Ermutigende Nachrichten über potenzielle COVID-19-Impfstoffe lösten im November eine plötzliche Verschiebung der Führungspositionen an den Börsen aus. Obwohl es noch zu früh für eine Bewertung der Tragfähigkeit dieser Trends ist, sollten Anleger ihre Aktienengagements auf Widerstandsfähigkeit gegenüber einer möglichen Veränderung der Ertragsmuster überprüfen.

Die Ankündigung von Pfizer am 9. November, dass der von BioNTech entwickelte Impfstoffkandidat auf der Grundlage klinischer Studien eine Wirksamkeit von 90 % hat, weckte die Erwartung, dass das Virus bald unter Kontrolle gebracht werden könnte. Nur wenige Tage später gab Moderna ermutigende Ergebnisse bei Versuchen mit einem weiteren Impfstoffkandidaten bekannt, gefolgt von AstraZeneca. Obwohl ein schwieriger Winter mit steigenden Fallzahlen und Krankenhauseinweisungen vor uns liegt, haben diese Nachrichten Anlegern Zuversicht gegeben, dass weitere wirtschaftliche Einbrüche nun unwahrscheinlich sind und dass eine breite konjunkturelle Erholung im Jahr 2021 möglich ist.

Impfhoffnung belebt Nachzügler-Aktien

Die Nachrichten selbst reichen möglicherweise nicht aus, um die jüngste breite Kursrallye aufrechtzuerhalten. Doch sie hat zu einer dramatischen Verschiebung der Marktführerschaft geführt. Aktien, die über den größten Teil des Jahres unterdurchschnittlich abgeschnitten haben, erholten sich. Die Krisengewinner hingegen sahen Gewinnmitnahmen. Nach einigen Maßstäben kam es am Tag der Pressemitteilung von Pfizer zur abruptesten Umkehr der Dynamik seit mehr als zehn Jahren.

Seit dem 9. November hat sich diese Verschiebung in mehreren Sektoren des Marktes vollzogen. Nebenwerte schnitten besser ab als größere Unternehmen. Nicht-US-Aktien schnitten besser ab als amerikanische Papiere. Ungeliebte Sektoren, insbesondere Finanzen und Energie, haben die Technologie, die über weite Strecken des Jahres führend war, übertroffen. Und der MSCI World Value Index stieg in diesem Monat, per 18. November, in US-Dollar um 7,3 % und übertraf damit den MSCI World Growth Index bei Weitem. Das steht in krassem Gegensatz zur Bilanz seit Jahresbeginn: Value-Aktien sind im Jahr 2020 um 5,7 % gefallen, während der technologieintensive Wachstumsindex um 25,1 % gestiegen ist (Abbildung).

Werden diese Trends anhalten? Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass sich die Stil-Marktführerschaft in diesem Jahr geändert hat. Frühere Episoden im Frühjahr und im September waren zwar weniger dramatisch, kehrten sich aber schnell um. Doch die Nachrichten über den Impfstoff könnten eine Rotation in zyklischere Aktien verlängern, ein Trend, der im dritten Quartal einsetzte. Umgekehrt könnten amerikanische Technologie- und Konsumtitanen, die von den Auswirkungen globaler Lockdowns profitierten, relativ gesehen weniger attraktiv aussehen, wenn sich das Wirtschaftsleben eher früher als später wieder normalisieren sollte. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Wertentwicklung verschiedener Sektoren und Regionen sowie auf verschiedene Stilfaktoren.

War der Markt reif für eine Neuausrichtung?

Vor der jüngsten Verschiebung hatten die Aktienertragsmuster große Ungleichgewichte geschaffen. So war beispielsweise Ende Oktober der MSCI World Value um 63 % günstiger als der MSCI World Growth, basierend auf einer Kombination von drei Kennzahlen: Kurs/Umsatz, Kurs/Cashflow und Kurs/Erwarteter Gewinn (Abbildung, links). Das ist der höchste Abschlag seit 20 Jahren. In den USA wurde der Russell 1000 Value Index mit einem Abschlag von 57 % gegenüber seinem Wachstumspendant (Abbildung, rechts) gehandelt – ebenfalls nahe an den historischen Rekorden.

Inflation und Zinsen bestimmen Aktienertragsmuster

Sollte man nun Wachstumsaktien verkaufen und Substanztitel kaufen? Wenn sich das globale Wachstum beschleunigt, glauben wir, dass viele billigere, zyklischere Unternehmen – die typischerweise eher von Value-Portfolios gehalten werden – im Jahr 2021 wahrscheinlich ein höheres Gewinnwachstum verzeichnen werden. Und wenn Wachstum im Überfluss vorhanden ist, sind die Anleger möglicherweise weniger bereit, eine Prämie für wachstumsstärkere Aktien zu zahlen, wie etwa jene, die sich 2020 während der Pandemie gut entwickelt haben.

Bei einer konjunkturellen Erholung könnte auch die Inflation steigen, was Aufwärtsdruck auf die Zinsen ausüben würde. Das wiederum kommt in der Regel Value-Aktien zugute und wirkt sich hemmend auf Growth-Titel aus, bei denen ein größerer Anteil des Unternehmenswerts aus Cashflows stammt, die viele Jahre in der Zukunft liegen. Die Volkswirte von AllianceBernstein (AB) gehen davon aus, dass die Rendite des 10-jährigen US-Treasuries von heute weniger als 0,90 % leicht ansteigen wird. Nach einem Jahrzehnt ultraniedriger Zinsen sollten Anleger jedoch vorsichtig sein, wenn es darum geht, eine Strategie auf der Grundlage einer dauerhaften Veränderung des Zinsniveaus aufzubauen.

Zeit für eine Allokationsüberprüfung

Unabhängig davon, ob das Value-Comeback von Dauer sein wird, haben die jüngsten Ertragsmuster möglicherweise dazu beigetragen, ein Ungleichgewicht in Ihrer Allokation aufzudecken. Die meisten Anleger kennen die Vorteile von Diversifikation und Neugewichtung, aber es kann schwierig sein, die Theorie nach einer längeren Periode einseitiger Performance in die Tat umzusetzen.

Die jüngste Marktwende sollte Anleger unserer Meinung nach dazu veranlassen, ihre Aktienallokation genau unter die Lupe zu nehmen. Fragen Sie, welche Risiken Ihre derzeitige Positionierung mit sich bringen könnte. Halten Sie genügend Vermögenswerte, die sich bei einer sich beschleunigenden wirtschaftlichen Erholung oder bei beginnenden Zinserhöhungen gut entwickeln sollten? Sind Ihre geografischen Engagements ausreichend diversifiziert? Ist Ihr Aktienengagement in Wachstumsaktien zu stark auf ambitioniert bewertete Riesentitel konzentriert oder auf eine breitere Palette von Unternehmen mit ausgeprägten Wachstumstreibern verteilt?

Die Antwort auf diese Fragen hängt natürlich von der Risikobereitschaft und den finanziellen Zielen jedes Anlegers ab. Doch wenn sich der Stilwind so dramatisch ändert wie in diesem Monat, wäre es nachlässig nicht zu prüfen, ob die Segel richtig gesetzt sind, damit weitere potenzielle Veränderungen keine Seenot auslösen.

Christopher Hogbin ist Head of Equities bei AllianceBernstein (AB).

In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden.

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