Osteuropa: Refinanzierung ist das Thema

Die Bewertungen der Aktienmärkte in Osteuropa reflektieren eine mehrjährige Rezession. Die Region wird jedoch nicht untergehen. Positive Überraschungen sind möglich. Warum die Refinanzierung im aktuellen Umfeld ein wichtiger Faktor ist, erklärt Matthias Siller, Osteuropa Fondsmanger von Baring. Funds | 18.03.2009 04:45 Uhr
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Osteuropa steht angesichts der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise vor großen Herausforderungen. Diese können jedoch von den Staaten und Unternehmen, die in der Region tätig sind, gemeistert werden. Die Aktienmärkte sind bereits extrem günstig bewertet. Eine Zusammenfassung interessanter Antworten von Matthias Siller, Osteuropa Aktienfondsmanger im EMEA Team von Baring Asset Management auf Fragen im Gespräch mit e-fundresearch.com und Investoren.

Wie beurteilen Sie die aktuelle makroökonomische Lage?

Matthias Siller: "Der synchronen Rezession auf globaler Ebene konnte sich Osteuropa naturgemäß nicht entziehen. Uns hat allerdings die Dynamik der Abwertung überrascht, vor allem in Russland (hier insbesondere auf Währungsebene). Zum Jahresauftakt hat sich allerdings eine mögliche Trendwende abgezeichnet, in der die Talsohle der Rubelabwertung durchschritten wurde. Wir glauben, dass Osteuropa vorhersehbarer geworden ist; lagen die Wachstumserwartungen für das BIP noch im September 2008 bei rund 5%, sind sie inzwischen auf neutral gefallen. Somit näherten sich allgemeine Schätzungen unseren Erwartungen, zugleich hat das Enttäuschungspotential erheblich abgenommen. Angesichts der schwachen konjunkturellen Lage erwartet Barings bzgl. der Gewinnerwartungen einen weiteren Rückgang um rund 30% gegenüber dem derzeitigen allgemeinen Konsens (IBES) - die Fundamentaldaten sind allerdings nicht „bearish“."

Wie stellt sich die Lage in Osteuropa dar?

Matthias Siller: "Ein Schlüsselfaktor wird 2009 die Refinanzierungsthematik sein. Wir schließen einen strukturellen Zusammenbruch der Banken in Osteuropa aus und glauben, dass Marktteilnehmer dies als positive Überraschung anerkennen werden. Die Leistungsbilanzdefizite sind nur ein Aspekt, der beim Finanzierungsbedarf eine Rolle spielt - oft wird z.B. übersehen, dass osteuropäische Zentralbanken ex Russland mit Einlagen von rund 250 Mrd. Euro über hohe Währungsreserven verfügen - Russland verfügt über ca. 400 Mrd. US-$ (S.7, 8). Viele Länder der Eurozone haben in dieser Hinsicht größere Probleme; so belaufen sich Italiens Staatsschulden auf ca. 380 Mrd. Euro, während in Russland lediglich einzelne Konzerne verschuldet sind. Osteuropas Privathaushalte sind laut Medien in hohem Maße überschuldet. Der kollektive Verschuldungsgrad fällt allerdings gemessen am BIP deutlich unter dem der Eurozone aus."

Wie setzt sich das Team zusammen und welchen Investmentprozess verfolgen Sie?

Matthias Siller: "Das Osteuropateam besteht aus fünf Analysten und Managern. Die Fondsmanager bei Barings sind i. d. Regel zugleich als Sektorspezialisten in ein globales Sektorenteam integriert. Durch diesen Umstand lassen sich Analysen auf mikro- und makroökonomischer Hinsicht sehr einfach in den globalen Kontext setzen, wie etwa Währungseffekte, etc. Das Team generiert rund 500 Firmenkontakte pro Jahr in dem von ihm abgedeckten Universum (EMEA). Die Portfoliogestaltung basiert vorrangig auf fundamentaler Einzeltitelselektion gemäß "GARP"-Ansatz. Makroökonomische Entwicklungen werden allerdings intensiv beobachtet und können, je nach Situation, aktiven Einfluss auf die Portfoliogestaltung haben."
 
Welche Investmentstrategie hatten sie in den letzten Monaten umgesetzt?

Matthias Siller: "Im vierten Quartal 2008 wurden Rohstoffe abgebaut, u. a. weil die Katalysatoren (Rohstoffpreise und Rubelabwertung) stärkere Ausmaße annahmen als erwartet. Der synchrone Verlauf in anderen Regionen hat sich in Russland nicht bestätigt - somit ergeben sich hier aufgrund von Missbewertungen an verschiedenen Stellen gute Kaufgelegenheiten. Russland erscheint uns seit Januar umso attraktiver, da wir davon ausgehen, dass der Rubel bis auf weiteres keine (nennenswerte) Abwertung mehr erfahren wird. Interne Stresstests haben gezeigt, dass es KEINE russischen Mineralölkonzerne gibt, die im gegebenen Umfeld keinen Profit erwirtschaften werden. Die Untergewichtung Russlands wurde im Januar aufgehoben, allerdings wird an der hohen Konzentration auf Einzeltitel festgehalten. Im Fokus stehen Konzerne mit aktuellem Wettbewerbsvorteil, bedingt durch die Währungsabwertung (Exporteure wie Gazprom), bzw. die Themen Binnennachfrage (Mobiltelefon, Banken) und zyklische Sektoren (NLMK) aufgrund des hohes Preisabschlags. Russische Retailfirmen haben ein attraktives Kursniveau, sind schuldenfrei und operieren in einem unterbesetzten Retailumfeld. Türkei wird weiterhin übergewichtet aufgrund der verbesserten Aussichten, u.a. vorangetrieben durch fiskalpolitische Maßnahmen (Senkung es Overnight-Zinses auf 13%). Die Untergewichtung von CE3 hat sich bislang ausgezahlt; aufgrund des Sentiments wird an einer Untergewichtung festgehalten. Innerhalb des Energiesektors bevorzugen wir aufgrund der sechsmonatigen Verzögerung der Gaspreise Öl- gegenüber Gaswerte."

Hat sich der Investmentprozess seit Q3/ Q4 2008 verändert?

Matthias Siller: "Nein, wir halten an der bisherigen Strategie fest, so dass keine signifikanten Abweichungen, etwa im Turn Over zu sehen sind."

Was spricht für osteuropäische Länder, in Zeiten, in denen die Eurozone angesichts der internen Probleme (z.B. Italien) ihre Aufmerksamkeit auf Kerneuropa richten muss?

Matthias Siller: "Internationale Investitionen erfolgten hauptsächlich aus dem EU-Raum und zum Großteil als Direktinvestitionen, wie etwa Anlagebau oder Fertigung, und nicht in Form von Wertpapieren. Somit sind die Investitionen langfristiger Natur und widerspiegeln das Interesse an Stabilität. Der überwiegende Teil der osteuropäischen Länder ist strukturell gesund, d.h. nicht überschuldet. Osteuropa bietet enormes Konvergenzpotential, was der EU dringend benötigte Wachstumsimpulse bringen wird - eine Investition in Osteuropa ist eine Investition in zukünftige Wachstumschancen, gleiches kann z.B. von südeuropäischen Volkswirtschaften nicht (mehr) behauptet werden."

Welches Investment ist kurz bis mittelfristig besser: Russland oder Zentraleuropa? Was spricht für Russland, was für Zentraleuropa?

Matthias Siller: "Russland bietet mehr Wachstumspotential, Zentraleuropa ein ausgeglicheneres Wirtschaftsbild aufgrund der breiteren Streuung und dem geringeren politischen Risiko. Auf risikoadjustierter Basis spricht viel für Russland, da es sich hier um einen der billigsten Aktienmärkte der Welt handelt, der allerdings ein beträchtliches Wachstumspotential aufweist. Die beträchtlichen Währungsreserven Russlands werden einen starken Beitrag zu Stabilisierung der Wirtschaftslage in einem sehr schwachen globalen Umfeld leisten. Wir erwarten Investitionen, die die Beschäftigungslage, den privaten Konsum und das allgemeine Wirtschaftswachstum unterstützen werden."

Wie sehen Ihre Markterwartungen vs. Konsens (z.B. IBES) für 2009 aus?

Matthias Siller: "Unsere Gewinnerwartung für 2009 liegt z. Zt. rund 30% unter dem Konsens (IBES). Das würde für EMEA-Länder ein KGV von 5 bis 9 bedeuten, was sowohl in absoluter wie relativer Hinsicht als günstig zu bewerten ist. Unsere Schätzungen sind sehr konservativ und wir sehen das Fehlerrisiko auf der positiven Seite, d.h. positive Überraschungen - vor allem, wenn 2009 der durchschnittliche Erdölpreis über US$ 40 liegt. Wir erwarten, dass Gewinnerwartungen außerhalb des Rohstoffsektors weiter gesenkt werden müssen."

Während steigende Einkommen in Teilen Asiens zu steigenden Ausgaben für Verbraucherartikel führen, und somit Konsumtitel stützen, sorgen die extrem niedrigen Rohstoffpreise in Brasilien, Südafrika und der Türkei für gute Investitions-möglichkeiten. Was spricht angesichts der niedrigen Rohstoffnotierungen bei der starken Rohstoffabhängigkeit Osteuropas, allen voran Russland, für die Region?

Matthias Siller: "Emerging Europe besteht "nur" rund zur Hälfte aus russischen Titeln (von denen viele keine Rohstoffunternehmen sind). Ferner bietet die Region interessante Diversifizierungsmöglichkeiten in den größeren Märkten wie z.B. Polen oder Türkei. Das stärkste Argument für Osteuropa ist unserer Meinung nach allerdings das Bewertungsniveau - historisch gesehen UND im Vergleich zu anderen EMs. Ein KGV zwischen 5 und 9 für das laufende Jahr ist gemessen am Wachstumspotential äußerst attraktiv."

Welche Auswirkungen hat die osteuropäische Kreditkrise auf die etablierten EU- Staaten, insbesondere Österreich (hohes Kreditengagement in den Satellitenstaaten - Anstieg der Ausfallraten)? Wo sind die Konvergenzvorteile geblieben? Was heißt dies für Polen, Tschechien, etc.?

Matthias Siller: "Gemessen am gesamten ausstehenden Kreditvolumen in Europa ist das "Osteuropaexposure" zu vernachlässigen: nur 5% der Bilanzsumme des europäischen Bankensektors stammt aus Osteuropa, die großen Probleme für europäische Banken bleiben daher: geringe Kapitalisierung, hohe Abschreibungen im Wertpapierbereich (zu einem gewissen Grad bereits erfolgt) und Kreditausfälle (Zyklus beginnt gerade). Einzelne Staaten, insbesondere Österreich, aber auch Schweden oder Italien, zeigen eine deutlich höhere Abhängigkeit von Osteuropa. Einerseits bedingt durch den Bankensektor (mit deutlich höherem Exposure nach Osteuropa als der EU-Durchschnitt), andererseits durch Exporte in die Region. Der österreichische Bankensektor verfügt in Osteuropa über eine Kreditsumme, die 70% des BIP ausmacht. Österreichs Staatsverschuldung beträgt etwas mehr als 50% des BIP. Wir rechnen in Osteuropa mit einem Anstieg der Kreditausfälle, der weitere 5% bis 10% an Abschreibungen des Kreditportfolios nach sich ziehen wird. Sollte dies (wider Erwarten) zu systemischen Problemen im Bankensektor führen, wäre im worst-case eine Eigenkapitalerhöhung von 5% - 10% durch den österreichischen Staat durchzuführen, was zu einer Erhöhung des Schuldenstandes um 3.5 - 7.0% (gemessen am BIP) führen würde - alles in allem also überschaubare Dimensionen. Wir erwarten deutlich höhere Kreditausfälle in der Peripherie unseres Investmentuniversums, also in Rumänien, Bulgarien oder der Ukraine. Länder wie Tschechien sind eng in die europäische Wirtschaft eingebunden, insbesondere mit Deutschland, und daher sehr exportabhängig, während Länder wie Polen einen deutlich niedrigeren Anteil an Exporterlösen gemessen am BIP aufweisen."

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