Uli Krämer: Wir haben gemerkt, dass Mischportfolios am Markt immer wichtiger werden und deshalb nach Möglichkeiten gesucht, die unterschiedlichen Assetklassen für die Kunden bestmöglich zu kombinieren. Klassische Bewertungen und fundamentale Modelle allein ergaben für uns noch nicht das große Ganze. Uns fehlte noch der marktpsychologische Aspekt, um die emotionalen Verhaltensmuster der Investoren greifbarer zu machen. Da waren wir schnell bei Finanzwissenschaftler Teodoro Cocca, der sich an der Universität Linz mit Behavioral Finance beschäftigte. Seit 2009 besteht nun schon eine Kooperation aus Assetmanagement und Wissenschaft.
Uli Krämer: Es geht darum, die Psychologie der Anleger zu erfassen. Stimmungen, Einstellungen und Wahrnehmungen von Investoren werden als Grundlage verwendet, um daraus Anlagesignale oder Investmententscheidungen ableiten zu können. Eine schwer fassbare Materie – Psychologie ist natürlich nicht quantitativ messbar – in konkrete Indikatoren umzumünzen und auf dem basierend Anlageentscheidungen zu fällen, das sehe ich als den großen Mehrwert dabei. Es geht darum, Über- und Untertreibungen am Markt zu erkennen und typische Anlagefehler, die oftmals aus Angst oder Gier resultieren, zu vermeiden.
Uli Krämer: Wenn kein Akutfall eintritt, trifft sich unser Investmentkomitee mit Professor Cocca einmal im Monat. Behavioral Finance ist dabei ein wichtiger Pfeiler der Analyse, aber natürlich geht es auch um die makroökonomische Sicht und Bewertungsfragen. Es sind also drei Säulen in der Analyse und es geht um die Abwägung, welche momentan höher zu gewichten ist. Die Psychologie wird systematisch, mit hoher Disziplin und sehr strukturiert erstellten Indikatoren gleichberechtigt zu den anderen beiden Säulen integriert. Das zeichnet die Exklusivität und Modernität dieses Ansatzes aus.
Uli Krämer: Es läuft langfristig wirklich gut. Unsere Mischportfolios haben sich vom Marktdurchschnitt nach oben entfernt. In den verschiedenen Peer Groups liegen wir querbeet vielfach im ersten Drittel. Wir merken auch, dass sich relativ wenige Mitbewerber ausdrücklich nach diesem Ansatz mit dem Markt auseinandersetzen, dabei haben Wirtschaft und Kapitalmarkt ganz viel mit Psychologie zu tun. Behavioral Finance bringt einerseits eine tendenziell antizyklische Komponente ins Spiel und schützt uns andererseits vor Überreaktionen. Es hat eher zu einer ruhigen Hand geführt und das war im letzten Jahrzehnt oft die richtige Entscheidung.
Uli Krämer: Anleger neigen dazu, das zu machen, was alle machen. Sie lassen sich viel zu oft erst dann mitreißen, wenn die Stimmung euphorisch ist und Kursanstiege schon weit fortgeschritten sind. Oder sie steigen regelmäßig viel zu spät aus und realisieren Verluste nahe den Tiefstständen. Wir versuchen, durch tendenziell antizyklisches Handeln unter Berücksichtigung klassischer Finanzmarktdaten erfolgreicher zu sein. Auf wissenschaftlich fundierter Basis analysieren wir dabei Stimmungen. Professor Cocca liefert Inputs und entwickelt Strategien, die u.a. Stimmungsbarometer, Volumenanalysen und Volatilitätskennzahlen berücksichtigen.
Uli Krämer: Die Behavioral-Finance-Analyse zeigt derzeit ein weder von Euphorie noch Übervorsichtigkeit geprägtes neutrales Bild. Einzelne Teilindikatoren lassen mittlerweile aber schon eine gewisse Skepsis der Investoren erkennen. Die Aktienbewertungen waren und bleiben teuer. Trotz der über den Erwartungen liegenden Gewinnveröffentlichungen kam es hier zu keiner Entspannung. Und fundamental verbessert sich das Marktumfeld weiter. Trotz temporär höherer Inflationsraten werden die Notenbanken expansiv bleiben. Aus dieser Gesamtsicht ergibt sich für uns eine Asset Allokation, in der Staatsanleihen untergewichtet und Unternehmens- und Schwellenländeranleihen sowie Aktien neutral gewichtet sind. Wandelanleihen komplettieren als Beimischung die aktuelle Vermögensaufteilung.
Uli Krämer: „Low for long“ oder sogar „Low forever“ – das war bis vor gar nicht allzu langer Zeit die vorherrschende Sicht auf die Zinslandschaft. Noch sind die kurzfristigen Zinsen durch die Zentralbanken auf sehr tiefem bzw. im negativen Bereich verankert. Doch stellt der aktuelle Zinsanstieg vornehmlich bei längeren Laufzeiten das erwähnte Mantra stark in Frage. Der aktuelle Anstieg ist getrieben vom positiven wirtschaftlichen Umfeld und dem damit einhergehenden Anstieg der Inflation. Historisch gesehen war ein derartiges Umfeld mit moderater Inflation durchaus positiv für Aktienmärkte. Erst über 5 % Inflation – die wir nicht erwarten – entwickelten sich Aktien unterdurchschnittlich. Das angesprochene Umfeld aus anziehendem Wachstum und moderater Inflation bei etwas höheren langfristigen Zinsen sollte Value-Werte bevorzugen. Diese substanzorientierten Aktien konnten sich bereits seit den Tiefstständen Ende März 2020 noch deutlicher erholen als wachstumsorientierte Growth-Titel. Ich gehe von weiterem Potenzial für Value-Werte aus. Der fulminante Anstieg der globalen Aktienmärkte seit März 2020 wird meines Erachtens einem moderaten Anstieg weichen, unterbrochen durch größere Korrekturen als bisher.