e-fundresearch: Herr Kaldemorgen, was erwarten Sie vom Anlagejahr 2003?
Kaldemorgen: Die Perspektiven für die internationalen Aktienmärkte im Jahr 2003 sind durchaus günstig einzuschätzen. Der aktuelle Pessimismus ist dabei das Fundament für steigende Kurse in der ersten Jahreshälfte. Wichtig hierfür ist allerdings das wiederkehrende Vertrauen der Anleger in den Aktienmarkt und in die Unternehmen.
"In Südostasien wird die Wirtschaft 2003 am stärksten wachsen"
e-fundresearch: Welche Renditen sind mit Aktien möglich?
Kaldemorgen: Bei dem aktuell geringen Bewertungsniveau sind Wertsteigerungen von 10 bis 15 Prozent möglich, ohne dass vom Wirtschaftswachstum nennenswerte Impulse kommen.
e-fundresearch: Und was erwarten Sie gesamtwirtschaftlich?
Kaldemorgen: Wir rechnen mit einem globalen Wirtschaftswachstum von zwei Prozent. Das Zentrum wird dabei in Südostasien, insbesondere in China (7 bis 8 %), Taiwan und Südkorea liegen. In den USA sollte die Wirtschaft mit 2,6 Prozent ebenfalls überdurchschnittlich, in Europa mit einem Prozent unterdurchschnittlich zulegen.
"Der private Konsum in Europa und den USA wird stagnieren"
e-fundresearch: Worauf stützen sich Ihre Annahmen?
Kaldemorgen: In erster Linie wird die Nachfrage nach Investitionsgütern zu einer Belebung führen. Unternehmen sind gezwungen, in neue Technologien zu investieren, um so Kosten senken und in dem schwierigen Umfeld wettbewerbsfähig bleiben zu können. In den USA können Unternehmen im Gegensatz zu Europa zudem mit einer hohen Staatsnachfrage rechnen. Der private Konsum wird hingegen in Europa und in den USA weiter stagnieren.
e-fundresearch: Also sollte man mit dem Umtausch von Renten in Aktien doch noch etwas warten?
Kaldemorgen: Für die Rentenmärkte bleibt das Umfeld insgesamt gut. In den nächsten Monaten rechne ich mit einer weiterhin expansiven Geldpolitik der EZB.
"Längerfristig sind Aktien immer interessant"
e-fundresearch: Und was ist längerfristig?
Kaldemorgen: Längerfristig sind Aktien immer interessant. Doch unser Optimismus bezüglich eines kurzfristigen Kursanstiegs aufgrund niedriger Bewertungen muss auf mittlere Sicht relativiert werden. Über die letzten 20 Jahre haben die Aktienmärkte jährliche Renditen von etwa zwölf Prozent erbracht. Kurstreiber waren sinkende Zinsen, technischer Fortschritt, steigende Produktivität, Globalisierung und die so genannte Friedensprämie.
"Technische Quantensprünge sind derzeit nicht erkennbar"
e-fundresearch: Und das gilt nicht mehr?
Kaldemorgen: Heute ist davon auszugehen, dass, von zyklischen Schwankungen abgesehen, das Ausmaß der Produktivität die durchschnittliche Kursentwicklung bestimmen wird. Der technische Fortschritt wird die Börse zwar weiter beeinflussen, technische Quantensprünge wie bei PCs, Mobilfunk oder Internet sind aber derzeit nicht erkennbar. Und die Friedensprämie ist durch die Spannungen im mittleren Osten weggefallen.
"Die Krise im Mittleren Osten ist eingepreist"
e-fundresearch: Was droht von dieser Seite?
Kaldemorgen: Die Krise im Mittleren Osten ist in den Aktienkursen bereits eingepreist. Ein Indikator hierfür ist der Ölpreis, der den Spannungen entsprechend ansteigt. Die aus der Krise resultierende Unsicherheit spiegelt sich zudem in der hohen Volatilität wider. Sollte aus der Krise nun ein Krieg werden, so werden die Märkte sicherlich zusätzlich unter Druck geraten. Allerdings erwarte ich nicht, dass dies von Dauer sein wird – es sei denn, der Konflikt weitet sich aus.
"Ölaktien sind eine Art Versicherung für den Kriegsfall"
e-fundresearch: Was heißt das für Anleger?
Kaldemorgen: Ölaktien spielen vor diesem Hintergrund eine wichtige Rolle in unserer Anlagestrategie. Sie sind eine Art Versicherung für den Kriegsfall und einen weiterhin hohen Ölpreis. Ansonsten ist es wichtiger denn je auf die Qualität der Unternehmen zu achten. Solide Bilanzen und ein gutes Management sind der Grundstein, um gestärkt aus der aktuellen Situation herauszukommen. Nur gesunde und gut aufgestellte Unternehmen bieten die Gewähr, auch wirtschaftlich schwierige Zeiten zu überstehen.
"Bei Alcatel trägt die schmerzhafte Anpassung Früchte"
e-fundresearch: Das kann aber noch dauern.
Kaldemorgen: Der Vertrauensentzug der Investoren hat die Aktien stärker nach unten gezogen, als es die wirtschaftliche Entwicklung gerechtfertigt hätte. Und das besonders stark in Europa, allen voran Deutschland. Wenn die Unternehmen in den kommenden Monaten aber belegen können, dass sie mit dem geringen Wachstum gut zurechtkommen und auch wieder Gewinne erwirtschaften, dann werden die Investoren ihre Zurückhaltung aufgeben. Als Beispiel kann Alcatel genannt werden. Deren CEO hat erst kürzlich bekanntgegeben, dass selbst bei einem weiteren Umsatzrückgang von 15 Prozent immer noch ein Gewinn zu erwirtschaften sei. Die schmerzhafte Anpassung der letzten Monate trägt hier also erste Früchte.
Für Deutschland mahnt Kaldemorgen Reformen an
e-fundresearch: Gilt das auch für Deutschland?
Kaldemorgen: Deutschland spielte zuletzt sicher eine Sonderrolle. Die Perspektiven der Unternehmen wurden durch die politische Diskussion natürlich beeinträchtigt. Was wir dringend bräuchten, wären Signale für einen flexibleren Arbeitsmarkt, vertretbare Lohnnebenkosten und ein einfacheres Steuersystem.
Zur Person: Klaus Kaldemorgen, 49, arbeitet bereits seit 1983 im internationalen Aktienfondsmanagement der DWS. Seit 1991 leitet der leidenschaftliche Motorradfahrer diesen Bereich, seit Juli 2002 ist er für das gesamte Aktienmanagement des größten deutschen Fondsanbieters verantwortlich. Er managt unter anderem den Akkumula und den Vermögensbildungsfonds I.