Damit haben sie den Preisauftrieb weitgehend eingedämmt. Diese Zentralbanken konnten daher ihre Zinssenkungszyklen als erste einleiten, wobei Lateinamerika 2023 den Anfang machte. Die brasilianische Zentralbank senkte die Zinssätze Ende letzten Jahres viermal. Zudem deutete sie weitere bevorstehende Zinssenkungen an.4

In Asien fiel die Inflation geringer aus, was eine moderatere Geldpolitik ermöglichte. In den EM sollten wir die kurzfristigen Inflationsfaktoren auch künftig nicht übersehen; im Gesamtbild gehen wir jedoch von einer Desinflation aus. Dies könnte insgesamt als günstig für die Anlageklasse angesehen werden: Die realen (inflationsbereinigten) Einkommen werden steigen, wenn die Inflation nachlässt. Und die Renditen der Schwellenländeranleihen werden bei sinkenden Zinsen wahrscheinlich nachgeben. 

Für 2024 erwarten wir jedoch eine Verlangsamung der Desinflation: Die wichtigsten Einflussfaktoren wirken nicht mehr in dem Maße wie 2023. Die Energie- und Lebensmittelpreise beispielsweise werden wahrscheinlich weniger stark helfen als im letzten Jahr, da die Inflation im Dienstleistungssektor auf dem aktuellen Niveau hartnäckiger ist. Die meisten Märkte preisen Zinssenkungen in einer Bandbreite von 100 bis über 400 Basispunkten ein. Daher glauben wir, dass die Chancen selektiver und datenabhängiger sein werden als bei der allgemeinen Anleihenrallye des Jahres 2023. 

Erhöhte Renditen

Die Renditen in den Schwellenländern sind im Vergleich zu ihren Höchstständen während des coronabedingten Ausverkaufs 2020 nach wie vor hoch – trotz der Jahresendrallye 2023. Allerdings sind die Spreads aufgrund der Entwicklung der US-Staatsanleihen geringer als im historischen Vergleich. Angesichts des Spielraums für eine weitere Verengung der Spreads lautet unsere Einschätzung: Die Schwellenländeranleihen bieten auf kurze Sicht Aufwärtspotenzial, besonders angesichts des prognostizierten Absinkens der US-Zinsen auf 3,6 % bis Ende 2025.5 

Innerhalb der Schwellenländer gibt es ebenfalls erhebliche Renditeunterschiede zwischen Titeln mit Investment-Grade (IG) und High-Yield (HY). Das gilt besonders im Bereich der staatlichen Hartwährungen, was Anlegern potenzielle Chancen eröffnet. Tail-Risiken lassen sich in einem EM-Portfolio nicht ausschließen; Diversifizierung bleibt jedoch angesichts potenzieller Phasen mit Kursrückgängen wichtig. 

Ein Jahr der Kuponerträge 

Wir haben den Markt für staatliche Hartwährungen genauer unter die Lupe genommen. Unserer Ansicht nach werden überdurchschnittliche Renditen von Hochzins- und notleidenden Anleihen wie 2023 wahrscheinlich nicht wiederkehren. Anleihen aus Venezuela, El Salvador, Pakistan und Sri Lanka beispielsweise erzielten damals Renditen zwischen 70 % und 150 %. Inzwischen liegen die Anleihekurse jedoch im Bereich von 60-80 %. Ähnliche zukünftige Renditen würden diese Titel in die Nähe des Nennwerts bringen, also des vereinbarten Rückzahlbetrags bei Fälligkeit. Dieses Niveau entspräche in etwa einem BB-Rating, wovon diese Titel weit entfernt sind. Im vergangenen Jahr verzeichneten 15 Länder eine Gesamtrendite von über 15 %.

Auf der anderen Seite gab es nur eine Handvoll Emittenten, die 2023 sehr schlecht abschnitten; darunter waren Bolivien und Ecuador. Dies begrenzt die Zahl der notleidenden Kredittitel, die 2024 eine Rendite von 50 % oder mehr erzielen könnten. Daher gehen wir davon aus, dass Einnahmen aus den Kupons (Carry) 2024 wichtigere Renditequellen sein werden als Kursanstiege.

Die Spreads von Staatsanleihen in Hartwährung sind sehr unterschiedlich. Unserer Ansicht nach bieten IG-Kredite nur begrenzte Möglichkeiten für eine Spread-Einengung. Die Spreads sind bereits so gering wie seit vielen Jahren nicht mehr. 

Im Gegensatz dazu sind die HY-Spreads sehr groß: Nur in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie und der Weltfinanzkrise waren sie noch größer. In diesem Bereich sehen wir potenzielle Chancen. 

Viele der Länder mit einem B-Rating und darunter werden jetzt zu einstelligen Renditen gehandelt. Sie werden also wieder Zugang zum Markt haben – ein unterstützender Faktor. Nach einem Jahr mit nur einem einzigen Staatsbankrott (Äthiopien) ist es unwahrscheinlich, dass diese Zahl signifikant steigen wird, wenn sich das aktuelle wirtschaftliche Umfeld nicht drastisch verändert.  

Chancen in Lokalwährungsanleihen

Was den Markt für lokale Währungen angeht, so sehen wir viele attraktive Möglichkeiten, selbst auf Carry-Basis. Die meisten Lokalwährungsanleihen blieben hinter der jüngsten Rallye der US-Staatsanleihen zurück. Das gilt etwa für mexikanische Staatsanleihen in Landeswährung (Bonos): Aufgrund der engen Verbindung zwischen den beiden Volkswirtschaften korrelieren sie in der Regel stark mit den US-Renditen. Derzeit jedoch rentieren sie mehr als 5 % über vergleichbaren US-Staatsanleihen. Zudem weisen sie eine geringere historische Renditevolatilität auf, da die Volatilität der US-Staatsanleihen in den letzten sechs Monaten sehr hoch war. 

Es ist bemerkenswert, dass die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen das Jahr bei 3,9 % beendete. Das ist fast genau dasselbe Niveau wie am Jahresanfang – trotz der sehr großen Schwankungen in der zweiten Jahreshälfte.6

Da in beiden Ländern im Jahr 2024 Wahlen anstehen, ist es zweifellos schwieriger, den Ausgang der US-Wahl und die sich daraus ergebende politische Ausrichtung vorherzusagen als den Ausgang der mexikanischen Wahl.

Widerstandsfähige Fundamentaldaten der Unternehmen

Im Hinblick auf die Unternehmensverschuldung in den Schwellenländern sind wir der Ansicht, dass die Fundamentaldaten der Unternehmen gut sind. Die Unternehmen in den Schwellenländern sind – sowohl im IG- als auch im HY-Segment – deutlich weniger verschuldet als ihre Pendants in den entwickelten Märkten. Die daraus resultierende Widerstandsfähigkeit hat den Unternehmen in den Schwellenländern wohl geholfen. Dies gilt trotz des Anstiegs der erwarteten Ausfälle, besonders bei den am höchsten verschuldeten Emittenten. Eine solche Entwicklung würden wir in der aktuellen Phase des Zyklus auch erwarten. 

Davon abgesehen wird die Ausfallrate bei HY-Unternehmensanleihen zu Ende 2023 bei rund 3 % liegen. Die Ausfälle in Russland, der Ukraine und im chinesischen Immobiliensektor sind dabei nicht berücksichtigt. Für 2024 werden laut JP Morgan allgemein niedrigere Ausfallraten prognostiziert, was auf die robusten Fundamentaldaten zurückgehen dürfte.7

Unternehmensanleihen aus den Schwellenländern werden derzeit mit einem geringeren Spread gehandelt als Staatsanleihen. Aussicht auf niedrigere Zinsen, gesunder makroökonomischer Hintergrund: Angesichts dessen sehen wir einen potenziellen Rückenwind für die Anlageklasse.

Attraktiv bewertete Währungen?

Für die Währungen der Schwellenländer bleiben wir optimistisch – und selektiv , da wir nicht erwarten, dass das Wirtschaftswachstum in den USA das der Schwellenländer übertreffen wird. Auch eine weitere Straffung der Geldpolitik erwarten wir nicht; dies würde wohl zu einem stärkeren US-Dollar führen. Die Bewertungen sind unserer Ansicht nach insgesamt nicht hoch. Eine Ausnahme bilden einige wenige Währungen wie der mexikanische Peso oder die tschechische Krone. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Investoren nach den Abflüssen aus dieser Anlageklasse in den letzten Jahren offenbar zu wenig in Lokalwährungsanleihen der Schwellenländer investiert haben. Die hohen kurzfristigen Zinsen in den USA, im Vereinigten Königreich und in der Eurozone waren eine zu große Konkurrenz. Dies könnte sich ändern, wenn die Zentralbanken der entwickelten Länder ihre Geldpolitik lockern und die kurzfristigen Zinssätze sinken. 

Zwischen positiven Vermögenspreisrenditen (wie im Jahr 2023) und Kapitalzuflüssen gibt es oft einen Verzögerungseffekt. Die Investoren jagen also den Renditen hinterher, anstatt sie zu antizipieren. Höhere Kapitalzuflüsse würden die Währungen der Schwellenländer und/oder den Aufbau internationaler Reserven unterstützen. Dies wiederum wäre positiv für die Kreditwürdigkeit der Schwellenländer.

Ein Jahr der Wahlen

Das Jahr 2024 wird als eines der wichtigsten Wahljahre überhaupt bezeichnet. Milliarden von Menschen in 50 Ländern sind wahlberechtigt.8 In Bangladesch, Indonesien und Taiwan wurde bereits gewählt. Wichtige Wahlen stehen in Südafrika, Mexiko und Indien an – und natürlich in den USA und in Großbritannien. 

Wahlen führen häufig zu Volatilität, da mögliche politische Veränderungen die Investoren nervös machen können. Doch Wahlen können auch Anlagechancen eröffnen. Denn in der Regel sind mit Wahlen negative Assoziationen behaftet, und sie können potenzielle Abwärtsrisiken bergen – doch sie können auch zu positiven Ergebnissen führen. So stiegen die Vermögenspreise nach den jüngsten Wahlen in der Türkei, in Polen und in Argentinien: Denn die Ergebnisse führten zu einer verbesserten Wirtschaftspolitik. 

Russland-Ukraine, Naher Osten, China-Taiwan: Wichtige geopolitische Fragen bleiben weiter ungelöst. Der US-Wahlkampf trägt unseres Erachtens nicht dazu bei, die daraus resultierende Unsicherheit zu verringern. 

Ein Grund zum Optimismus?

Trotz einiger Unsicherheiten sind wir der Meinung, dass das Gesamtbild immer noch für eine gute Entwicklung der Schwellenländer im Jahr 2024 spricht. Deren Volkswirtschaften haben sich als unerwartet widerstandsfähig erwiesen. Sie haben es geschafft, sich weitgehend an die Inflationsentwicklung und das höhere Zinsumfeld anzupassen. 

Angesichts der für 2024 erwarteten US-Zinssenkungen haben wir Grund zum Optimismus für die Schwellenländer. Dies gilt besonders dann, wenn der US-Dollar nicht weiter aufwertet und die Risikoaversion gedämpft bleibt. 

Die zweistelligen Renditen von 2023 werden sich 2024 vielleicht nicht wiederholen. Doch Schwellenländeranleihen bieten unserer Ansicht nach immer noch überzeugende Chancen: Besonders für Investoren, die mit dem Wiederanlagerisiko von kurzläufigen Anleihen konfrontiert sind. Selbst wenn sich die Renditen ihrem langfristigen Durchschnitt annähern (mittlerer bis hoher einstelliger Bereich), sollte man die Anlageklasse unserer Meinung nach im Blick behalten.

1 JP Morgan, 31. Dezember 2023. 
2 Bloomberg, 31. Dezember 2023
3 Reuters, Februar 2024.
4 Reuters, Dezember 2023.
5 Forbes, Dezember 2023.
6 Bloomberg, 31. Dezember 2023.
7 JP Morgan, Oktober 2023.
8 AP, “Over 50 countries will go to the polls in 2024. The year will test even the most robust democracies”, (apnews.com), 10. Januar 2024. 


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von M&G Fixed Income team

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