e-fundresearch: Herr Murchison, in letzter Zeit gab es nur schlechte Nachrichten aus der amerikanischen und der europäischen Wirtschaft. Beispielsweise ein sinkendes Verbrauchervertrauen, eine nachlassende Industrieproduktion, eine hohe Arbeitslosigkeit und gesenkte Wachstumsaussichten für 2003. Trotzdem haben die Börsen seit ihren Tiefstständen im Oktober stark zugelegt. Glauben Sie, die Investoren sind zu optimistisch?
Murchison: Ja, und dafür gibt es zwei Gründe. Erstens, ist dies nicht die erste Rally des Bärenmarktes. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Märkte in kurzer Zeit 20 Prozent steigen. Aber eine Bear-Market-Rally muss nicht automatisch das Ende der Baisse bedeuten. Der zweite Punkt ist, dass Märkte häufig den Wachstumsprognosen folgen. Aber auch das Gegenteil ist zu beobachten, dass die Prognosen den Märkten folgen. Es ist also schwierig mit Wachstumsprognosen kurzfristige Kursbewegungen zu beurteilen.
„Die Märkte sind fair bewertet“
e-fundresearch: Haben die starken Zinssenkungen der US-Notenbank zur Rally beigetragen – und muss die EZB auf den letzten Zinsschritt der US-Notenbank reagieren?
Murchison: Klar, Zinsveränderungen führen immer zu Kursbewegungen. Ich verstehe nicht, warum die EZB nicht schon längst die Zinsen gesenkt hat. Auch die Fiskal- und Wirtschaftspolitik ist enttäuschend im Hinblick auf die Restrukturierung der Wirtschaft. Daher muss die EZB die Zinsen senken. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann das geschieht. Je früher, je besser. Denn ohne Zinssenkung kann Europa und besonders Deutschland nicht prosperieren.
e-fundresearch: Halten Sie die Aktienmärkte derzeit für unterbewertet?
Murchison: Ich glaube, dass die Märkte im Ganzen gesehen fair bewertet sind, wenn wir im nächsten Jahr starkes Wachstum sehen. Wenn es allerdings zu Wachstumsenttäuschungen kommt, gibt es noch Abwärtspotenzial. Wie auch immer es kommen mag – wir sind Stockpicker und finden auch im gegenwärtigen Umfeld viele sehr günstig bewertete Aktien, deren Abwärtsrisiko moderat ist.
Murchison setzt auf Bottom-up-Prinzip
e-fundresearch: Heißt das, dass Ihnen Index-, Länder- und Branchengewichtungen egal sind?
Murchison: Ja! Wie gesagt, wir sind Stockpicker. Wir wählen die Aktien nur nach dem Bottom-up-Prinzip aus. Das heißt: Das einzelne Unternehmen steht im Mittelpunkt und weniger eine Branche oder eine Region. Die Asset-Allocation im Fonds ergibt sich automatisch aus der Aktienauswahl. Und die wiederum ist einzig und allein bestimmt durch die Bewertungen der Aktien.
e-fundresearch: Können Sie konkret sagen, welche Kriterien eine Aktie erfüllen muss, damit sie Ihrer Meinung nach günstig bewertet ist?
Murchison: Wichtig ist, dass die Aktie unter ihrem wahren Wert gehandelt wird. Zudem muss das Unternehmen über starke Bilanzen verfügen und einen hohen Cash-Flow haben. Außerdem muss es in der Lage sein, in den nächsten fünf Jahren seine Marktstellung deutlich zu verbessern.
Kontinutät des Fonds unabhängig vom Fondsmanager
e-fundresearch: Haben Sie auch Verkaufskriterien?
Murchison: Den Verkaufspunkt legen wir schon beim Kauf der Aktie fest. Wir verkaufen, wenn der Titel den von uns anvisierten Preis erreicht hat. Egal, wie die Aktie dann vom Markt bewertet wird.
e-fundresearch: Ihr Fonds, der Templeton Growth Fonds, hat sich im Vergleich zum MSCI World sehr gut entwickelt. Wie stark ist diese Performance von Ihrer Person abhängig?
Murchison: Das ist natürlich unmöglich zu messen. Aber der Fonds hat schon eine lange Erfolgsgeschichte unter verschiedenen Managern vorzuweisen. Hinter dem Manager steht ein weltweites Team von 30 Analysten. Alle haben eine lange Berufserfahrung vorzuweisen, daher ist die Kontinuität im Fonds unabhängig vom Manager. Es ist schwer zu sagen, welchen kurzfristigen Einfluss ich auf den Fonds haben kann. Wichtig ist aber vor allem, langfristig die Charakteristik des Fonds kontinuierlich aufrecht zu erhalten. Ich bin froh, dass ich ein solch gutes Produkt mit seiner beeindruckenden Vergangenheit managen darf.
Auch Murchison macht Fehler
e-fundresearch: Schließt das große Team mit seiner langjähriger Erfahrung Fehler aus?
Murchison: Nein. Trotz der langen und erfolgreichen Vergangenheit sind auch wir nicht frei von Fehlern. Beispielsweise habe ich geglaubt, dass die EDS-Aktie Potenzial bis 40 Dollar hat. Doch im August gab das Elektronikunternehmen eine Gewinnwarnung heraus und der Titel stürzte auf 16 Dollar.
e-fundresearch: Welche Fonds-Entwicklung erwarten Sie in den nächsten ein bis zwei Jahren?
Murchison: Kurzfristige Vorhersagen machen wir nicht. Wir investieren auf Sicht von fünf Jahren. In kurzer Zeit kann sehr viel passieren, so dass Vorhersagen nicht seriös sind. Grundsätzlich fühle ich mich nicht wohl, irgendwelche Versprechen zu geben. Ich kann nur sagen, dass wir bestrebt sind, langfristig für unsere Kunden Wertzuwächse zu schaffen.
Zur Person: Der Schotte Murdo Murchison (37) hat Anfang 2001 das Management des Templeton Growth Fund von Mark Holowesko übernommen. Murchison kam 1993 zu Templeton. Zuvor studierte er Jura an der Edinburgh University. Seine Investment-Karriere begann er bei Schroder in London, wo er als Rohstoff-Analyst tätig war.