Knifflige Frage: China oder USA?

"Wenn es etwas gibt, was mich derzeit stark beschäftigt, dann ist es nicht die Volatilität an den Finanzmärkten. Es ist nicht der schnellste Kursrutsch aller Zeiten bei globalen Aktien oder die Erholung des S&P 500 Index um fast 20 % in den letzten beiden Wochen. Die Märkte haben es nun einmal an sich, dass die Kurse fallen und wieder steigen. Letztlich sind die Fundamentaldaten – genauer gesagt die Unternehmensgewinne – entscheidend und bestimmen das Ergebnis. Was mich dagegen intensiv beschäftigt, ist die Frage, was als nächstes auf die Anleger zukommt. In Bezug auf Aktien ist nach der jüngsten Panik und anschließenden Erholung die wichtigste Frage, wie man sein Kapital auf der regionalen Ebene investieren soll", schreibt Fabiana Fedeli, Global Head of Fundamental Equities bei Robeco. Robeco | 20.04.2020 12:30 Uhr
Fabiana Fedeli, Global Head of Fundamental Equities, Robeco / © Robeco
Fabiana Fedeli, Global Head of Fundamental Equities, Robeco / © Robeco
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die Finanzmärkte machen uns in gewisser Weise demütig. Man denkt, man habe bereits alles erlebt, oder zumindest fast alles, und dann kommt etwas völlig Unvorhergesehenes. Im letzten Quartalsausblick hatten wir unter der Überschrift „Was schief gehen könnte“ geopolitische Risiken erwähnt. Eine globale Pandemie dagegen stand dagegen keineswegs oben auf unserer Liste. Anerkennung an Bill Gates, der vorausschauender war als wir. Wir nehmen die derzeitige Situation nicht leicht. Man sollte niemals über Verluste an Menschenleben einfach hinweggehen. Die Tragödie, die wir derzeit erleben, wird in unseren Köpfen und Herzen auf Jahre hin präsent sein. 

Die Regierungen und Notenbanken haben beispiellose Schritte unternommen, um mit dem Ausbruch des Coronavirus zurechtzukommen, seine Ausbreitung einzudämmen und die Auswirkungen auf unser Leben zu begrenzen. Die anschließende weltweite Einschränkung der Wirtschaftstätigkeit ist mit nichts vergleichbar, was wir bisher erlebt haben. Von den Ausgangsbeschränkungen – den sogenannten „Lockdowns" – ist mittlerweile mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung betroffen. Die daraus resultierenden wirtschaftlichen Verwerfungen werden enorm sein. Der Verkehr von Menschen und Waren ist stark eingeschränkt und eine globale Rezession ist so gut wie unvermeidlich.

In Ländern denken, nicht Regionen

Die ersten Korrekturen bei Makrodaten und Unternehmensgewinnen sind nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Die Gewinne bestimmen maßgeblich die Entwicklung an den Aktienmärkten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheint es absehbar, dass die Unternehmensgewinne im ersten Halbjahr 2020 weltweit erheblich beeinträchtigt werden. Allerdings sollten sich diejenigen Länder besser entwickeln, die imstande waren, ihre Wirtschaft wieder früher in Gang zu bringen. Das erklärt auch, weshalb sich die Aktienmärkte in China (CSI 300 Index), Taiwan (TWSE Index) und Korea (Kospi Index) seit dem Beginn des Kursrutsches an den Börsen überdurchschnittlich entwickelt haben. So haben diese drei Länder früher auf das Coronavirus und dessen Auswirkungen reagiert und konnten bereits zu einer wieder eher normalen Wirtschaftsaktivität und Nachfrage zurückkehren. 

Insbesondere Taiwan und Südkorea haben aus der SARS-Epidemie in den Jahren 2002-2004 wichtige Schlüsse gezogen. Von daher war sie auf einen neuerlichen Ausbruch besser vorbereitet und litten unter noch geringeren wirtschaftlichen Verwerfungen als China. In allen drei Ländern haben die Aktienmärkte seit dem 21. Februar besser als der S&P 500 Index (in US-Dollar) abgeschnitten, auch wenn die Börsen in Taiwan und China während der globalen Erholung etwas an Boden verloren.

Auf diese drei Länder zusammen entfallen rund 65 % der Marktkapitalisierung des MSCI Emerging Markets Index. Im Vergleich dazu machen die USA, Kontinentaleuropa und Großbritannien, wo derzeit noch für die Wirtschaft gravierende Abriegelungsmaßnahmen in Kraft sind, mehr als 80 % des MSCI World Index aus. Der Unterschied schlägt sich deutlich in den jüngsten Gewinnrevisionen nieder. Diese sind in den entwickelten Ländern (-62 %) weit stärker ausgeprägt als in den Schwellenländern (-38 %). Das macht sich auch bei den Schätzungen für das BIP-Wachstum im Jahr 2020 bemerkbar. 

Die meisten Volkswirte, deren Prognosen wir folgen, erwarten nach wie vor ein sehr moderates Wachstum für die Emerging Markets (in einer Größenordnung von rund 1 %). Dabei liegen China, Taiwan und (wenn auch knapp) Korea noch in positivem Territorium. Gleichzeitig wird für die entwickelten Länder ein Rückgang von fast 3 % erwartet, wobei die Entwicklung in allen wichtigen Volkswirtschaften negativ ausfallen dürfte. Natürlich sind diese Prognosen nur Momentaufnahmen und könnten sich weiter verschlechtern. Der Unterschied zwischen den Schwellenländern und den entwickelten Ländern dürfte aber fortbestehen. 

Bedeutet das, dass die Schwellenländer als Region auf absehbare Zeit besser abschneiden werden als die entwickelten Länder? Das ist aus meiner Sicht eine knifflige Frage. Im investierbaren Universum der Schwellenländer befinden sich 65 % – also China, Korea und Taiwan – wieder im wirtschaftlichen Normalzustand oder sind auf dem Weg dahin. Natürlich werden wahrscheinlich alle drei Länder unter einer globalen Rezession leiden – aber vermutlich weniger als europäische Länder und die USA, wo die Wirtschaft noch weitgehend stillsteht. An den Aktienmärkten haben wir zunächst einen Ausverkauf erlebt und anschließend eine Erholung. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es von jetzt an in einem Rutsch nach oben geht. Stattdessen sollten wir uns auf eine weitere Korrektur gefasst machen. 

Wir sollten mit weiteren negativen Nachrichten rechnen: Unternehmen mit Refinanzierungsproblemen im Hochzinssegment, einer weiteren oder stetiger als erwartet erfolgenden Ausbreitung des Coronavirus, verzögerten Reaktionen der Politik und möglicherweise einer zweiten Ansteckungswelle. Vor allem sollten wir von einer Verschlechterung der Fundamentaldaten und von einer negativen Gewinnentwicklung ausgehen. Sobald die Gewinne bekanntgegeben werden, werden sie sich auf die Börsenentwicklung und die Volatilität am Aktienmarkt auswirken. Und hier liegt das Problem: Beim Beginn einer globalen Rezession entwickeln sich Aktien erfahrungsgemäß schlechter als andere Anlageklassen, während innerhalb des Aktiensegments die US-Börse besser als die Märkte anderer Regionen abschneidet. Das resultiert natürlich aus der Einschätzung der USA als „sicherer Hafen“ und einer Präferenz für Assets, die auf US-Dollar lauten. 

Sollten wir also aktuell die entwickelten Länder gegenüber den Emerging Markets vorziehen, ungeachtet der unterschiedlichen Konjunkturperspektiven? Oder sehen wir die Schwellenländer vielleicht zu negativ und sollten stattdessen auf die dort vergleichsweise guten Gewinnerwartungen vertrauen? 

Aus meiner Sicht ist es am sinnvollsten, die Schwellenländer nicht lediglich als homogene Gruppe im Vergleich zu den entwickelten Ländern zu betrachten. Stattdessen muss man stärker ins Detail gehen. In den nächsten Quartalen wird die Länderallokation ein wichtiger Erfolgsfaktor sein; tatsächlich ist sie künftig wichtiger denn je. 

Wenn man die nordasiatische Region gegenüber den USA bevorzugt, heißt das nicht, dass sich alle aufstrebenden Länder rasch oder schon bald wieder erholen. Sorgen bereiten mir insbesondere die Länder, in denen die Reaktion der Politik sich als eher langsam erweist (zum Beispiel Brasilien und Mexiko). Ähnliches gilt für Länder, in denen sich das Virus nur sehr schwer eindämmen lassen dürfte (wie im Fall Indiens), oder Länder, in denen die Haushaltslage den Spielraum der Regierung zur Intervention beschränkt (Südafrika).

Wählerisch bleiben

„Wählerisch bleiben“ wird auch auf der Einzeltitelebene die Devise lauten. Man sollte nicht zu verallgemeinernd denken. Die Erfahrung sagt uns, dass man im gegenwärtigen Markt nicht undifferenziert kaufen sollte. Wir müssen sicherstellen, dass wir sowohl die richtigen Länder als auch die richtigen Aktien auswählen. Bei einer Erholung werden davon alle Aktien profitieren. Doch sobald die Auswirkungen auf die Unternehmensgewinne deutlich werden, werden wir nach und nach imstande sein, Gewinner und Verlierer auseinanderzuhalten. Einige Unternehmen werden sich mit der Erholung schwerer tun; anderen gelingt es möglicherweise nie. Wir müssen dafür sorgen, dass die Aktien in unseren Portfolios die derzeitige Krise bestehen können. Die wichtigsten Aspekte, die man im Blick behalten muss, sind die Gewinnausblicke sowie Liquiditäts-/Bilanzrisiken.

Bei einigen Unternehmen ist die Situation eindeutiger als bei anderen: Größere Schwierigkeiten haben unter anderem Firmen mit saisonal geprägtem Geschäft, wo die Ware nur in einem kurzen Zeitraum verkauft werden kann, bevor sie ins Lager wandert. Ein weiteres Beispiel sind Unternehmen, die von komplexen und globalen Lieferketten abhängig sind, bei denen es derzeit zu Unterbrechungen kommt. Irgendwann dürfte sich die Nachfrage erholen, doch könnte es länger dauern, bis auch das Angebot wieder auf dem alten Niveau ist. In anderen Branchen könnte es zu einer kräftigen und abrupten Erholung der Nachfrage kommen. Doch das Ausmaß des vorangegangenen Rückgangs könnte einigen Unternehmen die Existenzgrundlage entzogen haben. 

Firmen mit unsoliden Bilanzen, die ihr Working Capital nicht refinanzieren können, überleben möglicherweise nicht. Wahrscheinlich werden wir in Zukunft Restrukturierungen und Konsolidierungen erleben. Bei einigen anderen Unternehmen wird sich die Risikosituation weniger eindeutig darstellen. Meiden sollte man solche, die „gesellschaftlich notwendige“ Dienstleistungen erbringen wie zum Beispiel Banken für den Publikumsverkehr. Ihre Bonität wird sich wahrscheinlich verschlechtern. Vorsicht ist auch im Hinblick auf regulierte Branchen sowie Bereiche mit niedriger Besteuerung angezeigt. Schließlich werden die Regierungen ihre Haushalte wieder konsolidieren müssen.

Alle unsere Investmentteams haben in den letzten Wochen schrittweise und selektiv Käufe getätigt. Als langfristige Aktienanleger wissen wir aus Erfahrung, dass die beste Strategie darin liegt, langsam und allmählich wieder in den Markt einzusteigen. Den Tiefstand der Märkte zu identifizieren, ist so gut wie unmöglich. Hier spielen viele exogene und schwer zu prognostizierende Faktoren eine Rolle (beispielsweise Timing und Inhalt politischer Entscheidungen sowie die weitere Ausbreitung des Virus). 

Sehr wahrscheinlich werden wir irgendwann eine weitere Gelegenheit zum Kaufen bekommen. Die Nachrichten zur Ausbreitung des Coronavirus und zu den wirtschaftlichen Auswirkungen sowie weitere Belastungen an den Hochzinsmärkten könnten die Börsen erneut erschüttern. Bei den Gewinnschätzungen wird es noch zu einer weiteren Runde an Abwärtsrevisionen kommen. Doch wir bleiben geduldig. Auch wenn es kein Vergnügen ist, sich mitten in einem Marktkollaps zu befinden, wissen wir aus Erfahrung, dass dies eine gute Gelegenheit für langfristig orientierte, aktive Anleger ist.

Fabiana Fedeli, Global Head of Fundamental Equities bei Robeco

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