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Dax-Geflüster Gefährliche Stille

Mehr als ein Fünftel aller Investments weltweit werden bereits passiv gemanagt, Tendenz steigend. Auch auf den Dax wetten immer mehr Anleger über Indexfonds. Die Entwicklung kann bedrohlich enden: Stimmrechte werden nicht wahrgenommen, Marktfunktionen geraten außer Kraft - und Hedgefonds reiben sich die Hände.
Aktienhändler in London: Wenn keiner mehr aktiv wird, fällt die Preisfindung schwer

Aktienhändler in London: Wenn keiner mehr aktiv wird, fällt die Preisfindung schwer

Foto: REUTERS

Hamburg - Müßiggang ist aller Laster Anfang. Wer hätte gedacht, dass die Mahnung einmal ausgerechnet an die Kapitalmärkte gerichtet werden müsste.

Doch es stimmt: In den Finanzzentren der Welt, in New York, Tokio, London und Frankfurt, wo einst Hektik den Tag bestimmte, wo erfolgshungrige Banker für ihre Investoren im Sekundentakt Kauf- und Verkaufsentscheidungen trafen, wo Geld schließlich, wie wir gerade im Kino erfahren, doch eigentlich nicht schläft - dort, ja, gerade dort kehrt allmählich Ruhe ein.

Eine Übertreibung? Tatsache ist, dass immer mehr Investoren bei ihrer Vermögensverwaltung dem passiven Management mehr vertrauen als dem aktiven. Und damit ist nicht allein der Aktionär gemeint, der sich ein Papier kauft und es dann, komme was da wolle, jahrelang nicht mehr anrührt.

Nein, es geht vor allem um all die Fondsmanager, Vermögensverwalter und Portfoliolenker, die ihre Märkte analysieren, Unternehmen unter die Lupe nehmen, sich in Bilanzen und Kennzahlen vergraben; immer auf der Suche nach dem Mehrertrag für ihre Anleger, jenem begehrten Performanceplus, das der Fachmann "Alpha" nennt. All diese fleißigen Finanzleute - sie werden zusehends verdrängt.

Weltweit schon 1,2 Billionen Dollar in mehr als 3000 Indexfonds

Ihre Jobs übernehmen simple Anlagemodelle: Märkte, Strategien, Ideen, was auch immer - es lässt sich in einen Index pressen. Und ist diese Benchmark erst kreiert, dann dauert es nicht lange und, voilà, sprießen die Wertpapiere, die deren Performance blind und mehr oder weniger präzise nachvollziehen, wie die Pilze aus dem Boden.

Der Vormarsch lässt sich dokumentieren: Inzwischen stecken in weltweit mehr als 3000 Exchange Traded Funds (ETFs) und ähnlichen Papieren nach Angaben des in dem Markt führenden US-Investmenthauses Blackrock rund 1,2 Billionen Dollar. Auf Europa entfallen davon mehr als 200 Milliarden Dollar. Die Ratingagentur Morningstar hat jüngst errechnet, dass ETFs und andere Indexprodukte schon mehr als 22 Prozent des verwalteten Vermögens weltweit halten. 1999 waren es noch 11 Prozent.

Die Entwicklung hat Folgen - und die können im Extremfall bedrohliche Züge annehmen. Das beginnt schon mit der Frage, ob ein passiv gemanagter Indexfonds eigentlich die Stimmrechte für die von ihm gehaltenen Aktien wahrnimmt. Zwar befinden sich synthetisch replizierende Produkte, die nicht in Aktien, sondern in Swap-Geschäfte investieren, auf dem Vormarsch. In Europa steckt aber nach wie vor der größte Teil aller ETF-Anlegergelder in physisch replizierenden Fonds. Und deren Verantwortliche - das bestätigen Gespräche mit Branchenvertretern - kümmern sich um die Stimmrechte der Papiere derzeit herzlich wenig.

Warum die Hedgefonds sich die Hände reiben

"Das Thema Stimmrechte sehe ich weniger kritisch", sagt allerdings Thomas Heidorn, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management. "Im Ernstfall, wenn zum Beispiel eine feindliche Übernahme droht, lassen sich die Stimmrechte in der Regel durch gezielte Ansprache derjenigen, die die Aktien halten, aktivieren." Bei Swap-basierten Indexfonds, so der Fachmann, liegen die Papiere ohnehin bei der Bank, die als Swap-Kontrahent fungiert. "Die wird sich vermutlich um ihre Rechte kümmern", sagt Heidorn.

Der Experte sieht das Problem an anderer Stelle: Wenn sich immer mehr Anleger passiv verhalten, drohen Marktmechanismen außer Kraft gesetzt zu werden. "Um den fairen Preis von Wertpapieren zu ermitteln, braucht man ein Mindestanzahl an aktiven Marktteilnehmern, die Kauf- und Verkaufsentscheidungen treffen", sagt der Heidorn. "Wenn sich alle passiv verhalten, funktioniert das nicht mehr."

In die Richtung geht auch eine Überlegung, die Scott Burns, Chef der ETF-Analyse bei Morningstar, kürzlich in einem Newsletter anstellte. Sollte sich das passive Management weiter durchsetzen, dann werde das dazu führen, dass die Preise einzelner Wertpapiere zunehmend von den Entscheidungen weniger großer Investoren abhängen, so Burns. "Ja", schreibt der Experte. "Noch mehr als jetzt schon."

Fehlinformationen, von interessierter Seite gestreut

Heidorn sieht noch eine andere Gefahr. Denn mit dem Rückgang des aktiven Managements geht nach seiner Beobachtung einher, dass Banken und Investmenthäuser die Bereiche für Research und Analyse mehr und mehr abbauen. Letztlich, so der Fachmann, kennen immer weniger Menschen die Märkte und die Unternehmen wirklich - und immer weniger können einschätzen, was dazu an Nachrichten und Gerüchten kursiert.

Die Folge: Fehlinformationen, von interessierter Seite gestreut, werden tendenziell erst später entlarvt und entfalten daher größere Wirkung. "Es braucht kompetente Leute, die draufschauen", sagt Heidorn. "Sonst profitieren letztlich zum Beispiel Hedgefonds, die ihre Investmentstrategien zum Teil auf genau solche Marktmanipulationen stützen."

Nutznießer der Entwicklung hin zum passiven Management könnte zudem auch eine Fraktion werden, von der man es nicht unbedingt erwarten würde: all jene Investoren, die den aktiven Managern die Treue halten.

Der Grund: Vermögensmanagement ist unterm Strich ein Nullsummenspiel, schreibt Morningstar-Experte Burns. Das Geld, das in passive Produkte umgeschichtet wird, stammt vor allem aus aktiv gemanagten Investmentfonds. "Meine Vermutung ist", so Burns, "dass die größten Verlierer jene Fondsmanager sein werden, die gemeinhin als Schatten-Indexer bezeichnet werden." Der Markt werde die Mittel weg von diesen teuren, aber wenig ertragbringenden Geldverwaltern hin zu günstigen ETFs lenken.

Übrig blieben in dem Fall all jene Fondsmanager, die gezielt Risiken in Kauf nehmen, um höhere Erträge zu erzielen. Die Folge könnte eine Polarisierung sein: Die aktiv gemanagten Fonds würden ihre Benchmark nach Einschätzung von Burns künftig "massiv schlagen" - oder aber "massiv verfehlen".

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