e-fundresearch.com: Kürzlich wurden Sie zum neuen CIO der Value-Boutique Lingohr & Partner berufen: Was steckt hinter Ihrer ganz persönlichen Faszination für Value-Investing?
Goran Vasiljevic: So wie viele Deutsche in ihrer Freizeit gerne in Geschäften oder auch online nach Schnäppchen jagen, mache ich das auch gern – allerdings am Aktienmarkt. Die Mischung aus Ökonomie und Psychologie macht das Thema Investieren für mich so spannend. Denken Sie z.B. an die Angebots- und Nachfrage-Kurve, die beim Investieren nicht zu gelten scheint. Normalerweise sollte jeder Anteil an einem Unternehmen attraktiver sein, je günstiger ich ihn kaufen kann. Für Marktteilnehmer scheint aber jeder Titel attraktiver, je besser er sich entwickelt hat. Wer würde sich im Supermarkt schon von einem Aufpreis-Schild anstelle eines Rabatt-Schildes angezogen fühlen? Bei Aktien impliziert ein hoher Preis für viele Menschen „Qualität“, unabhängig von fundamentalen Kennzahlen.
Genau hier setzen wir an. Aus unserer Sicht ist Value Investing, also einen Titel unter seinem Wert zu kaufen, der intuitiv sinnvollste, erfolgversprechendste aber gleichzeitig auch einer der herausforderndsten Investmentansätze. Denn: Natürlich möchte jeder ein Unternehmen unter seinem eigentlichen Wert kaufen. Doch dazu kommt es nur, wenn Unsicherheit im Markt ist. Daher braucht man eine starke Überzeugung um bei Gegenwind an einer konträren Meinung festhalten zu können – diese Stärke zu besitzen, motiviert und fasziniert mich am meisten.
e-fundresearch.com: Wie definieren Sie beziehungsweise Lingohr & Partner „Value“ eigentlich?
Goran Vasiljevic: Wir glauben fest an die „Rückkehr zum Mittel“, das heißt an die systematische Korrektur von Über- und Untertreibungen an den Märkten. Der Preis, den der Markt für ein Unternehmen zahlt wird kurzfristig oft stark von Unsicherheiten und Erwartungen getrieben. Die Zukunft ist allerdings auch für sogenannte Experten nicht vorhersehbar. Sicher ist aber, dass die Aktienkurse langfristig durch Cash-Flows bestimmt werden. Daher bieten Unternehmen, die zwar einen attraktiven nachhaltigen Cash-Flows aufweisen, denen der Markt aber keine rosige Zukunft attestiert, oft „Value“. Diese sogenannten unterbewerteten Aktien stellen für uns damit Kaufgelegenheiten dar, in denen viel Potential steckt, den Investor positiv zu überraschen. Unser fundamentaler und systematischer Anlageprozess hilft dabei, diese werthaltigen Titel zu finden.
e-fundresearch.com: Value-Manager hatten es in den vergangenen Jahren nicht besonders leicht – immer wieder wird behauptet, dass auch das Auftreten disruptiver Technologien und Unternehmen, diesen Investmentstil in seiner erfolgreichen Anwendung deutlich komplizierter gemacht hat. Wie schätzen Sie die Situation ein? Hat sich Ihre Interpretation von „Value“ im Laufe der vergangenen Jahre verändert?
Goran Vasiljevic: Heiß diskutierte Paradigmenwechsel werden oft überschätzt. Immer dann, wenn sich alle einig sind, dass etwas nicht funktioniert, führt das zu Überreaktionen und damit chancenreichen Gelegenheiten für uns. Wenn alle eine konforme Meinung haben lohnt es sich dorthin zu sehen, wo sonst niemand hinsieht und nach verborgenen Werten zu suchen. Das trifft nicht nur bei Aktien, sondern auch bei Investmentstilen, Sektoren oder Währungen zu.
Solange Menschen am Markt agieren, Emotionen die Handlungen prägen und die Zukunft nicht vorhersehbar ist, wird Value-Investing funktionieren. Wichtig ist, dass Entscheidungen immer auf neutralen, fundamentalen Kriterien basieren. Fakten stehen bei uns an erster Stelle.
e-fundresearch.com: Mit Blick auf aktuelle Marktbewertungen: Wo finden Sie im derzeitigen Umfeld die spannendsten Value-Opportunitäten?
Goran Vasiljevic: Unter den einflussreichen Börsenschwergewichten finden sich auch viele sogenannte „Quality“ und „Growth“-Aktien. Momentan haben sich die Bewertungen dieser Aktien aber von den tatsächlichen Unternehmenszahlen entkoppelt und der Preis, den man zahlt ist deutlich über dem Wert, den man dafür bekommt. Hintergrund ist, dass Anleger emotional handeln und für die vermeintliche Sicherheit eines tollen Unternehmens oft bereit sind, einen sehr hohen Preis zu zahlen. Somit kann man gerade jetzt besonders gut Value-Investing betreiben, da der Markt viele attraktive Aktien zu günstigen Preisen bereithält. Die Kunst besteht darin, diese ausfindig zu machen. Unser selbstentwickeltes Bewertungsmodell CHICCO hilft uns dabei.
Finanzwerte in Europa beispielsweise sind auf Basis des klassischen, aber immer noch aussagekräftigen Faktors Preis-Buchwert-Verhältnis momentan so günstig wie nur in 16% der Zeitpunkte seit 1989. Gegenüber dem gesamten Anlageuniversum waren Finanzwerte relativ betrachtet fast noch nie mit einem so hohen Abschlag zu haben wie heute.
e-fundresearch.com: Wie lautet Ihr persönliches Rezept gegen „Value-Traps“?
Goran Vasiljevic: Unternehmen, die wir kaufen sind oft deshalb so attraktiv bewertet, weil Unsicherheiten herrschen und die Erwartungen am Markt niedrig sind. Unumgänglich wird der Markt bei einzelnen Unternehmen auch mal Recht behalten und wir nicht. Da wir unsere Investments aber breit streuen steht für uns die gesamtheitliche Entwicklung des Portfolios im Vordergrund. Wichtig ist, dass nicht jeder einzelne Wert, sondern im Durchschnitt alle gemeinsam besser als der Markt abschneiden.
Die Unternehmen, die wir kaufen, müssen neben der Bewertung und Bilanzqualität, sowohl attraktive und nachhaltige freie Cashflows (Liquidität) als auch Gewinne (Profitabilität) erwirtschaften. Außerdem beachten wir zusätzlich das „Business Sentiment“ der Unternehmen, mit dem wir die Auswirkungen von veränderten Gewinnerwartungen auf die Kapitalrendite analysieren. Diese vielschichtigen Blickwinkel geben uns eine gute Chance, möglichst viele Value-Traps zu vermeiden.
e-fundresearch.com: Auch Ihr Haus steht im direkten Wettbewerb zu passiven ETF-Lösungen: Aus welchen Gründen sollten sich Investoren gerade im Value-Segment mit aktiven Managern auseinandersetzen?
Goran Vasiljevic: Die starke Nachfrage nach passiven Investments und der daraus resultierende Anstieg des Marktanteils führen zu beträchtlichen Verzerrungen am Markt. Aktien werden nicht aufgrund fundamentaler Daten oder ihrer Bewertung gekauft, sondern alleine, weil sie in der Vergangenheit gut abgeschnitten haben und zu einem Index gehören. Wer passiv investiert, ignoriert den eigentlichen Unternehmenswert und hoch bewertete Unternehmen werden in passiven Produkten systematisch übergewichtet. Günstige Unternehmen mit attraktiven Bewertungen hingegen konsequent unterrepräsentiert. Passive Investments bieten also neue Alphaquellen für aktive Anleger.
Je mehr Anleger den Mehrwert von aktivem Management in Frage stellen desto weniger Investoren sorgen für eine effiziente Preisfeststellung. Das wiederum macht aktives Management umso attraktiver. Denn dadurch entstehen für aktive und benchmark-unabhängige Value-Investoren noch mehr neue, unbeachtete Anlagechancen, die nur darauf warten, ausgenutzt zu werden.