Die Anlageerträge der Schwellenländer (Emerging Markets, EM) lagen in den letzten zehn Jahren erheblich unter denen der Industrieländer (Developed Markets, DM). Im Jahr 2020 lagen beide Sektoren im Aktienbereich bislang in etwa gleichauf. Sind wir an einem Wendepunkt angelangt?

Nach einem schwierigen Jahresbeginn haben sich die Mittelaufkommen sowohl an den Aktien- als auch an den Anleihenmärkten der Schwellenländer in jüngster Zeit ins Positive gedreht. Tatsächlich war der Oktober 2020 der fünfte Monat in Folge mit Zuflüssen in EM-Anleihen und der vierte Monat in Folge bei EM-Aktien. Das deutet darauf hin, dass die Stimmungsrallye etwas an Fahrt gewinnt, unterstützt durch eine Verbesserung der fundamentalen Aussichten für die Schwellenmärkte und attraktive Bewertungsniveaus der EM-Aktien und -Anleihen im Vergleich zu ihren DM-Konkurrenten.

Wird dieser Trend anhalten? Und wie können Anleger das Beste aus der breiten Palette von Chancen in den Schwellenländern machen?

Schlüsselindikatoren werden positiv

Die EM-Volkswirtschaften haben begonnen, sich von den Auswirkungen von COVID-19 zu erholen. Nordasiatische Länder, darunter China, Südkorea und Taiwan, haben das Virus am wirksamsten bekämpft, was zu einem milderen Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität während der Krise und zu einer früheren Erholung als bei DM-Volkswirtschaften geführt hat.

Sowohl die Produktionstätigkeit in den Schwellenländern als auch die nordostasiatischen Exporte haben in den letzten Wochen stark angezogen. Andere Regionen, wie etwa Lateinamerika, beginnen, diesem Beispiel zu folgen. Anzeichen dafür gab es im Oktober, als sich die Aktien der Schwellenländer besser entwickelten als die DM-Aktien. Unserer Ansicht nach spiegelt die solide Entwicklung der EM-Aktien wahrscheinlich die jüngsten Erfolge der am schlimmsten betroffenen EM-Länder bei der Eindämmung des Virus wider, während einige Industrieländer, wie etwa Großbritannien und Frankreich, wieder landesweite Sperrmaßnahmen einführen mussten. Infolgedessen gehen wir davon aus, dass die Konjunktur in den EM-Ländern im Jahr 2021 deutlich besser sein wird als in den entwickelten Regionen (Abbildung, unten).

Die Erholung wird auch geldpolitisch mit Zinssenkungen und Konjunkturpaketen zur Unterstützung des Wachstums nachhaltig begünstigt, da die Inflation voraussichtlich niedrig sein wird, sodass der Druck für höhere Zinsen wahrscheinlich gering sein wird.

Darüber hinaus hilft die jüngste Schwäche des US-Dollars Unternehmen und Ländern, die sich in US-Dollar verschuldet haben, beim Zugang zu den Kapitalmärkten und bei der Rückzahlung ihrer Schulden. Entscheidend ist, dass dies den Druck auf die verschuldeten Regierungen der Schwellenländer mildert und es ihren Zentralbanken ermöglicht, eine lockere Geldpolitik beizubehalten. Ein schwacher US-Dollar unterstützt die Risikobereitschaft von EM-Anlegern und wird typischerweise mit hohen EM-Aktien- und -Anleihenerträgen in Verbindung gebracht.

Die Bewertungen der Vermögenswerte der Schwellenländer sind ebenfalls ermutigend. Da die Gewinne der EM-Unternehmen im nächsten Jahr voraussichtlich um über 30 % steigen werden, erscheinen ihre Aktienkurse im Vergleich zu DM-Unternehmen besonders günstig. So beträgt beispielsweise das Kurs-Gewinn-Wachstums-Verhältnis, das die Bewertung einer Aktie im Verhältnis zu ihrem Wachstumspotenzial misst, in den Schwellenländern nur 0,44 – etwa die Hälfte des US-Verhältnisses von 0,82. An den EM-Anleihenmärkten sehen die Spreads im Hochzinssektor ebenfalls sehr attraktiv aus, nahe den Zehnjahreshöchstständen im Vergleich zur USA.

Unserer Ansicht nach gibt es in der Erholungsphase weiteren Spielraum für EM-Anlagen. Dennoch halten sich viele Anleger nach wie vor zurück, insbesondere bei Aktien aus den Schwellenländern. Der institutionelle Besitz von EM-Aktien liegt derzeit bei 7 % des gesamten verwalteten Vermögens – so niedrig wie kurz vor der starken Rallye im Jahr 2017, als der MSCI Emerging Markets Index um 37 % anstieg.

Warum die Zurückhaltung bei EM-Investments? Zum einen werden die Schwellenmärkte allgemein als relativ riskant angesehen. Es stimmt, dass im derzeitigen Umfeld der erhöhten Unsicherheit mit einer erhöhten kurzfristigen Volatilität gerechnet werden muss. Wir gehen jedoch davon aus, dass die Schwellenländer von einem erneuten Engagement der USA in multilateralen Institutionen wie der Welthandelsorganisation unter einer Biden-Präsidentschaft profitieren werden. Eine größere Handelssicherheit, die auch unter einer Biden-Regierung wahrscheinlich ist, könnte zudem exportorientierten Schwellenländern helfen.

Die Stärke eines uneingeschränkten Multi-Asset-Ansatzes

Anleger in einzelnen Anlageklassen könnten unserer Ansicht nach einen Großteil der Chancen der Schwellenländer verpassen. Zu diesem entscheidenden Zeitpunkt sollten Anleger ihre Portfolios so positionieren, dass sie von den Entwicklungen im gesamten EM-Spektrum profitieren. Durch die effiziente Kombination von Allokationen in Aktien, Anleihen und Währungen können Anleger flexibel auf die breite Palette von Chancen zugreifen, die durch fundamentale, bewertungstechnische und technische Maßnahmen signalisiert werden.

Ein dynamisch verwaltetes EM-Multi-Asset-Portfolio kann unserer Ansicht nach aktienähnliche Erträge bei weitaus geringerer Volatilität und flacheren Drawdowns bieten. Es kann zudem attraktive Einkommensniveaus generieren. Durch die Betrachtung des gesamten Spektrums der Aktien- und Anleihenmärkte ist es möglich, in jeder Region Wertpapiere auszuwählen, die ein attraktives risikobereinigtes Ertragspotenzial bieten. So sind wir beispielsweise der Ansicht, dass brasilianische Anleihen mit einer Rendite von 4 % im Vergleich zu hochvolatilen brasilianischen Aktien sehr attraktiv aussehen (Abbildung, unten).

Im Aktienbereich sind die EM-Benchmarks auf größere Länder und Unternehmen ausgerichtet. Dabei bieten kleinere Länder und Wertpapiere unserer Ansicht nach aktuell viele Chancen. Positionen in Ländern, die in einem Index eine geringe Gewichtung haben, können Diversifikations- und Wachstumschancen bieten. Ohne Einschränkungen haben Anleger Zugang zu Ländern mit kleinerer Marktkapitalisierung wie Chile und Kolumbien, einschließlich der Länder, die nicht im MSCI Emerging Markets Index enthalten sind, wie Panama und Ekuador. Diese breitere Streuung von Ländern, die sich in unterschiedlichen Phasen ihrer Wirtschaftszyklen befinden, sorgen unserer Meinung nach für ein besseres Risiko-Ertrags-Verhältnis.

Wandel schafft Chancen

Durch die COVID-19-Krise eröffnen sich neue Chancen. Bislang haben sich die nordasiatischen Länder am schnellsten von den Auswirkungen des Virus erholt. Und Technologieunternehmen in diesen Regionen profitierten vom Trend zur Heimarbeit und Veränderungen im Verbraucherverhalten. Wir gehen davon aus, dass diese Bereiche weiterhin die Erträge steigern werden, da die langfristige Wachstumsdynamik diesen Unternehmen Rückenwind geben wird.

Mit der Verbesserung der fundamentalen Trends könnten aber auch ausgewählte Investitionen in anderen asiatischen und lateinamerikanischen Regionen attraktive Möglichkeiten bieten. Und einige Branchen, die bislang zurückblieben, sehen jetzt zunehmend attraktiv aus. Aktive „Stockpicker“ können diese Chancen nutzen, indem sie etwa auf vielversprechende, aber weniger bekannte Technologieaktien und sorgfältig ausgewählte Unternehmen in kleineren Ländern setzen, die gut positioniert sind, wenn die Erholung der Schwellenländer an Fahrt gewinnt. Im Bereich der festverzinslichen Wertpapiere könnten EM-Schuldnerländer mit höherem Risiko am meisten von einer Erholung profitieren.

Durch Investitionen in ein flexibles Multi-Asset-Portfolio glauben wir, dass Anleger aktienähnliche Erträge in den Schwellenländern mit weniger Risiko erzielen und zugleich relativ hohe Einkommensrenditen vereinnahmen können – und das in einem globalen Umfeld, in dem laufendes Einkommen außergewöhnlich schwer zu finden ist.

Morgan Harting ist Portfoliomanager für Multi-Asset Solutions bei AllianceBernstein (AB).

Karen Watkin ist Portfoliomanagerin für Multi-Asset Solutions bei AllianceBernstein (AB).

In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden. AllianceBernstein Limited ist von der Financial Conduct Authority in Großbritannien zugelassen und wird durch diese Behörde reguliert.

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