Virologen warnen seit Langem ausdrücklich vor einer zweiten möglichen Infektionswelle. Vor allem im Herbst sei mit einem erneuten Infektionsanstieg zu rechnen, heißt es. Nun hat in diesen Tagen zwar gerade erst der Sommer begonnen, doch eine Vielzahl an Negativnachrichten lassen befürchten, dass schon jetzt neuerliche – zumindest lokale – Einschränkungen des öffentlichen Lebens drohen. Entsprechend verunsichert reagierten zuletzt die Kapitalmärkte. Anleger zeigten sich weniger risikobereit und nahmen sowohl an den Aktien- als auch den Rentenmärkten Gewinne mit. Auch der Ölpreis geriet unter Druck. Im Gegenzug verzeichneten „sichere Häfen“ wie Bundesanleihen und US-Treasuries Kursgewinne.
Auslöser waren gleich eine Vielzahl an virusbezogenen Negativnachrichten. Besonders besorgniserregend sehen die Zahlen in den USA aus. Dort liegt die Zahl der Neuinfektionen mittlerweile sogar über den Höchstständen von März/April. Das Virus erreichte das Land später als Asien und Europa. Eine schlechte Gesundheitsversorgung und eine nur zögerliche Eindämmung ließen die Fallzahlen zügig steigen. „America first“ hieß es daher auch schnell in der Rangfolge der weltweit am stärksten betroffenen Länder. Die negativen wirtschaftlichen Folgen des anschließenden Lockdowns sind hoch und führten in der Bevölkerung zu großem Unmut. US-Präsident Trump schlug sich auf die Seite der Demonstranten und forderte – nicht ganz uneigennützig – eine schnelle Lockerung der zuvor getroffenen Beschränkungen. Für seine mögliche Wiederwahl wäre eine hohe Arbeitslosenrate wohl eine zu schwere Hypothek und so kam es trotz noch recht hoher Infektionszahlen vergleichsweise früh zu einer Aufhebung der Beschränkungen.
Kommt die zweite Infektionswelle noch deutlich vor dem Herbst?
Zahl der Neuinfektionen in den USA nimmt deutlich zu
Quelle: Bloomberg; Stand: 24. Juni 2020
Ein gewagtes Spiel, für das es nun die Quittung zu geben scheint. In der am 22. Juni beginnenden Woche vermeldeten die drei bevölkerungsreichsten Bundesstaaten der USA (Kalifornien, Texas und Florida) jeweils einen Rekordanstieg an Neuinfektionen mit dem Corona-Virus. Am 24. Juni hieß es, in der texanischen Hauptstadt Houston liege die Auslastung der Intensivbetten inzwischen bei 97 Prozent. Der US-Bundesstaat New York hat daraufhin ein Einreiseverbot für Einwohner aus den Südstaaten erlassen. Doch nicht nur von staatlicher Seite wurden Einschränkungen bekannt, auch die Unternehmensseite reagiert. Walt Disney verschob die Öffnung der Themenparks in Kalifornien und Apple hat zuletzt insgesamt 32 Läden in den Südstaaten vorsichtshalber geschlossen.
Nicht nur in den USA, auch in anderen Regionen gibt es lokale Hot-Spots. So nehmen in Japan, China und Südkorea ebenfalls in einigen Städten die Krankheitsfälle wieder zu. In Deutschland ist der Kreis Gütersloh nach dem Ausbruch in der Fleischfabrik Tönnies stark betroffen. In Gütersloh bildeten sich zuletzt Schlangen vor den Corona-Testcentern. Viele Bürger aus Nordrhein-Westfalen hofften mit einem Negativergebnis doch noch in den lang ersehnten Urlaub reisen zu können, nachdem schon vereinzelt Feriengäste an der Ostseeküste abgewiesen wurden.
Zu einer Gegenbewegung an den Märkten kam es, als der texanische Gouverneur im Fernsehen von ausreichend Kapazitäten in der Intensivmedizin sprach. Darüber hinaus werde man die geplanten Lockerungsmaßnahmen verschieben. Es fiel aber auf, dass sich die Politik schwer damit tut, neue Beschränkungen zu beschließen. In Deutschland hatte die Bundesregierung lange den Schwarzen Peter inne. Mit der Übertragung der Verantwortung auf die Bundesländer können sich die einzelnen Ministerpräsidenten nun weitaus weniger profilieren. So vermied es Armin Laschet (CDU) zunächst, einen Lockdown für die betroffenen Kreise Gütersloh und Warendorf auszurufen. Der Großteil der Bürger scheint ausreichend sensibilisiert zu sein, sodass womöglich ein Lockdown light – wie jetzt in Nordrhein-Westfalen – ausreicht, um eine größere Verbreitung des Virus zu verhindern. Die Gefahr einer zweiten Infektionswelle ist aber dennoch vorhanden.
Die jüngsten Ereignisse machen deutlich: Das Corona-Virus beherrscht die Märkte nicht mehr gänzlich, sorgt aber immer wieder für eine höhere Volatilität. Das Epizentrum der Erkrankungen ist sicherlich weiterhin in Lateinamerika mit Brasilien, Chile und Peru zu finden. Länder wie die USA und das Vereinigte Königreich laufen jedoch Gefahr, die bereits erzielten Erfolge wieder zu verspielen. Von konjunktureller Seite gab es zuletzt gute Nachrichten. Viel deutet weltweit auf eine Stabilisierung hin. Hinzu kommt die massive Unterstützung von Seiten der Geld- und Fiskalpolitik. Das Vorkrisenniveau dürfte aber nicht vor dem Jahr 2022 zu erreichen sein.
Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen:
29. Juni 2020, soweit nicht anders angegeben.