Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank (06.06.2012): "Der Weg, den Europa jetzt eingeschlagen hat lautet: Kredite gegen Reformen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit. Dabei muss die Konsolidierung in einen realistischen Zeitrahmen gestellt werden. Die Pläne können zeitlich gestreckt werden, wenn die europäische Wirtschaft in die Rezession fallen sollte. Die Europäische Kommission erhält mehr Kompetenzen bei der Überwachung der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Auch der ESM muss über ausreichende Befugnisse bei der Durchsetzung von Reformprogrammen verfügen. Investitionen in Infrastruktur können ausgebaut und durch die Europäischen Kohäsionsfonds finanziert werden. Solange an den Kernproblemen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit ernsthaft gearbeitet wird, kann die Europäische Zentralbank diesen Prozess mit ihren Instrumenten unterstützen. Und eine politische Initiative zur Klärung der Bedingungen für eine Vertiefung der politischen Integration ist die Voraussetzung dafür, aus dem Euro eine „richtige“ Währung zu machen. Dieser Prozess mit all seinen aus Finanzmarktsicht günstigen Auswirkungen auf einen einheitlichen Kapitalmarkt wird jedoch mindestens eine Dekade in Anspruch nehmen."
Adrien Pichoud, Director Asset Allocation, Banque SYZ & CO SA (11.06.2012): "If the ongoing financial crisis in Europe is to be solved, it will certainly be through more integration at the fiscal and budgetary level. As shown by the latest developments in Spain, solution at a national level are insufficient once a certain level of stress is reached. Since the beginning of the crisis in 2010, several steps toward a more integrated euro area have been undertaken (EFSF/ESM, fiscal compact…) and they all head in the direction of more burden sharing and more harmonized fiscal policies in the monetary union.
Such an integration process should ultimately lead toward more harmonized standards in terms of financial regulation. A European banking supervisory authority is currently being discussed, to harmonize capital requirements and supervision across the euro area. A European deposit insurance scheme would also be a major step toward further integration by lowering the risk of possible bank runs in peripheral countries. Ultimately, more integration should also lead to a “re-convergence” in government bond yields among euro area members, but the very tight spreads witnessed during the previous decade are unlikely to be seen again. The likely outcome of the integration process will ultimately be the creation of euro-bonds, once the European fiscal framework is set up. The final objective is known, the process has begun but the path toward it still remains long and perilous…"
Dr. Martin Lück, Deutschlandvolkswirt UBS Investmentbank (12.06.2012): "Da die Alternative zu verstärkter Integration ein Auseinanderbrechen der Eurozone wäre, wird es künftig verstärkt Lösungen auf europäischer Ebene geben. Für die Anleihemärkte dürfte eine intensivere Integration der Fiskalpolitik, der Finanzsysteme sowie ganz allgemein der Wirtschaftspolitik eine gute Nachricht sein, weil sie die Visibilität hinsichtlich der Risikobewertung verbessern würde. Zur Zeit ist eine faire Risikobewertung kaum möglich, weil die Anleihemärkte nur die Extreme „risk on“ und „risk off“ zu kennen scheinen. Stärker vereinheitlichte und generell strengere Kapitalvorschriften für Banken sowie der graduelle Aufbau einer europäischen Bankenaufsicht, auch als Voraussetzung für die Fernvision einer gemeinsamen Einlagensicherung, würden diesen Trend verstärken und somit positiv wirken."
Dr. Holger Sandte, Chefvolkswirt der WestLB Mellon Asset Management KAG mbH (13.06.2012): "Die Krise in Europa ist vielschichtig. Übergroße private und öffentliche Verschuldung sind ein Aspekt, Schwächen in den Wirtschaftsstrukturen einiger Länder (etwa zu wenig Industrie, zu viele Banken, zu kleine Unternehmen) ein anderer. Die Finanzkrise, die an den Staatsanleihemärkten und in der Kapitalflucht aus Südeuropa deutlich wird, ist letztlich Ausdruck der realwirtschaftlichen Schwachstellen und Ungleichgewichte. Weil die Krise vielschichtig ist, müssen auch die Maßnahmen zu ihrer Bewältigung vielfältig sein. Teils sind sie auf nationaler und teils auf europäischer Ebene zu fällen. Um Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen oder eine effiziente öffentliche Verwaltung zu schaffen, müssen vor allem nationale Hebel betätigt werden. Bei Fragen der europäischen Bankenaufsicht einschließlich der Regulierung, Restrukturierung und Einlagensicherung spricht in einer Währungsunion viel für europäische Lösungen.
Letztlich geht es im Euroraum um diese Kernfrage: Desintegration oder mehr Integration? Oder anders ausgedrückt: Trennt man sich – sei es von einzelnen Mitgliedsländern oder im großen Stil – oder geht man in zentralen Bereichen eine engere Partnerschaft ein? Und wenn eine engere Partnerschaft (bis hin zur Fiskal- und Bankenunion) angestrebt wird, stehen dann Effizienzgesichtspunkte im Vordergrund oder geht es vor allem um Umverteilung? Solange die politischen Grundsatzentscheidungen darüber noch nicht getroffen sind, wird die hohe Unsicherheit an den Finanzmärkten fortbestehen."
Dieter Guffens, Senior Economist KBC Asset Management Brüssel (14.06.2012): "Für die europäische Finanzkrise gibt es letztendlich nur zwei Lösungen. Entweder wird das Europrojekt aufgegeben, und Europa kehrt zu einer nationalen Geld- und Wirtschaftspolitik zurück. Die andere, und hoffentlich gewählte, Lösung, besteht in der Beseitigung der Konstruktionsfehler der Währungsunion. Zwingend erforderlich ist hierfür die Einführung einer sogenannten europäischen Bankenunion. Diese beinhaltet eine europaweite Einlagensicherung und zum Beispiel die Möglichkeit, dass der europäische Rettungsschirm EFSF direkt notleidenden Banken hilft. Dadurch wird das automatische Band zwischen Rettungsmaßnahmen für Banken und den individuellen nationalen Staatsfinanzen durchtrennt, der sowohl Irland als Spanien in Bedrängnis gebracht hat. Ferner beinhaltet diese Bankenunion eine einheitliche Bankenaufsicht nach Vorbild der USA, mit unter Anderem einheitlichen Kapitalvorschriften in der ganzen Eurozone. Was die Finanzierung der Staatshaushalte betrifft, ist der angestrebte Fiskalpakt ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn die nationale Finanzpolitik ganz im Zeichen der Stabilität und der Vermeidung neuer Schulden steht, muss eine europäische Finanzpolitik als Instrument der Konjunkturpolitik entstehen, mit als Konsequenz eine der vorgeschlagenen Varianten der Eurobonds. Der Fiskalpakt schränkt hierbei die Gefahr der Moral Hazards ein. All diese Maßnahmen sind die logische Konsequenz aus der Einführung der Währungsunion in 1999. Wenn der politische Wille hierfür nicht gegeben ist, wird die Eurozone auf Dauer nicht überleben, und müssen wir uns früher oder später auf ein Auseinanderfallen einstellen."
Anton Brender, Chief Economist, Dexia Asset Management (14.06.2012): "The negative feedback loop that has been developing between lower bonds prices, lower growth and a more fragile banking system has reached an acute phase: investors are clearly beginning to doubt the ability of some euro countries to deal with their domestic banking sectors issues. The plan to recapitalize Spanish banks illustrates it: despite the pledge of up to $100bn of support received through the EFSF/ESM, the vicious circle between the State and the banking sector has not been broken… not least because the final burden of the plan remains on Spain’s shoulders. On top of that, recent discussions about a Greek exit have threatened to lead to a full confidence crisis in the euro currency. The risk is that after sovereigns as well as banking systems have become two-tiered, the euro is about to become a two-tiered currency (one euro held in a Spanish bank would not be worth one euro held in a German bank). At this stage of the crisis, only a coordinated answer with some acceptance of burden sharing among euro members could help solve the problem. If recent calls for a banking union with some EU-wide deposit guarantee scheme may seem reassuring, we doubt that it could be implemented fast enough to stem the tensions."
Gerhard Winzer, Chefvolkswirt ERSTE-SPARINVEST (14.06.2012): "Die Eurokrise eskaliert, weil die notwendigen Voraussetzungen für das nachhaltige Funktionieren der Währungszone nicht ausreichend gegeben sind und die Schuldendynamik in den schwachen Ländern nicht nachhaltig ist. Daraus erwächst eine Liquiditätskrise (der private Sektor stellt kein bzw. immer weniger Kapital den schwachen Banken und Staaten zur Verfügung), die schnell in eine Solvenzkrise umschlagen kann, wenn kein Lender of Last Resort (Kreditgeber der letzten Instanz) vorhanden ist. Schlussendlich benötigt eine Währungsunion gemeinsame (solidarische) Garantien für Bankeinlagen und Staatsanleihen, eine gemeinsame fiskalische Autorität (inklusive Bankenaufsicht und Konkursrecht), Transferzahlungen, einen Lender of Last Resort (EFSF/ESM, EZB) und eine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Letzteres ist wichtig, weil ansonsten eine prozyklische Wirtschaftspolitik eine Rezession verschärft (Schuldenfalle), Wettbewerbsprobleme nur halbherzig angegangen werden und die Mobilität am Arbeitsmarkt niedrig bleibt. Die zentralen Einheiten (EZB, Wirtschafts- und Finanzministerium) sind nicht nur aus Koordinationsgründen wichtig. Sie vermindern das Moral Hazard Problem. Eine Stärkung des Zentrums auf der Ebene der Exekutive gegenüber den Teilstaaten müsste allerdings auch mit einer Stärkung der demokratischen Kontrolle auf EU-Ebene einher gehen. Das ist alles Zukunftsmusik. Eine weitere Teilaufgabe der nationalen Souveränität wird in weiten Teilen der Bevölkerung und der Politik nicht gewollt. Da aber die Staaten der EWU die Verfügungsgewalt über Lender of Last Resort, Zins- und Währungspolitik aufgegeben haben, müssen bestimmte Minimalanforderungen erfüllt werden: Diese sind 1.umfangreiche Haftungen, die an Bedingungen geknüpft sind sowie 2. ein Mechanismus für den Abbau von Ungleichgewichten. Mit dem ESM und dem Vertrag für Stabilität (Fiskalpakt), Koordination und Governance sind erste Schritte eingeleitet worden. In der Zwischenzeit kann nur die EZB (Kreditgeber der letzten Instanz) eine Eskalation (Liquiditätsbremse) verhindern. Nur dann, wenn das Rahmenwerk die Minimalanforderungen erfüllt, werden sich die Renditen dem Niveau deutscher Staatsanleihen annähern. Denn dann ist das bestimmende Szenario eine Liquiditätsfalle.
Stuart Thomson, Chief Economist, Ignis Asset Management (15.06.2012): "Herbert Stein is credited with the famous political and economic maxim; “if something cannot go on forever, it will stop” but he also noted that; “economists are very good at saying that something cannot go on forever, but are not so good at saying when it will stop”. We do not believe that the single currency will continue in the medium or long term, but accept that politicians are determined to correct, or more precisely, paper over these flaws to ensure its survival in the short-term. However, they face an important prisoners’ dilemma between the need for greater integration to mutualise the excessive debts within the European banking system and peripheral economies and the constraints imposed by the democratic deficit across the region. The prisoners’ dilemma defining characteristic is that the stable equilibrium outcome is sub-optimal. The optimal outcome is full political and fiscal union, but this is impossible to engineer given the timescale. The triple AAA economies are being forced to choose between a convulsive divorce and more flawed integration. We believe that they will choose the latter, although they may not be willing to fund all of the current members, through common deposit schemes and a European Debt Redemption Scheme. However, these are not lasting solutions and the dampening of interest rate and financial sector volatility will eventually be replaced by political and social volatility."
Dr. Dirk Schmitt, CFA, Investment Analyst, Flossbach von Storch AG (15.06.2012): "Im Dezember 2011 feierten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs noch für ihre Gipfelbeschlüsse zum Fiskalpakt. Vom „Durchbruch zur Stabilitätsunion“ war da die Rede. Dabei waren die Zerfallserscheinungen der Eurozone natürlich auch schon vor einem halben Jahr unübersehbar: Privates Kapital flüchtet aus den Südländern. Ohne die geldpolitischen Infusionen der EZB wären die bankrotten Bankensysteme der Europeripherie längst zusammengebrochen. Spanien und Italien stehen kurz davor, vom Zugang zum privaten Kapitalmarkt abgeschnitten zu werden. Unternehmen entwickeln Notfallpläne und treffen Vorbereitungen für den immer wahrscheinlicher werdenden Fall des Austritts eines oder mehrerer Länder aus der Eurozone. Und schließlich nehmen auch die nationalen Ressentiments zu. Kurzum: Der absurde Rettungs(schirm)interventionismus der letzten zwei Jahre ist grandios gescheitert; die falschen Politikkonzepte haben zu einer Desintegration Europas geführt.
Diese bittere – und für Deutschland und Österreich teure – Wahrheit will in Brüssel (und Berlin) natürlich niemand hören. Während sich die Eurozone immer stärker fragmentiert, versucht die Politik mit der Brechstange, den europäischen Integrationsprozess unumkehrbar zu machen, indem weitere Entscheidungsbefugnisse auf europäische Ebene verlagert werden. Mehr Zentralismus lautet die Devise. Der Fiskalpakt war erst der Anfang. Inzwischen kursieren Forderungen nach einer einheitlichen europäischen Bankenaufsicht und Einlagensicherung. Herr Barroso reibt sich schon die Hände. Nachhaltige Strukturen werden dadurch aber nicht geschaffen. Vielmehr werden die Spannungen innerhalb der EU durch die zunehmende Eurokratisierung weiter zunehmen. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch bei den so genannten politischen „Eliten“ die Einsicht reift, dass die Pleitestaaten Südeuropas nur mit einer abgewerteten Währung außerhalb des Euros wieder gesunden können."
Economics Forum: Investment Strategen und Ökonomen antworten
Auf monatlicher Basis stellt e-fundresearch.com eine aktuelle Frage mit Bezug zu volkswirtschaftlichen Zusammenhängen und Entwicklungen auf den Kapitalmärkten an eine Gruppe renommierter Ökonomen und Kapitalmarktstrategen. Die Antworten werden im ECONOMICS Channel dargestellt (seit Mai 2011).