e-fundresearch/Frankfurt: "Herr Dr. Krämer. Könnten Sie bitte zuerst einen Ausblick auf die Weltkonjunktur bzw. für die Börsen im Jahr 2002 geben."
Jörg Krämer: "Die Situation der Weltkonjunktur sieht jetzt etwas besser aus als noch vor einigen Wochen. In den USA haben sich die auf Umfragen basierenden Frühindikatoren nach den Anschlägen kräftig erholt. Der Einkaufsmanagerindex ist bereits jetzt wieder auf einem Niveau, was höher als vor dem 11. September liegt. Daher erwarten wir eine konjunkturelle Erholung der US-Wirtschaft im Frühsommer."
e-fundresearch/Frankfurt: "Mit welcher Vorlaufzeit werden die Börsen darauf reagiern?"
Jörg Krämer: "Die Börsen haben schon deutlich darauf reagiert. Man tendiert derzeit dazu Resultate sehen zu wollen, also steigenden Unternehmensgewinnen. Erst dann kann eine längerandauernde Aufwärtsbewegung an den Börsen einsetzten."
e-fundresearch/Frankfurt: "Bisher schnitten bei Konjunkturaufschwüngen Value Aktien generell besser ab als Growth Aktien - etwa 1974/75 oder 1993/4. Ihr Haus ist diesmal nicht dieser Meinung. Warum?"
Jörg Krämer: "Normalerweise profitieren Value Aktien überproportional von einem Konjunkturaufschwung, weil diese Aktien in konjunktursensitiven Branchen übergewichtet sind. Diesmal sind aber viele Value Aktien schon recht teuer. Nicht aus eigener Stärke heraus, sondern weil während des Platzens der TMT-Blase viele Anleger aus den als überbewertet empfundenen Wachstumswerten in die Substanzaktien gegangen sind.
Anders als in der Vergangenheit sind deswegen Value Aktien am Beginn des Konjunkturaufschwung recht teuer. daher erwarten wir nicht, dass Substanzaktien Wachstumsaktien auf breiter Front schlagen werden. Wichtig ist es, in beiden Segmenten, konjunktursensitive Aktien zu finden die auch nicht zu teuer sind. Diese finden wir in beiden Segmenten."
e-fundresearch/Frankfurt: "Könnten Sie bitte kurz das Taktische Asset Allocation Modell Ihres Hauses erläutern? Insbesondere würde mich die Outperfomance bzw. was es aktuell für die Zukunft rät interessieren."
Jörg Krämer: "Das Taktische Asset Allocation (TAA) Modell von INVESCO basiert auf einem klassischen makroökonomischen Bewertungsmodell. Wir folgen diesem Bewertungsmodell aber nicht 1:1 sondern benutzen Markttrends in Kombination mit der Bewertung als Einstiegs- bzw. Ausstiegssignale. Momentan sind wir im TAA nach (in Aktien) übergewichtet.
Vor den Anschlägen waren die Märkte nicht nur moderat, sondern signifikant, unterbewertet. Seitdem sind wir (in Aktien) übergewichtet. Wir bleiben so lange übergewichtet solange der Markt noch läuft - d.h. solange der Index noch über dem 12-Wochen-Trend liegt. Derzeit sind wir hier an einer kritischen Grenze: Fällt der Markt noch etwas hält dieser Trend nicht mehr und würden dann (Aktien) wieder untergewichten. Seit dem Echteinsatz des TAA im Frühjahr 2001 hat das Modell einen Zusatzertrag von mehreren Prozent erwirtschaftet."
e-fundresearch/Frankfurt: "Am Schluss noch eine Frage zur Argentinien-Krise. Ihr Haus gewichtet trotz dieser Problematik Emerging Markets signifikant mit 3,1% über. Ein Widerspruch?"
Jörg Krämer: "Es wäre dann ein Widerspruch, wenn die übrigen Emerging Markets von der Entwicklung in Argentinien angesteckt worden wären. Das ist aber nicht der Fall. Länder wie Mexiko etwa sind davon überhaupt nicht betroffen. Ökonomisch macht das ja auch Sinn: Argentinien war das letzte Land der Emerging Markets, das eine feste 1:1 Bindung an den US-Dollarbeibehalten haben. Sie haben darunter sehr gelitten und diese jetzt losgelassen. Alle anderen Länder haben diese Bindung schon wären der Emerging Markets Krise 1998 aufgegeben und die Konsequenzen ökonomisch schon gezogen."
e-fundresearch/Frankfurt: "Vielen Dank für das Gespräch!"