Die starke weltweite Dynamik ist vorbei, langsamer wachsende Volkswirtschaften sind die neue Normalität. „In diesem Umfeld gilt es, Investmentthemen zu finden, die nicht so stark vom globalen wirtschaftlichen Wachstum abhängen. Eine ganze Reihe solcher Themen gibt es in den Emerging Markets“, sagt UBS-Aktienexperte Geoffrey Wong. Er sieht dort nach wie vor langfristige starke strukturelle Treiber, die Anlagechancen in mehreren Bereichen eröffnen.
Konsum: Steigende Löhne sorgen für mehr frei verfügbares Kapital
„Steigende Löhne lassen in den Schwellenländern mehr als 400 Millionen Menschen von der Mittelschicht in die gehobene Mittelschicht aufsteigen“, sagt Wong. Weitere Wachstumstreiber sind die in den Städten lebenden, jungen, technisch versierten Konsumenten sowie ein zahlenmäßig verbessertes Verhältnis von arbeitender zu nicht-arbeitender Bevölkerung. Diese Entwicklungen sorgen dafür, dass die Menschen mehr Geld zur freien Verfügung haben. „Davon profitieren zum Beispiel die Bereiche Freizeit, Unterhaltung, Schnellrestaurants und Reisen“, sagt der Emerging-Markets-Spezialist. Er sieht zudem einen Trend hin zu Markenprodukten, etwa im Nahrungsmittel-, Kosmetik- und Textilbereich. Außerdem wachsen die Online-Vertriebskanäle rasend schnell. In China beispielsweise ist der E-Commerce-Anteil im Einzelhandel in nur fünf Jahren von rund zwei auf etwa 14 Prozent gestiegen.
Gesundheit: Erhöhte Nachfrage und innovative Unternehmen
Mit zunehmendem Wohlstand wächst auch die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Gesundheitsdienst-leistungen. Parallel mit dem steigenden Lebensstandard steigt das Risiko für damit verbundene Krankheiten wie Fettleibigkeit oder Herzkrankheiten, die entsprechende Behandlungen erfordern. Zudem altert in einigen Schwellenländern die Bevölkerung. Die privaten Ausgaben für die Gesundheit sind in Indien, Vietnam, Indonesien, den Philippinen und China in den vergangenen Jahren schon zweitstellig gewachsen. Aber nicht nur die steigende Nachfrage macht den Sektor attraktiv für Investoren. „Wir sehen erste Anzeichen für einen aufkommenden Biotech-Sektor in China und Südkorea“, sagt Wong. Interessant sind für ihn ebenfalls Pharmaunternehmen, die auf Innovationen setzen und sich von Wettbewerbern differenzieren. Einige Regierungen unterstützen solche Innovationen. In China und Südkorea zum Beispiel gibt es Preiskontrollen für Generika.
IT: Hohe Wachstumsdynamik rund ums Internet
Viele IT-Unternehmen aus den Emerging Markets konkurrieren direkt mit Unternehmen aus den Industrieländern. Daneben gibt es Firmen, vor allem aus den Bereichen Software sowie Internet-Software und Internet-Services, die sich eher auf die lokalen Märkte konzentrieren. „Das Internet hat hohes Wachstumspotenzial in den Schwellenländern und bietet gute Anlagemöglichkeiten“, sagt Wong. Er erwartet, dass bestehende Marktsegmente wie digitale Werbung, Suchmaschinen, Videos oder Spiele in einigen Ländern weiter dynamisch wachsen, und dass sich daneben neue Marktsegmente entwickeln. Ebenso dürfte sich das Wachstum des E-Commerce beschleunigen und den traditionellen Handel unter Druck setzen. „Die Internetnutzung, die in den einzelnen Ländern noch sehr unterschiedlich ist, wird zunehmen. Erreichen die Schwellenländer eine Durchdringung auf dem Niveau der Industrieländer, könnte es weitere zwei Milliarden Internetnutzer in den Emerging Marktes geben“, sagt Wong.
Finanzen: Banken mit Dividendenpotenzial
In einem Umfeld mit wenig Wachstum stehen Banken in den Schwellenländern viele Hebel zur Verfügung, um ihr Gewinn- und/oder Dividendenwachstum zu stützen – und bieten somit interessante Anlagechancen. Wenn das Umsatzwachstum fehlt, können die Gewinne vor allem durch niedrigere Risikokosten und in geringerem Maße durch mehr Kosteneffizienz gesteigert werden. Da viele Banken sehr hohe Kapitalreserven haben, bleibt ihnen genügend Spielraum, um Überschusskapital an Aktionäre auszuschütten. „Die Auszahlungsquoten bei Dividenden können deutlich steigen“, meint Wong.
Rohstoffe: Gewinnen mit günstigem Öl
Der Einbruch des Ölpreises im Jahr 2016 hatte eher strukturelle als zyklische Gründe und hat die internationalen Ölgesellschaften vor große Herausforderungen gestellt. Eine positive Ausnahme – auch bei der Aktienkursentwicklung – sind russische Ölfirmen. Gründe dafür sind die niedrigen Förderkosten in Russland, die Abwertung des Rubels und ein fortschrittliches Steuersystem, das die Steuersätze an den Ölpreis bindet. Dies könnte auch künftig zu einer Outperformance der russischen Werte führen. Als Profiteure des niedrigen Ölpreises sieht Wong die asiatische Petrochemie und die Zementindustrie. Bei letzterer zählt weniger der globale Angebots-Nachfrage-Druck, sondern lokale Faktoren sind entscheidend. „In Indonesien und Indien sehen wir das größte Wachstumspotenzial für die Zementbranche, beide Märkte sind noch in der frühen Entwicklungsphase“, so Wong.
Fazit: Die Schwellenländer befinden sich am Anfang einer Erholungsphase, wobei einige Länder bereits eine Zunahme der Aktivitäten verzeichnen. Die Rohstoffpreise haben sich stabilisiert. Die Kurse der Schwellenländerwährungen sind auf attraktive Niveaus gefallen, und in den meisten Schwellenländern sind erste Anzeichen des Schuldenabbaus zu erkennen. Die Situation ähnelt einer u-förmigen Erholung, die jener der USA ab 2009 ähnelt. Berücksichtigt man vor allem die moderaten Bewertungen und die Positionierung der globalen Anleger unterhalb der Benchmark, sollte diese Erholung ausreichen, um zu einer Outperformance der Anlageklasse Schwellenländeraktien beitragen zu können.