Den Hintergrund dieses vierteljährlichen Rückblicks bildet leider nach wie vor die Tragödie des anhaltenden Krieges in der Ukraine mit ihren Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Markt. Da der Krieg nun bereits über sechs Monate andauert – und kein greifbares Ende in Sicht ist – könnte er zusehends als „normaler“ Faktor gewertet werden. Aber derzeit erschüttern seine Auswirkungen weiterhin die Märkte.
Diese Effekte waren am stärksten an den Rohstoffmärkten und insbesondere im breiteren Energiesektor zu spüren. Im letzten Quartal verzeichneten viele dieser Märkte eine willkommene Erholung von den Preisanstiegen. Die Inflation steht jedoch nach wie vor im Zentrum der (geld-)politischen Herausforderungen, denen sich die Zentralbanken und Regierungen rund um den Globus gegenübersehen.
Wie beurteilen Sie die Weltwirtschaft?
Der Weltwirtschaft schlägt aus mehreren Richtungen Gegenwind entgegen – eine Entwicklung, die mit zunehmender Wahrscheinlichkeit in eine Rezession münden wird. Die chinesische Wirtschaft schrumpft infolge der Null-Covid-Politik des Landes, obwohl sich das Wachstum wieder erholen dürfte, wenn die schlimmste Lockdown-Phase überstanden ist. Russland befindet sich aufgrund der westlichen Sanktionen in einer tiefen Rezession, auch wenn diese nicht so gravierend wie zunächst erwartet ausgefallen ist. Und Europa machen die höheren Energiepreise zu schaffen, die eine rapide Verschlechterung der Terms of Trade bewirken, die Realeinkommen unter Druck setzen und den Konsum bremsen.
Vor der größten Herausforderung stehen jedoch die USA: Damit die übermäßige Inflation unter Kontrolle gebracht werden kann, bedarf es wohl eines deutlichen Anstiegs der Arbeitslosigkeit. Wahrscheinlich müssten weitere aggressive Zinserhöhungen und ein strafferes Finanzierungsumfeld eine Rezession auslösen. Eine Kontraktion der größten Volkswirtschaft der Welt wäre wiederum mit stark negativen Abstrahleffekten auf das globale Wachstum verbunden, vor allem im Zusammenspiel mit der raschen Straffung der Finanzierungsbedingungen in einigen anderen Industrie- und Schwellenländern.
Nicht vergessen werden sollte jedoch, dass sich Konjunkturprognosen in Anbetracht der wirtschaftlichen Auswirkungen der Erholung von der Covid-Pandemie und des Krieges in der Ukraine gepaart mit den historisch niedrigen Zinsen vor dem Hintergrund eines derart angespannten Arbeitsmarkts noch schwieriger gestalten als sonst. Insofern sind - obwohl eine globale Rezession immer wahrscheinlicher erscheint - auch andere Szenarien denkbar, von denen einige möglicherweise angenehmer sind.
Märkte – starke Unsicherheit, aber eine gewisse Erholung gegenüber der früheren Schwäche
Interessanterweise haben die Anleihen- und Aktienmärkte, da sich der Konjunkturhimmel weiter verdüstert hat, einen Teil ihrer Gelassenheit wiedergewonnen, die sie nach ihrem schwachen Jahresauftakt an den Tag gelegt haben. Diese Entwicklung könnte zum Teil auf das alte englische Sprichwort zurückgehen, dass es besser ist, hoffnungsvoll zu reisen als anzukommen, wobei die früheren Rückgänge die düsteren Schlagzeilen vorweggenommen haben, die nun die Titelseiten unserer Zeitungen beherrschen.
Bemerkenswert ist jedoch, dass der Unternehmenssektor weiterhin über den Erwartungen liegende Gewinne und Cashflows erwirtschaftet, die einige düsterere Prognosen infrage stellen. Dies mag vielleicht nur eine Frage des Zeitpunkts sein – und der erwartete Abschwung tritt etwas später ein als zunächst angenommen – ist aber dennoch erwähnenswert.
Zuversichtlich gestimmt haben die Anleihenmärkte auch gelegentlich nicht ganz so schlecht wie prognostiziert ausgefallene Inflationsdaten. Folglich schwankten die Erwartungen zwischen der Einschätzung, dass die Fed die geldpolitischen Zügel noch viel stärker straffen muss, und der Ansicht, dass die Straffung nahezu beendet ist. Unseres Erachtens ist letztere Einschätzung etwas zu optimistisch, aber sie erklärt sicherlich einen Teil der jüngsten Bewegungen.
Der Ausblick für Anlagen unterliegt nach wie vor vielfältigen Einflussfaktoren
Zwar ist gegenüber der Marktschwäche zu Beginn dieses Jahres eine gewisse Erholung zu erkennen, doch der Ausblick gestaltet sich nach wie vor vielschichtig. „Beispiellos“ ist zwar ein überstrapaziertes Wort im aktuellen Anlagelexikon, beschreibt aber leider einen Großteil des von uns untersuchten geopolitischen, wirtschaftlichen und Marktumfelds.
Doch wie immer werden die Märkte für all jene, die willens sind, ihre Hausaufgaben zu machen, die Nerven zu behalten und langfristig zu investieren, Anlagechancen bereithalten.
Richard Dunbar, Head of Multi-Asset Research, abrdn