Der ewige Börsenzyklus

Die Stimmung an der Börse hat in sehr kurzer Zeit deutlich gedreht. Dominierte noch zu Jahresbeginn Vorsicht und Pessimismus, so sind aktuell bereits wieder erste spekulative Übertreibungen in Randsegmenten erkennbar. Gewinne in spekulativen Marktsegmenten werden auch dieses Mal nicht nachhaltig sein. Funds | 21.10.2005 18:37 Uhr
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Es ist unbestritten, dass letztendlich der unternehmerische Erfolg oder auch Misserfolg jedes einzelnen Unternehmens über dessen langfristigen Kursverlauf bestimmen wird. Ebenso gewiss ist jedoch der Umstand, dass die unternehmerische Entwicklung an der Börse oftmals nur mit größerer Zeitverzögerung honoriert wird. Es gibt viele Beispiele die belegen, dass Unternehmen trotz wirtschaftlicher Probleme weiter haussieren können und vorausschauende Analysten über längere Zeit hinweg als übervorsichtige Zweifler abgestraft werden.

Bis diese frühen Mahner dann auch an der Börse Recht bekommen, haben sie unter Umständen viel an Glaubwürdigkeit und Reputation eingebüßt. Ebenso gibt es immer wieder Perioden in denen hervorragend geführte Unternehmen kräftig korrigieren und deren Aktionäre zur Verzweiflung bringen. Hier wäre eine frühzeitige Warnung der Börsenanalysten wünschenswert. Diese bleibt jedoch oft aus, da ja "vernünftige" Gründe nicht gegen ein Engagement sprechen und die Börse somit für Analysten und Investoren völlig unerklärlich reagiert. Begründungen für die jeweilige Marktbewegung sind dann zwar rasch gefunden, aber leider erst im Nachhinein.

Diese Funktionsmechanismen der Börse, die den meisten Investoren nur allzu bekannt sein dürften, zeigen die Grenzen der "klassischen" Markt- und Unternehmensanalyse auf.

Natürlich kann auf eine grundlegende Unternehmensanalyse sinnvollerweise nicht verzichtet werden, allerdings muss sie um einige Einflussfaktoren ergänzt werden, die in einer gesamthaften Betrachtung etwas mehr Licht ins Dunkel der künftigen Börsentendenz bringen.

Die Schoellerbank berücksichtigt neben der Fundamentalanalyse noch zwei weitere Faktoren für ihre Einschätzung der künftigen Börsentendenz:

1. Die Liquidität
Ist genug billiges Geld vorhanden, das nach Anlagemöglichkeiten sucht, so ist es nur eine Frage der Zeit bis auch die Aktie wieder als Anlageobjekt entdeckt wird. Billiges Geld (tiefe Zinsen) haben an der Börse die gleiche Wirkung wie die Flut auf Schiffe. Alles wird nach oben getrieben – egal ob klein oder groß, ob gut oder schlecht. Um bei obigem Vergleich zu bleiben, kann in weiterer Folge davon ausgegangen werden, dass nur die besten und stabilsten Boote auch die stürmischen Zeiten gut überstehen werden. Die schlechten oder angeschlagenen werden in der Folge umso tiefer sinken, je höher die Flut  sie zuvor hochgehoben hat.

2. Die psychologische Verfassung der Marktteilnehmer
Auch die besten Unternehmen werden bei reichlich vorhandener Liquidität nur dann steigen können, wenn die Anleger sie auch kaufen wollen. "Man kann die Pferde zwar zur Tränke führen – aber trinken müssen sie selbst." Eine gute Unternehmensentwicklung und überschüssige Geldmittel werden nur dann zu einem Aktienkauf führen, wenn der potenzielle Investor einen Vorteil aus seinem Tun erwartet. Neben rein ökonomischen Überlegungen beginnt hier das Betätigungsfeld der Verhaltens- und auch der Massenpsychologie. Obwohl es sich um Wissenschaftszweige handelt, die menschliches Verhalten sehr gut beschreiben und erklären können, haben die Erkenntnisse der Psychologie ihre Grenzen, wenn es um die Verhaltensprognose geht. Hier gilt es neue Wege zu finden und zu beschreiten. Die Schoellerbank bringt bei ihrer Analyse der "psychologischen Verfassung" der Akteure an der Börse verschiedene Handelsstatistiken zum Einsatz. Auch die Empfehlungstendenzen von Börsenbriefen werden laufend analysiert. Ziel ist es Übertreibungsphasen messbar zu machen, um im Anlassfall antizyklisch agieren zu können. So konnten die Stimmungstiefs der Börsianer in den letzten Jahren erkannt und für Käufe genutzt werden. Genauso ist es möglich Übertreibungen nach oben zu erkennen und diese für Verkäufe zu nutzen, oder sich zumindest nicht von der dann herrschenden Euphorie beeindrucken zu lassen. Letztendlich geht es darum handfeste Argumente zu haben, um sich von der zu unterschiedlichen Zeitpunkten herrschenden Gier oder auch Panik nicht anstecken zu lassen. Jeder Anleger wird bestätigen können, dass antizyklisches Handeln an der Börse zwar richtig wäre, es aber sehr schwer ist auch danach zu handeln. Stimmungsindikatoren sind ein sehr hilfreiches Mittel bei der Disziplinierung des eigenen Anlageverhaltens.

Was lässt sich aus diesen Überlegungen für die künftige Börsentendenz ableiten?

Unter der Voraussetzung nur in die besten und stärksten Unternehmen der verschiedensten Branchen zu investieren (um auch bei überraschend aufziehenden Stürmen nicht unterzugehen) gilt es die aktuelle Liquiditätssituation sowie die psychologische Verfassung der Marktteilnehmer zu erfassen.

Die aktuelle Lage

Liquidität ist im Überfluss vorhanden.
Darin liegt auch der Hauptgrund für die stabile Verfassung der Börse in den letzten Monaten. Trotz einer Vielzahl kleinerer und größerer Katastrophen kam es zu keiner nachhaltigen Trendumkehr. Die Börsen bleiben in Hausselaune. Die kräftigen Zinserhöhungen in den USA sind sicherlich ein erster Vorbote möglicher künftiger Liquiditätsprobleme. Auch die Zinsanhebungsdiskussionen in Europa weisen auf ein künftiges Gefahrenpotenzial hin.  Maßgeblich ist jedoch auch die Zinshöhe bei lang laufenden Anleihen. Zinsen für langfristige Veranlagungen haben zuletzt – trotz der Zinserhöhungen der US-Notenbank – neue Rekordtiefs erreicht. Solange es hier zu keiner nachhaltigen Trendwende kommt, ist mit keinen bedeutenden Mittelabflüssen von den Aktienbörsen zu rechnen. Hier gilt es die künftige Tendenz aber genauestens zu beobachten.

Die psychologische Verfassung der Marktteilnehmer hat sich im letzten Halbjahr deutlich verändert

Noch zu Jahresbeginn glaubten viele Anleger nicht an einen nachhaltigen Börsenaufschwung. Die meisten Analysten wie auch Anleger hielten sich vorsichtig bedeckt und waren nur zögerlich für Aktienkäufe zu gewinnen. Auch das Stimmungsbild unter den Börsenbriefverfassern war äußerst negativ. Wenn überhaupt – so dachte man – würden kurzfristige Trading-Strategien erfolgreich sein, bei denen man erzielte Gewinne rasch wieder zu Geld machen müsse. All das waren Gründe für die Schoellerbank – aus antizyklischen Überlegungen – optimistisch ins Jahr 2005 zu gehen.

Aktuell zeigt sich ein deutlich anderes Bild. Qualitätswerte sind zwar noch immer attraktiv bewertet und werden auch gerne gekauft, von einer zunehmenden Anzahl von Marktteilnehmern werden sie jedoch als eher langweilig betrachtet.

Spekulation und Gier: Rückfall in alte Zeiten?

Wesentlich mehr spekulatives Geld strömt in die vermuteten Wachstumsmärkte der Zukunft. China (trotz hartnäckiger Börsenbaisse) und Indien werden dabei genauso genannt wie Brasilien oder auch Russland. Aufgrund der hohen Energiepreise stehen Unternehmen, die auf die Nutzung alternativer Energiequellen setzen, ebenso in der Gunst vieler Anleger. Manche dieser Unternehmen leben bei ihrem Börsengang lediglich von ihrer Zukunftsstory. Aktuell werden noch kaum Umsätze erzielt, aber bereits im Jahr 2008 sollen die ersten Gewinne sprudeln. Doch wer kann heute schon abschätzen, welche Produkte im Jahr 2008 tatsächlich nachgefragt werden und wie sich das Konkurrenzumfeld dann darstellen wird? Noch handelt es sich bei diesen spekulativen Börsentendenzen um kein Massenthema.

Zweifler und Mahner (noch) vorhanden

Noch gibt es so manche Zweifler und Mahner, die lieber zusehen und sich an gewagten Spekulationen nicht beteiligen wollen. Doch auch das kann sich schnell ändern, wenn der Aspekt der Gier wieder stärker ins Gewicht fällt. Die Lehren aus den Jahren 1999 und 2000 könnten dann rasch wieder vergessen sein. Die oben genannten Wachstumsregionen in den Emerging Markets werden zurzeit massiv überschätzt. Natürlich ist es lohnend sich dort wirtschaftlich zu betätigen. Direktinvestments sind jedoch wenig ratsam, denn viele dieser Unternehmen profitieren jetzt lediglich von einer unverhofft eingetretenen, günstigen Situation. Tiefe Zinsen, hohe Rohstoffpreise, enorme Nachfrage nach Billigarbeitskräften, stabile politische Verhältnisse usw. werden in dieser Form nicht dauerhaft sein. Auch makroökonomisch werden durch die derzeit äußerst lukrativen Energie- und Rohstoffexporte strukturelle Schwächen lediglich zugedeckt und sogar weiter verschärft, da dringend notwendige Reformen aufgrund der glücklichen Umstände nicht in Angriff genommen  werden. Die latent vorhandenen Probleme werden nicht gelöst und daher zur Unzeit mit doppelter Vehemenz auf diese Länder hereinbrechen. Argentinien wird sicherlich nicht das letzte Beispiel sein. Ob es weiters ein nachhaltiger Wohlstandsbringer sein kann, billiger zu sein als der Rest der Welt, darf ebenso bezweifelt werden.

Resümee

So kann zusammenfassend gesagt werden, dass die Ampeln an den Aktienbörsen nach wie vor auf Grün stehen. Allerdings muss sich jeder Anleger bewusst sein, dass das schnelle Geld mit rein spekulativen Investments auch diesmal kaum nachhaltig verdient sein wird. Im Modell des "ewigen Börsenzyklus" befinden wir uns im Übergang von Phase 4 auf Phase 5 (siehe Grafik oben).


Mag. Heinz Mayer ist Vorstandsmitglied der Schoellerbank AG 


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