Die neue EZB

"Man soll mit vorzeitigen Urteilen vorsichtig sein. Aber wenn mich nicht alles täuscht, dann ist die Europäische Zentralbank seit einigen Wochen drauf und dran, sich neu zu erfinden", meint im folgenden Gastkommentar Dr. Martin Hüfner, volkswirt. Berater der direktanlage.at: Funds | 19.01.2012 15:55 Uhr
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
  • Die Europäische Zentralbank hatte einen guten Start ins Neue Jahr. Sie ist dabei, verlorene Reputation zurückzugewinnen.
  • Entscheidend dafür sind die außerordentliche große Liquiditätsausweitung sowie organisatorische Veränderungen in der EZB selbst.
  • Die Veränderungen erleichtern die Bewältigung der Eurokrise und werden auf Dauer den Euro stärken.

 

Man soll mit vorzeitigen Urteilen vorsichtig sein. Aber wenn mich nicht alles täuscht, dann ist die Europäische Zentralbank seit einigen Wochen drauf und dran, sich neu zu erfinden. Sie könnte schneller als gedacht aus dem Reputationstief herauskommen, in das sie im Mai 2010 durch die Eurokrise gefallen war.

Wie ist das geschehen? In den letzten 2 ½ Monaten sind drei der insgesamt sechs Mitglieder des Executive Board ausgewechselt worden: der Präsident (Draghi), der „Außenminister (Asmussen) und der Marktverantwortliche (Coeuré). In den vergangenen 18 Monaten sind sogar fünf der sechs Mitglieder neu ins Amt gekommen. So einen radikalen Wandel in so kurzer Zeit in der Führung einer Zentralbank habe ich noch nie erlebt. Es wäre verwunderlich, wenn das nicht auch einen Wechsel der Politik nach sich ziehen würde. Hier ein paar Indizien.

Eines ist, dass die EZB die Liquiditätsversorgung der europäischen Banken so stark wie nie zuvor ausgeweitet hat. Im Dezember teilte sie in einem Tender fast 500 Mrd Euro zu einem Zinssatz von 1% für drei Jahre zu. Das ist etwa so viel wie das letzte „Quantitative Easing“ Programm der Federal Reserve, das über ein halbes Jahr „gefahren“ wurde.

Im Februar soll es einen weiteren Tender über drei Jahre geben. Die EZB denkt wohl auch noch über andere Liquiditätsspritzen nach (vielleicht über generelle Wertpapierkäufe am offenen Markt wie in den USA).

Mit Liquidität kann man viel bewirken. Die EZB entkräftet damit Vorwurf (vor allem der Amerikaner), sie würde die Eurokrise nur halbherzig bekämpfen. Sie zeigt, dass die umstrittenen Käufe von Staatsanleihen der Peripherieländer (die zum Rücktritt der deutschen Vertreter im Rat geführt hatten), nicht mehr unbedingt nötig sind. Die Banken haben Geld, um die Papiere selbst zu kaufen.

Zudem bereitet die EZB damit eine Zinssenkung vor (siehe Graphik). Auch das wäre ein Tabubruch. Bisher hatte sie immer gesagt, ihr Leitzins könne nicht (wie in den USA oder der Schweiz) auf unter 1% sinken, weil sonst der Abstand zum Einlagenzins zu gering würde.

Ein zweites Indiz (freilich etwas spekulativer): Es sieht so aus, als dass der Executive Board an Einfluss gewinnt gegenüber dem Governing Council (in dem auch die Chefs der nationalen Notenbanken sitzen und der die geldpolitischen Entscheidungen trifft). Bisher war es immer üblich, dass die geldpolitischen Entscheidungen vom Präsidenten und seinem Chefvolkswirt vorbesprochen und dann dem Council zur Entscheidung vorgelegt wurden. Beim letzten Mal hörte man, dass Draghi die Entscheidungsvorlage vom Executive Board insgesamt beschließen ließ. Das gibt ihr natürlich mehr Gewicht.

Wenn das Usus werden sollte, dann würde das einige Probleme lösen. Der Chefvolkswirt verlöre seine herausgehobene Stellung. Die Deutschen, die diese Position bisher immer für sich beansprucht hatten, können sich also nicht mehr über einen Machtverlust beschweren, weil jetzt keiner von ihnen mehr auf diesem Stuhl sitzt. Die Unabhängigkeit der EZB würde gestärkt. Zuletzt war sie nämlich nicht mehr so sehr dadurch gefährdet, dass der Präsident von den Staats- und Regierungschefs unter Druck gesetzt wurde. Vielmehr soll es so gewesen sein, dass nationale Notenbanken mit klaren Aufträgen ihrer Regierungen in die Sitzungen des Governing Council kamen und diese dort durchzusetzen versuchten. Wenn der Board jetzt mehr Macht hat, dann können die nationalen Notenbanken nicht mehr so viel bewirken. Es könnte sein, dass Draghi damit auch von dem deutschen Bundesbankpräsidenten Weidmann – einem der starken Köpfe im Council – unabhängiger werden möchte.

Aufgefallen ist mir in den letzten Wochen auch, dass der neue „Außenminister“ der EZB seine Stimme stärker zur Geltung bringt. Bisher hörte man von Bini Smaghi relativ wenig. Sein Nachfolger Asmussen hat sich jetzt öffentlichkeitswirksam in die Verhandlungen über den neuen Fiskalpakt eingeschaltet und vor einer Verwässerung gewarnt. Es könnte sein, dass sich die EZB in Zukunft als stabilitätspolitisches Gewissen von Euroland profiliert (ähnlich zur Bundesbank in Deutschland).

Insgesamt geht die Europäische Zentralbank damit den Weg vom „Klon“ der Bundesbank, als der sie gegründet worden war, zu einer eigenständigen und selbstbewussten Institution weiter. Für die Deutschen ist es schwieriger, ihre Position durchzusetzen. Sie müssen das verstärkt mit Argumenten und politischer Taktik tun als mit Verweis auf ihre ökonomische Stärke und ihre stabilitätspolitische Tradition. Die EZB gewinnt durch das Herunterfahren der Wertpapierkäufe der Peripherieländer an Statur gegenüber den Regierungen. Sie zieht sich wieder auf die Geldpolitik zurück. Sie wird dadurch weniger angreifbar und zwingt die Regierungen, ihre Hausaufgaben bei der Fiskalpolitik zu machen. Natürlich ist die starke Zunahme der Liquidität nicht unproblematisch. Sie lässt aber schwer kritisieren, solange die Preissteigerung eher auf dem Rückzug ist. Auf lange Sicht kann sie freilich zu Kollateralschäden auf den Kapitalmärkten und bei den Inflationserwartungen führen.

Für den Anleger: Es tut den europäischen Märkten gut, wenn „ihre“ Zentralbank wieder höheres Ansehen genießt. Das erleichtert die Überwindung der Eurokrise und stärkt den Euro auf den Devisenmärkten. Die kurzfristigen Zinsen können weiter zurückgehen. Damit bleiben die Aussichten für die Bonds trotz des hohen Refinanzierungsvolumens (über 2 000 Mrd Euro allein bei Staaten und Banken in Europa) gut. Die Aktienmärkte profitieren von der Liquidität. Hier belasten freilich die Konjunktur und die Finanzkrise.

Dr. Martin HüfnerVolkswirtschaftlicher Beraterdirektanlage.at

 


 

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