Gegenläufige Entwicklungen

Die gegenläufigen Entwicklungen in der Wirtschafts- und Geldpolitik schlagen auf die Märkte für Staatsanleihen durch. Daraus ergeben sich Risiken und Chancen für die Anleger. Dies ist der zweite Beitrag zu unserer vierteiligen Artikelreihe, in der es um eine mögliche Neuausrichtung des Anleiheportfolios geht. Hier befassen wir uns mit der Frage, wie sich die gegenläufigen Entwicklungen von Zentralbankpolitik, Inflation, Wechselkursrisiken und Wirtschaftswachstum meistern lassen.

Zentrale Punkte:
  • Entwicklungen in Wirtschaft und Politik verlaufen rund um die Welt nicht mehr weitgehend parallel, sondern zunehmend in unterschiedliche Richtungen
  • Die Anleger sollten unterschiedliche Rezessionsrisiken, einen möglichen Blowout bei riskanteren Anleiherenditen im Euroraum und eine eventuelle Stagflation in Großbritannien im Blick behalten
  • Aus Furcht, dass sich die Inflation verfestigen könnte, nehmen einige Zentralbanken rasch umfangreiche Zinsanhebungen vor
  • Aus Anlegersicht lohnen sich gegebenenfalls flexible Anleihestrategien und ein Ausbau der Kernsegmente des Anleihenmarktes, die von einer Flucht in sichere Häfen profitieren sollten

Von Deutschland bis Brasilien und von Großbritannien bis China – rund um die Welt entwickeln sich die Volkswirtschaften in unterschiedlichem Tempo. Nach den durch die Coronapandemie verursachten Turbulenzen schlagen die Länder bei der Geldpolitik und beim Wachstum jeweils andere Kurse ein. Während der Pandemie selbst dagegen waren die Zentralbanken in den entwickelten Märkten ebenso wie in den Schwellenländern dazu bereit, eine allzu lockere Politik zu verfolgen und die Inflation eine Weile überschießen zu lassen, um die Arbeitslosenzahlen zu dämpfen.

Inzwischen jedoch schlagen sie in unterschiedlichem Maße einen sehr restriktiven Kurs ein, um die Inflation auf Kosten von Wachstum und Beschäftigung zu senken. Daraus ergeben sich Risiken, aber auch Chancen für Anleger – soweit diese bereit sind, flexibel zu sein und gegebenenfalls sichere Häfen aufzusuchen.

Die inflationsbereinigten (realen) Renditen von Staatsanleihen sind inzwischen sehr unterschiedlich. So erbrachten brasilianische Lokalwährungsanleihen Ende August eine Rendite von über 3%, wohingegen die Rendite von entsprechenden spanischen Anleihen bei -9% lag. Zu Beginn der Pandemie war die Renditedifferenz dagegen vergleichsweise gering (Abbildung 1). 1 Dieses uneinheitliche Bild lässt darauf schließen, dass sich die einzelnen Volkswirtschaften und die Politik derzeit sehr gegenläufig entwickeln. Und das hat Auswirkungen darauf, wie und wann sie die derzeitige, stark von den hohen Inflationsraten bestimmte Situation überwinden.

Die Divergenz ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die wirtschaftliche Lage je nach Land sehr unterschiedlich ist.

Abbildung 1: Rendite von 1-jährigen Staatsanleihen zum Monatsende (in lokaler Währung), bereinigt um monatliche Gesamtrate der Verbraucherpreisinflation (gegenüber dem Vorjahr, nicht saisonbereinigt)
Rendite von 1-jährigen Staatsanleihen zum Monatsende

Quelle: Bloomberg. Allianz Global Investors. Stand der Daten zu Renditen: 31. August 2022.
Jüngste verfügbare offizielle Inflationsdaten für Juli 2022

Euroraum und Nordamerika

Eine tiefe Rezession ist im Euroraum wahrscheinlicher als in energiereichen Volkswirtschaften wie den USA und Kanada und dürfte außerdem stärker ausfallen. In den USA und Kanada stehen die Chancen besser, dass die Inflation auch ohne harte Landung wieder unter Kontrolle gelangen kann. Der Unterschied liegt vor allem in Europas übermäßiger Abhängigkeit von Erdgaslieferungen aus Russland, die wegen der geopolitischen Spannungen rund um den Krieg in der Ukraine auch für längere Zeit einseitig eingestellt werden könnten. Die realen Zinsen sind im Euroraum nach wie vor deutlich negativ, zumal die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen langsamer angehoben hat als die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) – und das, obwohl die Inflationsraten im einheitlichen Währungsraum höher waren als in den USA. Das erklärt auch, warum die Renditekurve im Euroraum steiler verläuft. In den USA und in Kanada sind die 2-10-Jahres-Kurven hingegen nach raschen und umfangreichen Zinsanhebungen inzwischen invers, weil die Renditen am kurzen Ende dadurch deutlich stärker nach oben getrieben wurden.

Außerdem hat der Euroraum mit dem Problem zu kämpfen, dass Währung und Leitzinsen zwar einheitlich sind, die wirtschaftliche Entwicklung jedoch in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich verläuft. Die offizielle Vorabschätzung für die Inflationsrate im Euroraum im August lag bei 9,1% (Juli: 8,9%), 2 wobei die Streuung zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten so groß wie seit der Einführung des Euro nicht mehr war. Die Bandbreite reichte von 25,2% in Estland bis zu 6,5% in Frankreich. 3 Die EZB versucht, das einheitliche Leitzinsniveau in gewissem Umfang zu kompensieren, indem sie Erlöse aus fälligen Kernländer-Anleihen in Peripherieländeranleihen reinvestiert. Ohne diese Unterstützung wäre die Renditedifferenz („Spread“) zwischen 10-jährigen deutschen und italienischen Anleihen Ende August wahrscheinlich noch höher gewesen als die tatsächlichen 235 Basispunkte. 4 Es bleibt abzuwarten, ob das neue „AntiFragmentierungs“-Anleihekaufprogramm der EZB offiziell eingeführt wird und einen Blowout bei den riskanteren Renditen im Euroraum verhindern kann.

Stagflationsrisiken in Großbritannien

Bisher haben sich die längerfristigen Inflationserwartungen nicht so verschoben, dass mit einer Stagflation zu rechnen wäre. Die sichere Verankerung der längerfristigen Erwartungen ist wohl der Hauptgrund dafür, dass die Inflation vor der Pandemie gut unter Kontrolle war. Aus Furcht, dass sich diese Verankerung lösen könnte, führen einige Zentralbanken rasch umfangreiche Zinsanhebungen durch. Falls sich ein Stagflationsszenario in einem entwickelten Land verwirklichen sollte, ist Großbritannien dafür ein guter Kandidat. Die Inflationsrate liegt dort inzwischen über 10%. 5 Die Bank of England erwartet den Höchststand bei über 13% für den Herbst und hebt die Zinsen rasch an – obwohl sie gleichzeitig damit rechnet, dass die britische Wirtschaft zum Jahresende in eine Rezession rutscht. Und die Inflation könnte sich noch stärker beschleunigen, wenn die Gaspreise auf ihrem derzeitigen Niveau verharren. Die Rendite von zweijährigen britischen Anleihen ist von 1,7% Anfang August auf über 3,2% im September in die Höhe geschnellt 6 – so stark wie seit Beginn der Neunzigerjahre nicht mehr. Das chronisch große Leistungsbilanzdefizit lässt für die britische Verschuldung nichts Gutes ahnen. Auch das steigende Haushaltsdefizit wäre kein gutes Omen, wenn Premierministerin Truss ihre ehrgeizigen Steuersenkungen durchführte.

Asymmetrien in Asien

Auch im Osten machen sich die globalen Divergenzen bemerkbar. Die Bank of Japan hat ihren Leitzins bei -0,1% belassen und hält an ihrem Anleihekaufprogramm fest, um die 10-jährigen Renditen auf 0,25% zu begrenzen. Die Inflationsrate gegenüber dem Vorjahr liegt bei rund 2,5%, 7 aber die Konjunktur bleibt anfällig – das BIP hat erst im zweiten Quartal des laufenden Jahres wieder sein Vor-Pandemie-Niveau erreicht, wozu höhere Exporte und Konsumausgaben beitrugen. In China sind die Inflationsraten gegenüber dem Vorjahr etwas höher, aber das Land entzieht sich dem globalen Straffungstrend ebenfalls. Die chinesischen Behörden haben ihre Geld- und Fiskalpolitik gelockert, da wiederholte Covid-19-Shutdowns die Konjunktur dämpfen und der Immobiliensektor in schweres Fahrwasser geraten ist. Chinesische Immobilienanleihen entwickelten sich im August ungewöhnlich positiv; sie machten ihre bisherigen Verluste in diesem Jahr zum Teil wett, liegen aber nach wie vor deutlich im Minus.

Schwellenländer im Straffungszyklus weiterfortgeschritten

Einige Schwellenländer haben ihre Leitzinsen im Jahr 2022 besonders früh und deutlich angehoben. Viele Emerging Markets haben mit einer aufkommenden Lebenshaltungskostenkrise zu kämpfen, zumal Lebensmittel- und Energiepreise dort typischerweise einen höheren Anteil an den Verbraucherpreisindizes haben. Da viele Schwellenländer, z.B. Brasilien und Mexiko, im Straffungszyklus den Industrieländern voraus sind, sind die realen Renditen vielfach positiv und die Renditestrukturkurven invers. Nettoexportländer von Rohstoffen haben in gewissem Umfang von den steigenden Rohstoffpreisen profitiert. Allerdings sind die Inflations- und Zinserwartungen in den Schwellenländern tendenziell schwerer zu verankern als in den Industrieländern, weil globale Schocks in der Regel schmerzhaftere Folgen für die Währungen und die fiskalische Situation haben.

Wechselkurse

An den Wechselkursschwankungen im laufenden Jahr lässt sich vielleicht am besten erkennen, wie gegenläufig sich die globale Politik entwickelt. So hat z.B. der japanische Yen von Jahresbeginn bis Ende August über 17% gegenüber dem US-Dollar verloren. Im Vergleich zu ihrem Höchststand aus dem Jahr 2011 hat die Währung gegenüber dem USDollar um über 45% abgewertet. 8 Auch der Euro schwächelt und notiert zum ersten Mal seit seiner Einführung unterhalb der Parität zum US-Dollar. Und wenn man von Ländern absieht, die sich in einem finanziellen Engpass befinden oder wo bereits Zahlungsausfälle stattgefunden haben, ist das Bild uneinheitlich; die Bandbreite der Abwertungen gegenüber dem US-Dollar reicht von vergleichsweise moderaten -4,5% für die indonesische Rupiah bis zu -23% für den ungarischen Forint. 9

Flexibilität und Flucht in sichere Häfen als Strategie für die Anleger

Wo sollte man also in dieser von gegenläufigen Entwicklungen geprägten Welt investieren? In einer Welt geprägt von hohen Inflationsraten, bieten flexible Anleihenstrategien deutlich mehr Möglichkeiten. Dies gilt vor allem für Strategien, die über das ganze Spektrum von Duration und Zinskurven grenzüberschreitend von Preisdifferenzen („Relative Value“) profitieren können. Daneben können diese flexiblen Strategien spezielle Positionen im Hinblick auf die Inflation sowie gezielte Engagements an den Kredit- und Devisenmärkten eingehen. Da zahlreiche Anleger die Duration inzwischen deutlich untergewichtet haben, lohnt es sich unseres Erachtens, langsam in Märkten zu investieren, die von einer Flucht in Sicherheit besonders profitieren dürften – denn dort sind besonders ungünstige Szenarien bereits eingepreist. Nur wenige scheinen zu glauben, dass es letztendlich auf eine Stagflation hinausläuft. Aber das lässt sich noch nicht vollständig ausschließen – und ebenso ist nicht sicher, dass es nur zu einer leichten Rezession und nicht zu einer harten Landung kommt. Man muss genau beobachten, was sich in den einzelnen Ländern abzeichnet – dann lässt sich auch absehen, wie es weitergeht.

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1 Quelle: Bloomberg. Allianz Global Investors. Stand der Daten zu Renditen: 31. August 2022. Jüngste verfügbare offizielle Inflationsdaten für Juli 2022.
2 Quelle: Eurostat, 31. August 2022
3 Quelle: Eurostat, 31. August 2022
4 Bloomberg, 31 August 2022
5 Quelle: Bank of England, August, 2022
6 Bloomberg, 31 August 2022
7 Quelle: Japanisches Ministerium für Inneres und Kommunikation
8 Bloomberg, 31 August 2022
9 Bloomberg, 31 August 2022

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