„Wie erwartet revidierte die EZB auf ihrer Juni-Sitzung sowohl ihre Prognosen als auch ihre Forward Guidance und kündigte ein vorzeitiges Ende der Netto-QE-Käufe an, bevor sie im Juli mit einer Zinserhöhung um 25 Basispunkte die Zinswende einleitet. Die Frage bezüglich der zweiten Zinserhöhung ist nicht, wann sie erfolgt, sondern wie hoch sie sein wird. Je nach den aktualisierten mittelfristigen Inflationsaussichten könnte eine Erhöhung um 50 Basispunkte folgen.
Es überrascht nicht, dass der EZB-Rat noch keine Details zum Tempo der nachfolgenden geldpolitischen Anpassungen nannte, da er sich auf den ersten Schritt dieses Weges konzentrierte. Der EZB-Rat tendierte zwar zu einer restriktiven Haltung und sprach von einem stetigen, aber nachhaltigen Kurs, betonte aber gleichzeitig seinen datenabhängigen Ansatz. Die Renditen 10-jähriger Bundesanleihen stiegen nach der Entscheidung, während der Euro zunächst etwas an Boden verlor, da die Märkte immer noch von einer langsameren Straffung ausgehen als in den USA und in Großbritannien.
Die EZB hat ihre Prognosen für die Inflation nach oben und für das Wachstum nach unten korrigiert. Wir stimmen mit der EZB überein, die von einer „unerwünscht hohen Inflation für einige Zeit" ausgeht, nämlich 6,8 % im Jahr 2022 und 3,5 % im Jahr 2023. Die Aussichten für das Wirtschaftswachstum liegen bei 2,8 % im Jahr 2022 und 2,1 % im Jahr 2023. Allerdings sehen wir Risiken für ein schwächeres Wachstum, was die EZB in Zukunft erneut zu einer vorsichtigeren Haltung veranlassen könnte.
Christine Lagarde bekräftigte, dass sie bei Bedarf neue Instrumente entwickeln und einsetzen könnte, um die Risiken einer Fragmentierung in der Eurozone zu verhindern. Sie vermied es jedoch, näher darauf einzugehen, wie ein neues Instrument aussehen könnte. Zudem deutete sie an, dass die verbalen Zusagen und die Reinvestition der QE-Käufe die bevorzugte Option der EZB bleiben, bis sich die Spreads der Anleiherenditen auf einem nachhaltigen Niveau befinden. Das Risiko für die Anleger, dass sich die Anleihespreads ausweiten, bleibt bestehen."
Pietro Baffico, European Economist bei abrdn