- Angesichts der rasant wachsenden Liquidität auch in Europa müssten die Inflationsraten eigentlich viel größer sein.
- Inflation wird in den Statistiken zu gering ausgewiesen, weil sie nur an den Verbraucherpreisen gemessen wird. Man muss auch die Vermögensgüter berücksichtigen.
- Die Liquiditätsausweitung geht weiter. Damit setzt sich auch die Inflation am Kapitalmarkt fort.
Derzeit gibt es auf der Welt so viel Geld wie noch nie.
In Europa ist die Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank (ein Maß für die Ausweitung der Liquidität) in den letzten zwölf Monaten um 32% gestiegen. Man kann im Hinblick auf den neuen EZBPräsidenten sogar von einer Draghi-Spitze sprechen (siehe Graphik). Trotzdem geht die Inflation zurück. In Deutschland ist mit 2,0% nach der offiziellen Definition praktisch Stabilität erreicht. Wie reimt sich das zusammen? Wo geht das viele Geld hin, wenn es nicht in den Preisen ankommt?
Nach der Quantitätstheorie des Geldes besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen. Wenn die Geldmenge steigt, dann haben Verbraucher und Unternehmen mehr in der Tasche und können mehr ausgeben. Das führt über kurz oder lang zu steigenden Preisen. Natürlich kann es zu temporären Verzögerungen kommen – der Ökonom sagt: die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes verlangsamt sich. Zudem kann die Kapazitätsauslastung der Wirtschaft gering sein, so dass eine Nachfrageausweitung zunächst einmal zu einer Produktionssteigerung führt. So drastische Divergenzen zwischen Geldmenge und Preisen, wie wir sie im Augenblick haben, sind jedoch ungewöhnlich. Ich habe so etwas noch nicht erlebt.
Die wichtigste Erklärung dafür ist, dass das Geld der Zentralbank nicht in der Wirtschaft ankommt. Es bleibt bei den Banken hängen. Sie nutzen es für Eigengeschäfte, zum Kauf von Staatsanleihen und/oder zur Aufstockung der „Vorsichtskasse“. Indiz dafür ist, dass M3 – das übliche Maß für die Geldmenge – im Augenblick gerade einmal um 1% über dem Vorjahr liegt. Ich habe das in meinem Wochenkommentar 09 – 46 („Hilfe – wo ist die Liquidität?“) beschrieben.
Daneben gibt es aber noch etwas anderes: Wir messen die Inflation falsch. Üblicherweise schauen wir uns die Preise der Konsumgüter an und ermitteln daraus, wie stark sich der Geldwert der Verbraucher verschlechtert. Je stärker die Konsumgüterpreise steigen, umso höher ist die Inflation.
Es gibt daneben aber auch noch andere Preise, die für die Menschen wichtig sind. Wir verbrauchen ja nicht nur, wir sparen auch. Damit sind wir für einen Teil unseres Einkommens auch von den Preisen der Vermögensgüter abhängig. Diese sind für viele sogar bedeutsamer. Denn von ihnen hängt der Wert des gesamten Vermögens ab, vielleicht auch der der Altersvorsorge.
Nun kann man sagen: Inflation bei den Vermögensgütern ist grundsätzlich etwas anderes. Bei steigenden Vermögensgüterpreisen freuen sich die Betroffenen, weil dann ihr Geld mehr wert wird. Wenn die Verbrauchsgüter teurer werden, ist es dagegen genau umgekehrt. Aber das ist nur teilweise richtig. Nur wenn Vermögensgüterpreise steigen, weil dahinter reale Werte stehen (etwa das Wachstum der Unternehmen), ist das für den Sparer etwas Gutes. Wenn dahinter nur Liquidität steckt, die Preise also durch Geld aufgebläht sind, dann sind es Potemkinsche Dörfer. Das ist dann auch eine Art Inflation.
Soweit mir bekannt ist, gibt es bisher keinen Index für die Preissteigerung bei Vermögensgütern insgesamt (nur für einzelne Asset-Klassen). Er wäre auch nicht unproblematisch. Einmal muss man aus den Kapitalmarktpreisen die Liquiditätskomponente herausrechnen. Das ist höchst umstritten. Zum anderen ist das Geldvermögen der privaten Haushalte nur zu knapp einem Viertel am Kapitalmarkt in Form von Aktien und Renten angelegt. Der Rest entfällt auf Anlagen bei Banken und Versicherungen, bei denen die Kapitalmarktbewegungen beim Sparer nur indirekt ankommen. Schließlich schwanken die Kapitalmarktpreise im Zeitablauf natürlich sehr viel stärker als die Konsumgüterpreise.
Trotz allem hier einmal eine ganz grobe Überschlagsrechnung: In den letzten drei Jahren zusammen genommen sind die Kurse von Aktien und Renten (gewichtet nach ihrem Anteil am Geldvermögen) um insgesamt rd. 28% gestiegen. Nimmt man die Hälfte davon als „real“ abgesichert, so ergäbe sich ein Preisanstieg der Vermögensgüter von 15% beziehungsweise 5% p.a.. Das ist sehr viel mehr als der Anstieg der Konsumentenpreise in dieser Zeit (1,6% p.a.). Der gesamte Preisanstieg (Konsumgüter plus Vermögensgüter, jeweils mit gleichem Gewicht versehen) beträgt 3,3% p.a., also doppelt so viel wie die Zahl, mit der wir sonst rechnen.
Wenn man als Vermögensgüter nicht nur Aktien und Renten nimmt, sondern das gesamte Geldvermögen der privaten Haushalte, ist der Preisanstieg der Vermögensgüter niedriger. Er ist dann – bezogen auf die genannte Zeitspanne – kaum noch höher als die Konsumgüterinflation. All diese Zahlen variieren jedoch sehr stark je nach dem, welchen Zeitraum man nimmt.
Für den Anleger: Ich weiß, das sind „wilde Rechnungen“, an denen man jede Menge Kritik äußern kann. Ich will damit nur drei Dinge zeigen. Erstens ist die Inflation wegen der starken Geldmengenexpansion vermutlich höher, als sie normalerweise gemessen wird. Zweitens gibt es auch eine Inflation am Kapitalmarkt. Das wissen die meisten zwar (auch sie es nicht so nennen). Sich daran zu erinnern ist jedoch insbesondere in einer Zeit wichtig, in der die Zentralbanken fast unendlich viel Liquidität zu beinahe Nullzinsen in den Kreislauf pumpen. Drittens: Die EZB wird im Februar noch einmal ein dreijähriges Repo-Geschäft anbieten. Das wird sich nach einer gewissen Zeit wiederum günstig auf den Kapitalmarkt auswirken. Freuen wir uns über mögliche Gewinne. Vergessen wir aber nicht, dass sie im Wesentlichen nur von der Liquidität kommen und auch mal wieder weg sein können.
Dr. Martin HüfnerVolkswirtschaftlicher Beraterdirektanlage.at
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