e-fundresearch.com: Herr Cunningham, wie viele Zinserhöhungen werden wir in den USA in diesem Jahr noch sehen? Wie begründen Sie Ihre Erwartung?
Jeremy Cunningham: Entscheidungsträger der Fed gehen weiterhin von einer zusätzlichen Zinserhöhung in diesem Jahr aus. Allerdings haben diese in den vergangenen Jahren oftmals eine zu hohe Schätzung abgegeben. Zum Teil liegt das daran, dass sich die finanziellen Bedingungen verschärfen sobald auf dem Markt ein schnelleres Tempo bei den Zinserhöhungen erwartet wird, was es der amerikanischen Zentralbank Fed im Gegenzug ermöglicht, die Zinsen langsamer anzuheben. Aus diesem Grund gehen wir nicht davon aus, dass es in diesem Jahr zu weiteren Zinserhöhungen kommen wird. Stattdessen erwarten wir ein bis zwei Zinserhöhungen um 25 Basispunkte im kommenden Jahr.
e-fundresearch.com: Die Juni-Zinserhöhung ließ die Anleihenmärkte weitestgehend kalt: Was steckt dahinter?
Jeremy Cunningham: Anders als häufig in den Medien dargestellt, setzt die Fed zumindest in diesem Jahr auf ein recht langsames Tempo bei den Zinserhöhungen und auch die Anleihe-Investoren erwarten eine schrittweise Anhebung der Zinsen. Dies soll vermeiden, dass die Wirtschaft durch zu schnell steigende Zinssätze negativ beeinflusst wird. Während die Preise in der Regel immer fallen, wenn die Anleiherenditen steigen, bedeutet das nicht gleich, dass Anleihe-Investoren im derzeitigen Straffungszyklus Schwierigkeiten bekommen müssen. Mit Hilfe einfacher Mathematik kann man darauf schließen, dass selbst wenn wir alle geplanten Zinsschritte betrachten, viele Anleihefonds wenige oder gar keine Verluste durch die Zinserhöhungen erleben könnten. Voraussetzung hierfür bleibt, dass die Erhöhungen langsam erfolgen.
e-fundresearch.com: Was macht den aktuell zu beobachtenden Straffungszyklus so einzigartig?
Jeremy Cunningham: Im Gegensatz zu vielen anderen Straffungszyklen, ist die Fed dieses Mal bei einem niedrigen Zinssatz gestartet und hat die Zinsen im historischen Vergleich relativ langsam angehoben. Zur gleichen Zeit waren die Zinsen weltweit niedrig oder sogar negativ. Es ist ungewöhnlich, gleichzeitig in mehreren Ländern niedrige Zinsen zu haben. Am auffälligsten an diesem Zyklus ist jedoch, dass es nicht nur um eine höhere Nominalverzinsung geht, sondern auch um das Auslaufen des Quantitive-Easing-Programms, also der quantitativen Lockerung. Sowohl die Fed als auch die EZB reduzieren ihre Bilanzsummen.
e-fundresearch.com: Wie sehen Ihre Erwartungen bezüglich der Langfristrenditen aus? Gibt es strukturelle Faktoren, die das Potenzial begrenzen? Werden wir uns trotz Straffungszyklus an „Lower for Longer“ gewöhnen müssen?
Jeremy Cunningham: Diejenigen, die auf eine platzende Finanzblase warten und signifikante Zinserhöhungen vorhersehen, argumentieren damit, dass wir seit der Finanzkrise über einen Zeitraum von acht Jahren niedrige Zinsen hatten. Wenn wir uns aber die historischen Zinsen ansehen, können wir erkennen, dass die letzten beiden Niedrigzins-Perioden über 30 Jahre gedauert haben. Somit lässt die Vergangenheit darauf schließen, dass die Periode mit höheren Zinsen von 1965-1995 eher eine Ausnahme darstellt, als acht Jahre mit niedrigen Zinsen.
Hinzu kommt, dass die Maßnahmen der Fed von globalen Kräften in ihrer Wirkung gehemmt werden könnten. Wie offizielle Vertreter uns erinnert haben, haben die aktuellen Zinssätze weniger mit politischen Präferenzen als mit weltweiten Faktoren wie Sparquote, Produktivitätswachstum, Ungleichheiten oder der globalen Wirtschaft zu tun. In der Vergangenheit hat die Fed solche Abwärtsrisiken durch externe Faktoren unterschätzt, und dennoch werden diese die Märkte im zweiten Halbjahr wahrscheinlich weiter bestimmen. Aus diesem Grund gehen wir davon aus, dass die Zinsen längerfristig auf einem niedrigen Niveau bleiben werden.
e-fundresearch.com: Warum sollten sich europäische Investoren im aktuellen Umfeld ausgerechnet für US-Anleihen entscheiden?
Jeremy Cunningham: Geopolitische Unsicherheiten gekoppelt mit potentiell bevorstehenden Zinssteigerungen bringen Ungewissheit für die globalen Anleihenmärkte. Während in vorhersehbarer Zukunft eine akkommodierende Geldpolitik die europäischen Anleihen dämpfen wird, ist es für Investoren sinnvoll, sich US-Anleihen genauer anzusehen, wie beispielsweise Unternehmensanleihen, die ohne signifikant höheres Risiko höhere Erträge erzielen.
Die Wahl von Donald Trump zum US-amerikanischen Präsidenten hat weitere Unsicherheit mit sich gebracht und Bedenken hinsichtlich der Schuldentragfähigkeit angesichts des geplanten großen Konjunkturpakets ausgelöst. Die für Anleihe-Investoren größte Sorge ist jedoch, dass die Fed die Zinsen in einem schnelleren Tempo erhöhen könnte. Wir glauben, dass die von Trump vorgeschlagenen Strategien, wenn überhaupt dann nur schrittweise umgesetzt werden. So könnten der fiskalische Stimulus und die Pläne für eine Unternehmenssteuerreform zusammen mit schrittweisen Zinserhöhungen letztendlich sogar die Renditen von US-Anleihen stützen.
e-fundresearch.com: Immer öfter entscheiden sich Selektoren auch im Anleihen-Bereich für passive ETF-Lösungen: Warum sollten Investoren zu aktiven Managern greifen?
Jeremy Cunningham: Auch wenn aktive Lösungen selbstverständlich nicht risikofrei sind, haben sie großes Potential die Rendite der Benchmark zu übertreffen. Ein fundamentaler Ansatz kann von einem tiefgehenden Credit-Research profitieren, so die Gefahren passiver Vehikel vermeiden und stattdessen effizientere Investmententscheidungen treffen. So müssen aktiv gemanagte Investmentlösungen zum Beispiel höchstverschuldete Kreditnehmer nicht in hohem Maße in ihrer Gewichtung berücksichtigen. Zudem können sie mit verschiedenen Händlern über flexible Zeithorizonte hinweg zu einem niedrigen Preis zusammenarbeiten, um die Gesamtkosten niedrig zu halten. Dadurch profitieren sie vom „Relative Value“ zwischen verschiedenen Emissionen.
Besonders in einem so tiefen und breiten Markt wie dem der US-Unternehmensanleihen, kann ein aktiver Investmentansatz daher große Wertpotenziale freilegen. Dabei ist eine Bottom-Up-Perspektive vorteilhaft, um Emittenten zu identifizieren, die über eine positive Prognose der Kreditwürdigkeit verfügen. Auf diese Weise können auch Emittenten mit guten Fundamentaldaten gefunden werden, die am Markt unterschätzt sind – und dennoch Überrenditen für Investoren bringen könnten.