Vor drei Jahren erlebten wir den wohl dramatischsten Markteinbruch seit der Weltwirtschaftskrise. Nach der Marktüberhitzung der späten Neunzigerjahre bekamen wir die Kehrseite dieser Euphorie zu spüren – mit einer Marktkorrektur, von ca. 3,5 Standardabweichungen gegenüber der Norm. Das extreme Verhalten der Märkte in den späten Neunzigerjahren brachte nicht nur den natürlichen Rhythmus des Konjunkturzyklus, sondern auch die Dynamik der Aktienmärkte aus dem Tritt.
Die Nachwirkungen dieses Schocks spüren wir noch heute, insbesondere auch mit Blick auf die Abneigung der Anleger, in den Wachstumssektor des Marktes zu investieren. Diese Abneigung ist auch daran zu erkennen, in welchen Umfang die Outperformance der Value-Komponente des Russell 1000 die der Growth-Komponente in den letzten Jahren übertroffen hat.
Wir schreiben jetzt das fünfte Jahr in Folge, in dem der Russell 1000 Value Index eine bessere Performance verzeichnet als der Russell 1000 Growth Index – das ist seit 25 Jahren nicht mehr vorgekommen. Man hat das Gefühl, dass die anhaltenden makroökonomischen Sorgen über das schwache Beschäftigungswachstum, die steigenden Ölpreise, die hohe Schuldenlast der Verbraucher und den fallenden Dollar in Verbindung mit neuen geopolitischen Problemen wie Terrorismus und Krieg zusammen den Markt stärker belasten als je zuvor.
Ein Volkswirt meinte beim Rückblick auf die letzten vier Jahre, die Rezession, die Unternehmensskandale und die Terroranschläge hätten „der Konjunktur die Kraft geraubt”. Ich aber halte mich lieber an Larry Kudlows Leitartikel im Wall Street Journal, in dem er kürzlich die folgenden positiven Daten zur Konjunkturentwicklung aufzählte:
- Die Produktivität ist gestiegen.
- Die Unternehmensgewinne sind gestiegen.
- Das Vermögen der privaten Haushalte ist gestiegen.
- Die Industrieproduktion ist gestiegen.
- Der Eigenheimbesitz hat ein Rekordhoch erreicht.
- Die Zinsen und die Inflation sind nach wie vor extrem niedrig.
Sein Fazit: Nach der schlimmsten Baisse seit Jahrzehnten, den Terroranschlägen vom 11. September, Unternehmensskandalen, zwei Kriegen und einem dramatischen Ölpreisanstieg ist es wirklich bemerkenswert ist, dass die Wirtschaft seit dem Ende der Rezession eine durchschnittliche Wachstumsrate von 3,4% verzeichnen konnte. Was im Übrigen der durchschnittlichen Wachstumsrate der US-Wirtschaft seit dem Ende des zweiten Weltkriegs entspricht.
Sehen wir uns doch einmal die Unternehmensgewinne genauer an. Die Gewinne der im S&P 500 notierten Unternehmen stiegen 2003 um 15% und dürften das Jahr 2004 voraussichtlich mit einem Plus von 18% abschließen. Die Marktstrategen gehen für 2005 von einem weiteren Anstieg der Gewinne um 8-10% aus.
Jetzt, zum Ende der durch Bilanzsanierungen gekennzeichneten Post-Rezessionsphase, häufen sich in den Unternehmensbilanzen rapide wachsende Liquiditätsbestände. Die liquiden Mittel der Unternehmen machen momentan sage und schreibe 11% des BIP aus – der höchste Stand seit 1959. Während jedoch das G (d. h. der Gewinn) im Markt-KGV wächst, bewegt sich das K (d. h. der Kurs) weiter seitwärts.
Man sollte meinen, dass ein Umfeld mit geringer Inflation, niedrigen Zinssätzen, kräftigen Eigenkapitalrenditen, hoher Liquidität und einem passablen BIP-Wachstum eine attraktive Grundlage für Wachstumstitel darstellen würde. Viele Marktteilnehmer sind jedoch skeptisch, ob die Unternehmenslenker diese liquiden Mittel in Projekte investieren können, mit denen sich attraktive Renditen erwirtschaften lassen. Basierend auf einem KGV in Höhe des 17-fachen der geschätzten Gewinne des nächsten Jahres sowie aktuellen Zinssätzen und Aktienrisikoprämien preist der Markt für diese Aktien ein langfristiges Gewinnwachstum von nur 6-6,5% ein, obwohl die einbehaltenen Gewinne dieser Unternehmen ausreichen, um ein Wachstum von 17% zu finanzieren.
Dies lässt sich auch daran ablesen, wie bestimmte Marktsektoren momentan gegenüber Wachstumsaktien bewertet werden. Betrachten wir als Beispiel den Energiesektor. Energietitel, die im letzten Jahr noch attraktiv bewertet waren, nähern sich mittlerweile dem Bewertungsniveau von Wachstumsaktien. Vergleicht man das Kurs/Buchwert-Verhältnis (KBV) von Wachstumsaktien mit dem von Energieaktien, so lag der Aufschlag von Wachstumsaktien in der Vergangenheit bei ca. 100%. Jetzt liegt er unter 25%.
Empirische Untersuchungen lassen hoffen
Wir haben zusammen mit Empirical Research Partners untersucht, wie lange es nach Rezessionen dauert, bis Wachstumswerte wieder die Gunst der Anleger gewinnen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anleger nach den Rezessionen der Jahre 1975, 1981 und 1991 im Durchschnitt drei Jahre lang Value-Titel, also Substanzwerte, bevorzugten. Nach überstandenen Rezessionen legen Anleger meist eine klare Zeitpräferenz an den Tag und bevorzugen Aktien, die Anzeichen für eine erfolgreiche Entwicklung auf kurze Sicht aufweisen. Dies kann anhand von Maßstäben wie hohen Gewinnen oder Dividenden in Relation zum Aktienkurs erkennbar sein. Wenn am Markt der Optimismus für die Zukunft wächst, geht die Risikoaversion zurück, und die kurzfristigen Gewinne werden als weniger wichtig angesehen als das Potenzial für ein zukünftiges Gewinnwachstum. Mit wachsendem Vertrauen der Anleger in die Nachhaltigkeit des Wirtschaftsaufschwungs verschiebt sich ihre Zeitpräferenz, und Wachstumsaktien, deren Wertpotenzial stärker in der Zukunft liegt, steigen wieder in der Gunst der Anleger. Liegen Growth-Titel erst einmal wieder im Trend, so schneiden sie in der Regel 400-800 Basispunkte (bp) pro Jahr besser ab als Value-Titel, bis wieder ein Rezessionsdruck einsetzt.
Mittlerweile sind seit dem Tiefpunkt der Rezession von 2001 bereits 38 Monate vergangen. Die Anleger investieren jedoch nach wie vor einen Großteil ihres Geldes in Substanzaktien. Eine weiteres interessantes Ergebnis der Untersuchung ist die Tatsache, dass die Differenz zwischen den Eigenkapitalrenditen (ROEs) von Wachstumstiteln und Substanzwerten historisch betrachtet nach wie vor sehr groß ist. Dieses Diagramm enthält Daten, die rund 50 Jahre zurückreichen. Momentan liegt die ROE-Differenz zwischen Growth- und Value-Titeln – die über 1000 Basispunkte beträgt – etwa im 19. Perzentil aller Datenpunkte. Die KGV-Differenz zwischen Growth- und Value-Titeln beträgt dagegen nur einen Multiple-Punkt und läge damit im 87. Perzentil.
Zu guter Letzt können wir noch einige der Kennziffern betrachten, die Portfoliomanager üblicherweise verwenden, um zu beurteilen, wie attraktiv – und wie billig – Wachstumswerte im Verhältnis zu allen Aktien insgesamt sind. Die Eigenkapitalrenditen von Wachstumswerten liegt aktuell bei 21%, verglichen mit einer Eigenkapitalrendite von 16,5% für alle Aktien zusammen. Dies entspricht einer Prämie von 25%. Der 20-Jahres-Durchschnitt der ROE-Prämie von Wachstumswerten gegenüber anderen Aktien liegt übrigens bei ca. 50%. Die EPS-Wachstumsrate (d. h. die Wachstumsrate der Gewinne je Aktie) der letzten fünf Jahre war bei Growth-Titeln ca. 50% höher. Das geschätzte EPS-Wachstum der Growth-Aktien für 2005 ist ca. 22% höher.
Die Bewertungsdifferenzen sind jedoch deutlich geringer. Basierend auf dem Forward-KGV (d. h. dem KGV für das nächste Jahr) wird der durchschnittliche Wachstumstitel mit einem Aufschlag von nur 6% gegenüber anderen Aktien gehandelt. Beim Kurs/Buchwert-Verhältnis (KBV) beträgt der Aufschlag 20%.
Auf Basis der aktuellen Bewertungskennziffern preist der Markt für die nächsten 5 Jahre ein Gewinnwachstum von nur 6,6% für Wachstumswerte ein, verglichen mit 6,0% für alle Aktien. Dieser impliziten Gewinnwachstumsrate von 6,6% steht eine Eigenkapitalrendite von 21% gegenüber, die bei einer Ausschüttung von 20% ein 17%-iges Wachstum allein bei der Wiederanlage der Cashflows erwarten lässt.
Fazit
Wir alle wissen, dass sich diese Marktrotationen nur sehr schwer vorhersagen lassen. Wenn aber der Markt den Eindruck hat, dass einige der eingangs erwähnten Probleme nachlassen oder demnächst nachlassen werden, so könnte dies genau der nötige psychologische Anstoß sein, den der Markt braucht, um Wachstumsaktien wieder positiver zu betrachten. Vor diesem Hintergrund lautet unsere Botschaft an die Anleger, dass es an der Zeit ist, sich den Wachstumssektor wieder genauer anzusehen. Berater, mit denen wir in Kontakt stehen, berichten uns, dass sie eine Reduzierung des Engagements in Renten, Rohstoffen, REITs und Substanzwerten und eine Umschichtung in Wachstumstitel empfehlen.
Gary Black ist Chief Investment Officer von Janus Capital Group / www.janus.com
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