Die Lage ist kritisch, aber nicht hoffnungslos
e-fundresearch: Wie glaubwürdig sind diese Aussagen?
Bayer: Mit den Wahlversprechen ist es wie in Deutschland. Das, was vor der Wahl versprochen wurde, wird nicht immer eingehalten. Nach der Wahl hat die AKP aber an ihren Aussagen festgehalten. Zudem will sie – trotz absoluter Mehrheit im Parlament – eng mit der CHP zusammenarbeiten, in der der ehemalige Weltbanker Kemal Dervis mitarbeitet.
e-fundresearch: Wie geht es der Wirtschaft des Landes?
Bayer: Die Türkei hat im vergangenen Jahr die schwerste Krise nach dem 2. Weltkrieg durchgemacht. Und finanziell steht das Land nicht sehr stabil da, das heißt die Türkei ist hoch verschuldet. Aber die Richtung der Wirtschaftspolitik stimmt. Beispielsweise liegt der Primärhaushalt – also die Einnahmen vor Zinsen – im Plus. Die Lage ist kritisch, aber nicht hoffunungslos
Türkei ein Schwellenland mit allen Chancen und Risiken
e-fundresearch: Und wie geht es dem türkischen Aktienmarkt?
Bayer: Die Türkei ist ein Schwellenland mit allen Chancen und Risiken. Und ähnlich wie in anderen Emerging Markets sind an der türkischen sehr viele Banken gelisted, die unter notleidenden Krediten leiden. Daher gefallen uns die Banken nicht. Wir haben dort nur größerer Positionen in UK-BankAKBank Und der GxyGaranti-Bank. Ansonsten bietet die türkische Börse die ganze Bandbreite: Versicherer, Autobauer, Stahlhersteller, Handels- und Konsumtitel, Ölindustrie oder High-Tech-Werte wie Turksell Turkcell und den Telekomausrüster Neschta Netas.
e-fundresearch: Wie stark korreliert die türkische Börse mit den europäischen und amerikanischen Aktienmärkten?
Bayer: Die Korrelation ist wenn überhaupt sehr gering. Die türkische Börse ist es eher "news driven" und nicht sehr stabil. Zum Beispiel, wenn schlechte Nachrichten aus Brasilien gemeldet werden, erscheint Türkei auch in schlechtem Lichtwenden sich die Anleger auch schnell von anderen Emering Markets wie der Türkei ab.
Inflation sinkt, wird aber hoch bleiben
e-fundresearch: Die türkische Währung ist schwach und Sie sichern das Währungsrisiko nicht ab. Müssen Anleger weiter mit einer schwachen Lira rechnen?
Bayer: Das Land hat in diesem Jahr 35 Prozent Inflation, da ist eine Abwertung der türkischen Lira aus ökonomischer Sicht normal. Man darf aber nicht vergessen, dass die Inflation 2001 noch bei 68 Prozent lag. Und für 2003 wird mit 26 Prozent gerechnet. Die Inflation wird also sinken, aber hoch bleiben.
e-fundresearch: Wodurch zeichnet sich der Anlagestil des Türkei 75 Plus aus?
Bayer: Der Fonds verfolgt einen Top-Down-Ansatz. Wir achten auf die politische Lage und makroökonomische Daten. Danach erfolgt die Auswahl der Einzelunternehmen. Der Großteil der Titel stammt aus dem ISE 100, weil die Liquidität dort am höchsten ist.
Türkei 75 Plus favorisiert Titel mit geringen Auslandsschulden
e-fundresearch: Auf welche Kriterien achten Sie beim Kauf?
Bayer: Zum Beispiel auf die Wachstumschancen, die die Unternehmen haben. Von enormer Bedeutung ist jedoch die finanzielle Stabilität. Vor der Wahl haben wir speziell auf Unternehmen mit geringen Auslandsschulden gesetzt. Denn bei einem negativeren Wahlausgang als jetzt wäre es zu einer Abwertung der Währung gekommen und das hätte die Schuldenlast der Unternehmen verschärft.
e-fundresearch: Wie stark sind Sie beim Türkei 75 Plus derzeit in Aktien investiert?
Bayer: Die Untergrenze für Aktien liegt bei 75 Prozent. In der Krise kann die Quote auf 66 Prozent sinken. Aktuell ist der Fonds zu 82 Prozent in Aktien investiert.
Gute Stimmung, aber die AKP muss Ergebnisse liefern
e-fundresearch: Was können Anleger sich vom türkischen Aktienmarkt erhoffen?
Bayer: Jetzt so kurz nach der Wahl ist die Euphorie groß. Der Markt befindet sich sozusagen in den Flitterwochen. Daran Das liegt auch daran, dass es keine Koalitionsverhandlungen gibt, die die Stimmung trüben. Aber die gute Stimmung wird sich wieder legen. Denn die AKP muss Ergebnisse liefern und ihre Versprechungen halten. Mittel- bis langfristig stehen die Chancen gut, weil sich das Land politisch und wirtschaftlich in die richtige Richtung bewegt
Kurzfristig kein EU-Beitritt, langfristig gute Chancen
e-fundresearch: Wie stark schätzen Sie die Unterstützung ein, die die Türkei aus dem Westen geniesst?
Bayer: Die USA unterstützen einen EU-Beitritt der Türkei, damit das Land neben der Nato-Mitgliedschaft noch enger an den Westen heranrückt.
e-fundresearch: Aber es gibt doch in Deutschland und Frankreich Widerstand gegen eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU.
Bayer: Der EU-Beitritt der Türkei ist eine politisierte Frage. Mir scheint, die CDU ist dagegen, weil die SPD dafür ist. Und die SPD ist dafür, um die USA zu besänftigen. Kurzfristig bestehen für einen EU-Beitritt der Türkei keine Chancen. Mittel- bis langfristig sehe ich gute Chancen, weil die Türkei Disziplin übt. Beispielsweise bei der Zusammenarbeit mit dem IWF oder indem sie auf eine Kooperation mit der EU hinarbeitet. Beleg dafür ist, dass die Türkei die Todesstrafe abgeschafft hat.