Herr Leprince, wie sind die Aussichten für die Anleihemärkte bis Ende des Jahres?
Nicolas Leprince: Die Anleihemärkte sind mit einer zyklischen Wachstumsverlangsamung konfrontiert, während die Inflation steigt. Einerseits werden die globalen Wachstumszahlen durch die wegen der strafferen Geld- und Fiskalpolitik seit Ende 2020 geringere Wachstumsdynamik in China belastet, die sich infolge der plötzlichen Lockdowns in diesem Sommer weiter abgeschwächt hat. Andererseits drückt die anziehende Inflation in den meisten Industrie- und Schwellenländern die Realeinkommen der Konsumenten. Diese Effekte dürften bis zum Ende des Jahres weiter zu spüren sein. Die nominalen und realen Wachstumsraten sind in absoluten Zahlen somit solide, beschleunigen sich aber nicht mehr. Darüber hinaus warten die Anleiheinvestoren auf Signale der Zentralbanken hinsichtlich ihrer geldpolitischen Pläne für 2022 und der Beendigung ihrer außerordentlichen Stützungsmaßnahmen, was die Sache verkompliziert.
Wie beurteilen Sie die jüngsten Ankündigungen der FED und der EZB?
Die Fed und die EZB werden bei der Straffung der Geldpolitik sehr vorsichtig vorgehen. Beide sehen den Inflationsanstieg als überwiegend vorübergehend an und rechnen nicht mit einem nachhaltigen Preisschub. So geht die Fed für 2022 von einer Inflation von 2,2% und die EZB von 1,7% aus. Vor allem die EZB machte deutlich, dass der aktuelle Inflationsanstieg aus ihrer Sicht auf Faktoren im Zusammenhang mit der Wiedereröffnung der Volkswirtschaften (Lieferengpässe oder Verteuerung bestimmter Dienstleistungen) zurückzuführen sei, weshalb die langfristigen Auswirkungen auf die Inflation unsicher sind. Wir erwarten, dass Anleiheinvestoren diese Position in den nächsten Monaten infrage stellen werden. Darüber hinaus ist die Geldpolitik beider Zentralbanken datenabhängig. Sie dürften ihre Leitzinsen erst anheben, wenn die Beschäftigungs- und Inflationszahlen die Zielmarken erreichen oder übertreffen. Im Falle der EZB wird dies aller Voraussicht nach noch Jahre und im Falle der Fed bis mindestens Ende 2022 dauern.
Welche unbekannten Faktoren bereiten am meisten Sorge?
Wie werden die Anleger auf einen Rückgang der globalen Liquidität reagieren? Eine Möglichkeit ist, die Situation im Jahr 2022 auf absoluter Basis zu betrachten. Eine Drosselung der Wertpapierkäufe in den USA und ein Zurückfahren der Stimulierungsmaßnahmen in der Eurozone werden nicht zu einer Verringerung der globalen Liquidität führen. Im Gegenteil: Sie wird weiter zunehmen, und dies steht im Einklang mit dem Fokus der Zentralbanken auf „Bestandsgrößeneffekte“ und die „Reinvestitionspolitik“ im Gegensatz zu den „Stromgrößeneffekten“ des Kaufs zusätzlicher Papiere. Allerdings konzentrieren sich die Anleger seit der großen Finanzkrise tendenziell eher auf die „Stromgrößeneffekte“ und deren Trend. Dieser Trend (die zweite Ableitung) wird im nächsten Jahr negativ sein. Doch die Anlegerstimmung wird möglicherweise weiterhin durch den „Zentralbank-Put“ gestützt, durch die berechtigte Annahme der Anleger also, dass die Zentralbanken im Falle einer ungünstigen Entwicklung eingreifen werden.
Welche Rolle spielt China derzeit auf den Anleihemärkten?
Die Bedeutung Chinas hat seit seiner Aufnahme in globale Anleiheindizes zugenommen. Der Anteil chinesischer Anleihen in den Global-Aggregate-Indizes liegt heute bei 7% und in den globalen Staatsanleiheindizes bei 6%. Erstens sind die Renditen dieser Anleihen nach wie vor attraktiv im Vergleich zu den Anleihen aus Industrieländern. Schließlich bieten die Titel noch immer positive Realrenditen, während die Realrenditen in den USA und in der Eurozone aktuell bei -1% bis -2% liegen.
Zweitens ist die Geldpolitik in China nicht stark an die Entwicklung im Rest der Welt gekoppelt, sodass der Vorteil einer geringen Korrelation zu einem globalen Anleiheportfolio besteht. Diese Faktoren führen zu deutlichen Zuflüssen ausländischer Investoren, die nach Anlagen mit positiven Renditen suchen und ein stabiles makroökonomisches Umfeld schätzen.
Bieten Inflationsgebundene Anleihen Aufwärtspotenzial?
Ein wichtiges Ziel, vor allem der EZB, ist die Aufrechterhaltung günstiger Finanzierungsbedingungen.
Deshalb sind die Realzinsen immer weiter gesunken, auf aktuell -2% bei zehnjährigen Laufzeiten in der Eurozone und -1% in den USA. Die Realrenditen dürften in nächster Zeit aus unserer Sicht niedrig bleiben. Dennoch rechnen wir nicht mit einer deutlich positiven Performance dieser Positionen. Wenn man die Realrenditen in die Komponenten Nominalrenditen und Breakeven-Inflationsraten aufschlüsselt, schätzen wir letztere in der Eurozone weiterhin positiv ein und bleiben engagiert. Die EZB hat ihre Inflationsprognosen für 2022 und 2023 kürzlich angehoben, doch wir glauben, dass die Inflation in den kommenden Quartalen noch stärker steigen könnte. Störungen in der Lieferkette führen zu höheren Inputpreisen, was die Unternehmen zwingt, ihre Preise zu erhöhen. Dies ist dank der hohen Verbrauchernachfrage möglich. Aus Bewertungsperspektive sind die Breakeven-Inflationsraten in den USA wieder auf die Niveaus von 2010 bis 2012 gestiegen. In der Eurozone liegen sie dagegen nur bei 0,20% und damit unter dem Durchschnitt in diesem Zeitraum.
Sollte man Staatsanleihen oder Unternehmensanleihen vorziehen?
Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Maßnahmen der Zentralbanken entscheidend sind. In der Eurozone haben Anleger, die in Investment-Grade-Anleihen (IG)1 investieren, die Wahl zwischen Staats- und Unternehmensanleihen. Da die EZB Käufe von Unternehmensanleihen vornimmt, um die Transmission der Geldpolitik sicherzustellen, sind die Spreads von IG-Unternehmensanleihen sehr robust. IG-Unternehmensanleihen bieten noch immer einen Renditeaufschlag von 85 Basispunkten gegenüber Staatsanleihen mit ähnlicher Laufzeit. Die Renditen sind immer noch positiv, aber niedrig. Risiken für die Bevorzugung von IG-Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen könnten ein rezessives Umfeld oder ein abrupter Kurswechsel der Zentralbanken sein, was in den nächsten 18 Monaten nicht unser Basisszenario ist.
Was sind die attraktivsten Regionen und Segmente für Anleiheinvestoren?
Abgesehen von Positionen in inflationsgebundenen Anleihen in Euro bieten europäische Unternehmensanleihen aus unserer Sicht eine attraktive Wachstumsdynamik, gute Fundamentaldaten und ausgewogene Aussichten mit Blick auf die Emissionsvolumen und Zuflüsse in den Markt sowie eine glaubwürdige Unterstützung durch die EZB. Vor allem nachrangige Finanzanleihen2 bieten nach wie vor eine attraktive Rendite von 2,70%3, die um 1,0% höher als die von High-Yield-Anleihen4 mit ähnlichem Rating ist. In einem Umfeld, in dem es vor allem auf den Renditeaufschlag ankommt, lohnt es sich aus unserer Sicht, ein höheres Ausfallrisiko einzugehen, indem man selektiv auf kurzfristige High-Yield-Anleihen mit B-Rating setzt; dies ist eines unserer bevorzugten Segmente.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Leprince!
1. Bei Investment-Grade-Anleihen handelt es sich um Anleihen, die von Unternehmen ausgegeben werden, deren Ausfallrisiko von sehr gering (fast sichere Rückzahlung) bis moderat reicht. Sie entsprechen einer Ratingskala, die von AAA bis BBB- (Standard & Poor’s Rating) reicht.
2. Eine Anleihe gilt als nachrangig, wenn ihre Rückzahlung von der früheren Zahlung anderer Gläubiger abhängt. Um das höhere Risiko auszugleichen, haben nachrangige vorrangige Schuldtitel Vorrang vor anderen Schuldtiteln.
3. Stand: 30/09/2021. Quelle: Edmond de Rothschild Asset Management. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Sie kann im Laufe der Zeit schwanken.
4. High-Yield-Anleihen sind Unternehmensanleihen mit einem höheren Ausfallrisiko als Investment-Grade-Anleihen, aber mit einem höheren Kupon.
Rechtliche Hinweise: Oktober 2021. Edmond de Rothschild Fund Bond Allocation ist ein Teilfonds der SICAV nach luxemburgischem Recht, von der CSSF autorisiert und zum Vertrieb in Deutschland und Österreich zugelassen. Der Teilfonds wurde in die Risikokategorie 3 eingestuft. Es obliegt dem Anleger, die mit einer Anlage verbundenen Risiken zu analysieren und sich ein eigenes Urteil zu bilden: Kapitalverlustrisiko, Bonitätsrisiko, Bonitätsrisiko im Zusammenhang mit Investitionen in spekulative Titel, Zinsrisiko, mit Anlagen in Schwellenländer verbundene Risiken, Risiken von Anlagen in Finanzkontrakten und Kontrahentenrisiko.
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