Weitreichende Bedeutung von US-Aktionärsklage für KAGs

Die meisten europäischen Kapitalanlagegesellschaften sind sich gar nicht bewusst, welche Möglichkeiten ihnen nach US-Wertpapierrecht für Verluste aus Bilanzbetrug und falsche Angaben der Emittenten, in deren Aktien und Anleihen ihre Investmentfonds investiert haben, offen stehen. Funds | 08.06.2004 22:03 Uhr
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Am 21.5.2004 erging in Zusammenhang mit dem Fall „Parmalat“ in New York eine für die europäische Investorengemeinschaft äußert bedeutende und wesentlich über den Anlassfall hinausgehende Entscheidung des United States district Court, southern district of New York: Erstmals seit Einführung des amerikanischen Rechtsbehelfs der Aktionärssammelklage („securities class action“) wurden institutionelle Investoren aus Europa zu Leitklägern („lead plaintiff“) im Rahmen von securities class actions nach US-Recht eingesetzt, die Wertpapierverluste aus non-US-Wertpapieren, Aktien bzw. Anleihen der Parmalat-Gruppe, geltend machen, wobei es dem amerikanischen Gericht in dieser ersten entscheidenden Phase des Prozesses auch nicht darauf ankam, dass die Wertpapiere über US-Börsen, sondern über Börsen in Europa gehandelt wurden. Das ist ein großer Erfolg für europäische Investoren in Zusammenhang mit der Kontrolle von US-Sammelklagen. Dieses Rechtsmittel wird damit künftig auch für Kapitalanlagegesellschaften an besonderer Attraktivität gewinnen.

Kernaussage des US-Richters - der einen Investor aus England zum Leitkläger der Aktionäre, sowie einige Investoren aus verschiedenen europäischen Ländern als Gruppe zum Leitkläger der Bond-Holder bestellte - war dass auch Investoren mit Sitz außerhalb der USA, die non-US-Wertpapiere  erworben haben, welche außerhalb von US-Börsen gehandelt wurden, den Bedingungen eines „most adequate and typically lead plaintiff“ gemäß Rule 23 des US-Federal Rule of Civil Procedure („Rule 23“) entsprechen können.

„Ausschlaggebend für die erfolgreiche Ernennung zum Leitkläger der europäischen Investorengemeinschaft im US-Prozess war neben der positiven Prüfung des Richters hinsichtlich der „Typicality“ und „Adequacy“- erfüllt, weil es sich um große institutionelle Anleger handelt, deren Interessen nicht mit den Interessen der von ihnen durch die Sammelklagen zu vertretenen Gruppen kollidieren -,  dass sie auch die höchsten Verluste aus Aktien bzw. Bonds aller jener, die sich um die Position des lead plaintiff bemüht hatten,  erlitten haben. Dadurch lag bei ihnen das nach US-Recht (15 U.S.C.) erforderliche „größte finanzielle Interesse“ vor, also jene wesentliche Voraussetzung, die bedeutet, dass man als bestens geeigneter Leitkläger den weiteren Prozessverlauf im Interesse der vertretenen Gruppe (Aktionäre bzw. Bond-Holder) kontrollieren und führen wird. Es kam dem US-court auch nicht darauf an, dass Wertpapierverluste, die von den Leitklägern nachgewiesen wurden, keine US-Bürgern betrafen. Auch Käufe und Verkäufe von Wertpapier-Positionen gegen Ende der „class period“, also jenes Zeitraumes, in dem die falschen und irreführenden Äußerungen des Emittenten der verlustbringenden Wertpapiere in der Öffentlichkeit getätigt und verbreitet wurden, waren für das Gericht kein atypisches Verhalten, das die Bestellung zum Leitkläger verhindert hätte. Der Richter äußerte auch keine kulturellen oder geographischen Vorbehalte oder warf sonstige Fragen auf, die sich aus der Tatsache eines ausländischen Investors ergeben“, berichtet Dr. Rolf Majcen, Leiter  der Rechtsabteilung der ERSTE-SPARINVEST Kapitalanlagegesellschaft, der das „Hearing“ vor Ort in New York mitverfolgte.

„Die Entscheidung hat deutlich gezeigt, dass es in erster Linie auf die Höhe der erlittenen Verluste ankommt, um als Leitkläger ernannt zu werden und jedenfalls unabhängig davon ist, welchen Bezug der Investor zu Amerika hat“, verdeutlichten Vertreter der auf securities litigation spezialisierten US-Rechtsanwaltskanzlei Shiffrin & Barroway, LLP (www.sbclasslaw.com), die durch ihre erfolgreichen Argumente in der ersten Phase des Prozesses einen wesentlichen Beitrag leisteten, dass die Europäer eine führende Rolle im US-Verfahren übernehmen konnten.

Die wichtigsten Rechtsgrundlagen für die Bestellung zum Leitkläger einer securities class action sind der Private Securities Litigation Reform Act (PSLRA), ein US-amerikanisches Gesetz, das die Bedingungen für Aktionärssammelklagen im Jahr 1995 grundlegend geändert hat, sowie die „Rule 23“ und 15 U.S.C. „Die richtungsweisende Entscheidung des US-Gerichtes ermöglicht großen europäischen Investoren, insbesondere institutionellen Investoren, Fondsgesellschaften und Versicherungen – bei Anwendbarkeit von amerikanischer Gerichtsbarkeit –  in Zukunft, noch stärker vom US-amerikanischen Recht der securities class action Gebrauch zu machen und sich – bei entsprechend hohen Verlusten – um die Leitklägerschaft, und damit um die führende Rolle sowie um die Kontrolle im US-Prozess zu bemühen.

Die meisten europäischen Kapitalanlagegesellschaften sind sich gar nicht bewusst, welche Möglichkeiten ihnen nach US-Wertpapierrecht für Verluste aus Bilanzbetrug und falsche Angaben der Emittenten, in deren Aktien und Anleihen ihre Investmentfonds investiert haben, offen stehen“, erklärt Jurist Rolf Majcen.

„Die Ernennung zum Leitkläger ist allerdings erst die erste entscheidende Stufe, die man bei einer erfolgreichen US-Sammelklage erreichen muss. Nun gilt es, die entscheidende Hürde zu nehmen, denn erst wenn innerhalb der nächsten 90 Tage auch die Anwendbarkeit von amerikanischem Recht erkämpft werden kann, also eine Verbindung zwischen den verlustbringenden Handlungen des Emittenten und Amerika, geht der Prozess in seine nächste Runde. Das wird für die Leitkläger nicht einfach, doch es gibt eine Reihe von Anknüpfungspunkten, die durchaus Aussicht auf Erfolg versprechen lassen. Gelingt dies aber nicht, folgt die Klagsabweisung („motion to dismiss“)“, verdeutlicht  Rolf Majcen. 



Dr. Rolf Majcen ist Leiter der Rechtsabteilung der ERSTE-SPARINVEST Kapitalanlagegesellschaft m.b.H., Tel.: 050100 17104, Fax.: 050100 17102, e-mail: [email protected]


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