Die nächste Stufe der Eurokrise

"Wir befinden uns wieder einmal in einer Phase, in der die Regierungen bei der Eurokrise über die falschen Dinge streiten", meint im folgenden Gastkommentar Dr. Martin Hüfner, volkswirt. Berater der direktanlage.at: Funds | 26.01.2012 14:04 Uhr
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  • Ohne höheres Wirtschaftswachstum lässt sich die Eurokrise nicht dauerhaft überwinden.
  • Auch Deutschland braucht mehr Wachstum. Es ist besser, den Partnern durch mehr Importe als durch Transfers zu helfen.
  • Strukturreformen zur Förderung des Wachstums sind schwierig, weil sie immer auch mit Umverteilung verbunden sind.

 

Wir befinden uns wieder einmal in einer Phase, in der die Regierungen bei der Eurokrise über die falschen Dinge streiten.

Bei den Verhandlungen Griechenlands mit den Banken wird gepokert, wie weit man den Finanzsektor zur Kasse bitten kann. In Brüssel und mit dem Internationalen Währungsfonds wird gerungen, wie man Deutschland zu einem größeren Beitrag zum Rettungsschirm bewegen kann. Frau Merkel hat das grandiose Forum von Davos nur dazu genutzt, Forderungen an die Deutschen abzuwehren.

All das löst aber nicht die Probleme. Es verschiebt lediglich die Lasten von einem zum anderen. Was wirklich notwendig wäre ist erstens die erreichten Fortschritte bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen (die gibt es!) fortzuführen und abzusichern. Zweitens muss der Teufelskreis verhindert werden, dass Sparen die Konjunktur schwächt und die Löcher im Staatshaushalt nicht kleiner, sondern größer macht (wie in der großen Weltwirtschaftskrise des vorigen Jahrhunderts).

Für beides gibt es nur ein Rezept: Es muss mehr Wachstum her. Wie will Griechenland seinen Etat bei einem Rückgang der Wirtschaftsleistungen um 5% ausgleichen? Ohne Wachstum bricht auch der soziale Konsens, der zur Lösung der Krise unabdingbar ist.

Bei Wachstumsförderung denkt jeder zuerst an deficit spending und leichte Geldpolitik. Beides scheidet derzeit aber aus. Der Staat hat kein Geld. Die Zinsen sind bereits niedrig. Die Liquidität ist hoch. Wir erleben die erste Abschwächung der Weltwirtschaft, in der die traditionellen Instrumente der Stabilisierungspolitik nicht mehr greifen.

Bleiben also nur die Beseitigung von Wachstumsbremsen und die Ermutigung von Wachstumsimpulsen durch Strukturreformen. Das ist schwierig, weil es immer auch mit Verteilungsfragen und dem Abbau von Privilegien verbunden ist. Es ist aber möglich. Italien hat angekündigt, mit dem Programm „Cresci Italia“ den Arbeitsmarkt flexibler zu machen und Wachstumshemmnisse zum Beispiel im Einzelhandel, bei Apotheken, Notaren und Taxis abzubauen. Das soll zusätzliches Wachstum von 1,5 Prozentpunkten bringen. Die neue spanische Regierung Rajoy setzt auf eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, um die hohe Erwerbslosigkeit vor allem unter jungen Menschen zu verringern.

Besonders notwendig wären Strukturreformen in Griechenland. Hier geht es nicht nur um die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und den Abbau von strukturellen Wachstumshemmnissen. Es muss eine Verbesserung der Corporate Governance, vor allem ein Abbau der Korruption erreicht werden. Zudem muss eine industrielle Basis neben dem Tourismus und der Schifffahrt aufgebaut werden.

Deutschland hält sich aus der Diskussion bisher heraus. Es wird gesagt, dass hier nichts getan werden müsse, da die Bundesrepublik immer noch wachse. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Zum einen ist Deutschland im Pro-Kopf-Einkommen in den letzten Jahren deutlich zurückgefallen. Jeder denkt immer noch, die Deutschen seien die reichsten im Euroraum (und könnten zur Rettung der anderen daher auch am meisten zahlen). Tatsächlich rangieren sie aber – siehe die Graphik – beim Pro-Kopf-Einkommen im Euroraum nur noch an siebter Stelle (sogar hinter Irland).

Zudem hilft es den anderen, wenn Deutschland sich nicht als Musterschüler vornehm zurückhält, sondern wenn es aktiv mit von der Partie ist. Von der Natur der Sache her müssen diese Maßnahmen zwar auf nationaler Ebene erfolgen. Es ist jedoch leichter, wenn es dazu eine gemeinschaftliche Initiative gibt, die den Regierungen Rückendeckung gibt. Im Übrigen nutzt mehr Wachstum in einem Land auch den Exporten der anderen. Es ist für die Bundesrepublik besser, von den Partnern mehr zu importieren als mehr Transfers zu leisten.

Hier ein paar Beispiele für Strukturreformen in Deutschland, um zu zeigen wie viele Ansatzpunkte es gibt:

  • Eine weitere Liberalisierung der Gütermärkte, zum Beispiel im Einzelhandel oder im Gesundheits- und Arzneimittelsektor, wo die Preise höher als im Ausland sind.
  • Die lange überfällige Reform der Landesbanken.
  • Die Förderung der Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften (um den demographisch bedingten Arbeitskräftemangel zu beseitigen).
  • Eine Freigabe des Rentenzugangsalters, um die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu erhöhen, die Sozialversicherungen zu entlasten und die Arbeitszeit an die längere Lebenserwartung anzupassen.
  • Eine zielgerechtere Förderung von Forschung und Entwicklung, um die Lohnkostennachteile deutscher Firmen auf den Weltmärkten auszugleichen.
  • Dazu – ganz wichtig – mehr Effizienz im Bildungswesen.

Jedes Gebiet scheint für sich genommen relativ klein. Zusammen genommen könnte dadurch das Wachstum aber um mehr als einen Prozentpunkt steigen. Für den Anleger: Lassen Sie sich von einigen euphorischen Kommentaren über ein Ende der Eurokrise nicht täuschen. Bei der Bewältigung der Krise sind wir zwar vorangekommen, aber bei weitem noch nicht am entscheidenden Punkt. Wenn es gelingt, die Wachstumsbedingungen durch Strukturreformen in den einzelnen Ländern zu verbessern, hilft das auch den Aktienmärkten. Schauen Sie auf die Länder, die hier die besten Fortschritte machen. Ich habe im Augenblick vor allem Italien, Spanien (und in einiger Entfernung Griechenland) im Auge.

Dr. Martin HüfnerVolkswirtschaftlicher Beraterdirektanlage.at

 


 

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