Patrick Lemmens: „FinTech ist ein starker Wachstumstrend, der noch viele Jahre anhalten wird. Die Digitalisierung der Finanzbranche bringt viele Anlagechancen mit sich. Doch es gibt für Anleger nur wenige Qualitätsangebote. FinTech besitzt ein sehr hohes Renditepotenzial. Die Nettorendite unserer Strategie beträgt seit ihrer Einführung 16,3 %, verglichen mit 4,4 % für den MSCI All Country World Index.“
In einen so jungen Sektor zu investieren, ist sicherlich nicht ohne Risiken?
Jeroen van Oerle: „Es ist in der Tat sehr wichtig, kritisch zu sein und selektiv vorzugehen. Wir investieren nicht in ‚Hype’-Aktien und auch nicht im Anfangsstadium einer Innovation (wie z. B. Blockchain), sondern in Unternehmen, die Instrumente zur Ausführung von Blockchain-Investments bereitstellen. Wir sind auch vorsichtig bei FinTech-Unternehmen, die in der Online-Kreditvergabe oder in der ‚Robo’-Beratung tätig sind und keinen Gewinn machen. Für solche eigenständigen Unternehmen ist es sehr schwierig, eine entsprechende Größe zu erreichen, weil die Kundenakquise für sie sehr teuer ist.
Wie können Sie in einer Branche mit zweistelligen Wachstumsraten für Mehrwert sorgen?
Patrick Lemmens: „Wir folgen einem dreistufigen Anlageprozess:
- Wir identifizieren attraktive, langfristige Trends und bilden davon ausgehend unser FinTech-Anlageuniversum.
- Das Portfolio besteht aus drei unterscheidbaren Segmenten mit unterschiedlichen Performance-Eigenschaften. Dies trägt zur Diversifizierung bei. Die drei Segmente sind: Gewinner, Enabler und Herausforderer. Gewinner sind gut etablierte Unternehmen, die sich erkennbar von ihren Konkurrenten abheben. Herausforderer sind jüngere Unternehmen mit dem Potential, die Gewinner von morgen zu werden. Und Enabler sind Unternehmen, die der Finanzindustrie helfen, Technologien zu entwickeln und zu implementieren.
- Wir erstellen ein Portfolio aus Aktien des Anlageuniversums, verteilt auf diese drei Segmente. Der Umfang der Investments hängt von der Fähigkeit ab, FinTech-Trends umzusetzen, von quantitativen Punktzahlen, die von Robeco intern ermittelt werden, und von der Attraktivität der relativen Bewertung.“
Blockchain, alternatives Kreditgeschäft, Kapitalmärkte: Was hält die Zukunft für FinTech bereit?
Jeroen van Oerle: „Ehrlich gesagt ist es ziemlich schwierig, auf diese Frage eine kurze Antwort zu geben. Wir glauben aber, dass:
- Online-Bezahlverfahren in der Zukunft zum Standard und Barzahlungen zur Ausnahme werden;
- Digital Finance für zwei Milliarden Menschen, die sich bisher nicht um ihre finanziellen Angelegenheiten kümmern, den Weg frei machen wird;
- Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung ist, weil etablierte Finanzdienstleister Technologie und FinTech-Unternehmen einen Kundenstamm brauchen;
- Unternehmen, die in der Finanzwelt das Thema Cybersicherheit nicht in den Griff bekommen, nicht überleben werden;
- es in China und Indien mehr börsennotierte FinTech-Firmen geben wird als in der gesamten übrigen Welt.
Die neue EU-Richtlinie über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (PSD2) kann dem FinTech-Bereich erhebliche Impulse geben. Kunden können Banken gestatten, ihre Daten an andere Anbieter (dies schließt andere Banken ein) weiterzugeben, die den Kunden dann zusätzliche Produkte oder Dienstleistungen anbieten können. Je mehr Daten die Banken über ihre Kunden sammeln, desto stärker wird sich der Trend hin zu Finanzplattformen beschleunigen.“
Sie sagten vor kurzem, dass „FinTech eine natürliche Absicherung gegen steigende Zinssätze bietet“. Was meinten Sie damit?
Patrick Lemmens: „Allgemein wird 2018 mit steigenden Zinssätzen gerechnet. FinTech bietet insofern eine natürliche Absicherung, als bei steigenden Zinssätzen und einer Rückkehr der Volatilität an die Aktienmärkte bspw. unsere Investments in Wertpapierbörsen und ETF-Marketmaker von höheren Handelsvolumina und Margen profitieren werden.
Wenn Banken und Versicherungsgesellschaften von höheren Zinssätzen und in bestimmten Ländern von einer weniger strengen Beaufsichtigung durch Regulierungsbehörden profitieren, bleibt ihnen mehr Spielraum, um in dringend benötigte Technologie-Lösungen zu investieren. Diese Investitionen werden den Machern im FinTech-Bereich zugute kommen, in die wir investieren.“
Sind Sie auf der Jagd nach Anlagechancen bei Börsenneulingen oder bei Unternehmen, die demnächst an die Börse gehen werden?
Jeroen van Oerle: „Wir investieren ausschließlich in börsennotierte Unternehmen. Wir sehen uns jeden IPO eines neuen FinTech-Unternehmens an. Allerdings müssen solche Unternehmen ein paar Grundvoraussetzungen erfüllen, bevor wir sie in unser Anlageuniversum aufnehmen. Wir betrachten die Börsenkapitalisierung und Liquidität einer Aktie nach der Notierungsaufnahme. Unternehmen müssen mindestens 25 % ihrer Gewinne oder Erträge im FinTech-Geschäft oder mit der Digitalisierung des Finanzsektors erwirtschaften. Natürlich achten wir auch auf das Geschäftsmodell, die Märkte, in denen ein Unternehmen tätig ist, seine langfristigen Wachstumsmöglichkeiten und auf die Kompetenz des Managements. Wir investieren nur in Unternehmen, die bereits Gewinn machen oder bei denen klar erkennbar ist, dass sie in den nächsten sechs bis acht Quartalen die Gewinnschwelle erreichen werden. Und schließlich muss auch der Preis bei einem IPO stimmen. Unser Ansatz für sämtliche Investments – auch bei IPOs – basiert auf Wachstum zu einem vernünftigen Preis.
Nach wie vor investieren zwar überwiegend private Risikokapitalgeber in FinTech-Unternehmen. Im FinTech-Segment kann man aber auch bereits über börsennotierte Titel investieren, die eine durchschnittliche Marktkapitalisierung von mehr als zehn Mrd. US-Dollar aufweisen. Zu den Vorteilen börsennotierter FinTech-Unternehmen gehört ihre höhere Liquidität; denn Anteile an von Risikokapitalgebern gehaltenen Vermögenswerten können häufig bis zu sieben Jahre oder sogar noch länger nicht veräußert werden. Außerdem sind börsennotierte FinTech-Titel weniger riskant. Viele Start-Ups scheitern, während die Überlebensfähigkeit der Unternehmen, die es an die Börse schaffen, einigermaßen gesichert erscheint. Dabei muss das niedrigere Risiko nicht zulasten der Rendite gehen. Einige börsennotierte FinTech-Unternehmen haben ihren Wert bereits vervielfacht. Und in den nächsten Jahren erwarten wir zahlreiche FinTech-Börsengänge, insbesondere im Softwarebereich und in Asien. ”