Weinflaschen und Marmeladengläser aus Plastik sowie lange Wartelisten bei Luxusglasartikeln könnten wegen der Energiekrise schon bald zum Alltag gehören.
Glashersteller verbrauchen Unmengen an Energie, weshalb sie die durch die Decke gehenden Öl- und Gaspreise besonders hart treffen. Gegenwärtig sehen sie sich gezwungen, die Preise für ihre Produkte um rund 35% anzuheben, wobei das noch nicht das Ende der Fahnenstange sein könnte. Zudem wird befürchtet, dass die Weitergabe dieser Kosten an die Verbraucher einen Preisanstieg zur Folge hat, durch den Glasverpackungen, vor allem für Lebensmittel und Getränke, schlicht und ergreifend zu teuer werden. Dann werden die Verbraucher günstigere alternative Verpackungen fordern.
Das Glas ist halb leer
Schon jetzt bereitet sich der Markt für Luxusglasprodukte auf deutlich höhere Energiekosten vor. Viele Glaswerkstätten auf der Venedig vorgelagerten Insel Murano haben den Betrieb bereits eingestellt, denn die hohen Energiekosten verteuern ihre Dekorationsartikel derart, dass sie wohl darauf sitzen bleiben würden. Kunden, die Vasen und feine Kristallgläser aus Venedig kaufen möchten, könnten sich diesen Winter langen Wartelisten gegenüber sehen. Auch der Hersteller der weltberühmten Riedel-Gläser erwägt Betriebsschließungen in Österreich und Deutschland. Denn die Schamottausmauerung in den Glasöfen kann reißen, wenn diese abkühlen. Eine Betriebspause wegen einer möglichen Gasrationierung kommt daher nicht in Frage.
Das Glas ist halb voll
Glas ist jedoch zu 100% recycelbar, weshalb es eine der umweltfreundlichsten Lösungen zur Aufbewahrung von Lebensmitteln und Getränken bleibt. Angesichts der großen Herausforderungen beobachten wir überraschende Reaktionen der Unternehmen auf die Energiekrise, denn alle suchen nach innovativen, besseren Lösungen.
Virdrala ist einer der führenden Glasbehälterhersteller in Westeuropa mit Standorten in Spanien, Portugal, Italien, Großbritannien und Irland. Es stellt eine breite Palette von Glasbehältern her, von denen pro Jahr etwa acht Milliarden Stück verkauft werden. Davon sind 35% Weinflaschen und 26% Bierflaschen. Der Rest verteilt sich auf Lebensmittel, Spirituosen und alkoholfreie Getränke.
Um die aktuellen Herausforderungen zu meistern, konzentriert sich Virdrala verstärkt auf das Glasrecycling: 2021 stammte der Rohstoff für die produzierten Gläser zu 48% aus dem Recycling. Außerdem hat Virdrala die Sammelquote für Altglas gesteigert, um die Produktion effizienter zu machen und höhere Gewinne zu erzielen. Das Unternehmen arbeitet darüber hinaus mit einer Nichtregierungsorganisation zusammen, die die Menschen zum Recycling motiviert und das Glas einsammelt, das dann zum Einschmelzen an Virdrala geliefert wird.
Zu den längerfristigen Maßnahmen von Virdrala gehört die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen der Glasindustrie. Mit ihnen forscht es unter anderem an wasserstoffbetriebenen Hybridöfen, die die künftige Energieversorgung der Branche antreiben könnten.
Die Glashersteller erforschen derzeit auch Innovationen wie die Senkung der Schmelztemperatur von Glas durch die Zugabe von Asche, wodurch das Glas allerdings nicht ganz so rein wird und mehr Bläschen aufweist. Auch die verstärkte Nutzung von Wind- und Sonnenenergie wird derzeit erforscht.
Wie geht es weiter?
Die Energiekrise wird zweifellos der Initialzünder für eine Vielzahl innovativer Lösungen sein. Sind Weinlieferungen in wiederverwendbaren Flaschen in einem Kreislaufsystem denkbar? Oder mehr Lebensmittel und Getränke in Aluminiumdosen? Werden viel mehr Lebensmittel in wiederverwertbaren Kunststoff- oder Papierverpackungen angeboten werden?
Zu den innovativsten Unternehmen in diesem Bereich gehört Corbion aus den Niederlanden. Es hat sich auf PLA, eine auf Biomasse basierende und biologisch abbaubare Kunststoffverpackung, spezialisiert, die aus erneuerbaren Ressourcen hergestellt wird. PLA ist robust genug, um konventionelle Kunststoffe zu ersetzen. Zudem kann es kompostiert werden und zerfällt dabei in CO2, Wasser und Biomasse.
Angesichts der vielen Herausforderungen ist neben einer nachhaltigeren und, wo möglich, auch traditionelleren Handhabung innovatives Denken gefordert. Nach dem Vorbild der guten, alten Stückseife ist auch Shampoo nun unverpackt in festen Stücken erhältlich. Werden wir in Zukunft möglicherweise wieder in den Geschäften und Supermärkten vor Ort mitgebrachte Flaschen mit Wein und Öl befüllen, wie es in Teilen Südeuropas auch heute noch üblich ist?
Was bedeutet all das für Anleger?
Unsere Aufgabe als Gesellschaft ist es, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern. Von der aktuellen Energiekrise könnte der Druck ausgehen, den wir brauchen, um einen Wandel herbeizuführen. Bei vielen Glasunternehmen, denen die Energiekrise zusetzt, handelt es sich um kleine Unternehmen. Aufgrund ihrer geringen Größe sind sie flexibler als ihre größeren Mitbewerber und sind dadurch möglicherweise besser in der Lage, sich schnell anzupassen und alternative Lösungen zu entwickeln. Daher können schwierige Zeiten Chancen für gut geführte, innovative Unternehmen eröffnen. Und solche Unternehmen wiederum bieten gewissenhaften Anlegern interessante Anlagemöglichkeiten. Vielleicht ist es doch an der Zeit, das Glas zu erheben.