Zudem stehen 2019 verschiedene Wahltermine an, wie die vorgezogenen Parlamentswahlen in Spanien und die Europaparlamentswahl vom 23. bis 26. Mai. Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre rechnen viele Investoren mit populistischen Turbulenzen und fürchten mögliche Auswirkungen auf die Märkte. Nimmt man dazu noch die Handelskonflikte zwischen US-Präsident Trump und großen Teilen der restlichen Welt, verwundert es nicht, dass Anleger inzwischen das Unerwartete erwarten. So pendeln die Märkte, je nach Präsidenten-Tweet, zwischen Depression und Euphorie.
In all diesen Fällen gilt: Anleger übertragen ihre Erfahrungen aus der Vergangenheit gerne auf die Zukunft – eine sehr menschliche Reaktion in ungewissen Zeiten. Dazu kommt häufig ein kräftiger Schuss Wunschdenken, nach dem Motto: "Auf allen Seiten sollten vernünftige Menschen sein. Wähler und Politiker kennen doch den Schaden, den sie – nicht zuletzt für sich selbst – anrichten könnten. Sicherlich werden sie so entscheiden, wie ich es vernünftig fände."
Genau dieser Denkansatz ließ die Märkte 2016 die Wahrscheinlichkeit eines Votums der britischen Wähler für einen Austritt aus der Europäischen Union unterschätzen. Ähnlich lief es bei Trumps Wahlsieg im Wahlkollegium. Wie wir in unserem Spezial zum Welthandel im Mai 2018 argumentierten, könnte eher China und nicht Brüssel oder Mexiko für das Wahlergebnis verantwortlich sein. In beiden Fällen deutet die Verteilung der Wählerstimmen auf eine starke Korrelation zwischen Abstimmungsmustern und lokalem wirtschaftlichen Abschwung, ausgelöst durch steigende Importe aus China. Dies mag wiederum die fremdenfeindliche Stimmung verstärkt haben, egal ob sich Migration in einer bestimmten Region spürbar auswirkt oder nicht.
Mit Hilfe solcher oft überraschender Muster versuchen wir, politische Risiken zu analysieren und vorherzuberechnen. Seit Jahrzehnten steigt die Wechselfreudigkeit vieler Wähler, sodass sich Wahlüberraschungen häufen. Diese erhöhen wiederum die Wahrscheinlichkeit politischer Pannen; die drohende Aussicht auf einen harten, chaotischen Brexit ist nur eines von vielen Beispielen. Wahlüberraschungen kommen allerdings selten ganz unverhofft. In den meisten Fällen gibt es genügend Hinweise auf zugrunde liegende Muster. So deutet beim Beispiel Welthandel etwa einiges darauf hin, dass es sich nicht nur um ein individuelles Kernthema des US-Präsidenten handelt, sondern es weit verbreitete, tiefer liegende Widerstände gegen die Globalisierung gibt.
Aber nur wenige dieser Muster sind allgemein gültig und lassen sich so leicht übertragen wie das Narrativ, nach dem China als Katalysator für Populismus mitverantwortlich für Brexit und Trump ist. Dies ist zum Teil auf unterschiedliche politische Traditionen und Wahlsysteme zurückzuführen, die eine gründliche Analyse erfordern. Wie wir in unserem Ausblick auf die Europawahlen schreiben, ist Populismus in Kontinentaleuropa kein neues Phänomen. In vielen Ländern gibt es entsprechende Parteien schon seit Jahrzehnten. Einige von ihnen verzeichneten bei vergangenen Wahlen bereits schnelle Erfolge – und ebenso schnelle Abstürze. Einige waren schon bei der Europawahl 2014 erfolgreich. Umfrageergebnisse sowie bisherige Erfahrungen lassen den Schluss zu, dass die Europawahl 2019 für viele vormalige populistische Gewinner eher enttäuschend ausfallen könnte, von Italien mal abgesehen. Ein Aufbegehren gegen den Status quo muss schließlich nicht unbedingt extrem oder euroskeptisch sein. Außerdem sind in einigen Mitgliedsländern, wie etwa in Polen, populistische Kräfte bereits lange genug an der Macht, um vielleicht selbst Ziel des Wählerzorns zu werden. Insgesamt lassen die Umfragen derzeit eher vermuten, dass die sozialliberalen, allgemein pro-europäischen und marktfreundlichen Kräfte recht gut abschneiden dürften.
Einige Lehren können aber vielleicht doch gezogen werden. Vor 27 Jahren verkündete der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das "Ende der Geschichte". (Francis Fukuyama (1992): Das Ende der Geschichte (The End of History and the Last Man), Kindler) Damit meinte er, dass es zu freiem Markt und liberaler Demokratie keine ideologische Alternative mehr gäbe. Doch in vielen Ländern endete diese Ära spätestens 2016. Jede Menge Alternativen haben sich – oft atemberaubend schnell – aufgetan. Politische Ungewissheit ist keine vorübergehende Erscheinung. Sie ist das sichtbare Zeichen der, wie wir es nennen würden, "Rückkehr der Geschichte". Der ideologische Disput ist wieder da. Ihn richtig zu deuten, dürfte für eine erfolgreiche Vermögensanlage zunehmend wichtiger werden. Anstatt davon auszugehen, dass "so was niemals passieren könnte!", sollten wir uns überlegen, "was als nächstes passieren könnte?" Und dabei daran denken, dass nicht alle politischen Überraschungen negativ sein müssen.
Wie Populismus die Unsicherheit erhöht
Politische Unsicherheit ist nicht einfach eine vorübergehende Erscheinung. In vielen großen Demokratien sind die Wähler mit dem Status quo unzufrieden.