Virginie Wallut: Das sind unterschiedliche Themenbereiche. Immobilien dürften dank einer immer noch attraktiven Risikoprämie weiterhin erhebliche Mittelzuflüsse verzeichnen. Allerdings wird der Markt voraussichlich in zwei Geschwindigkeiten verlaufen: Einerseits wird sich die Nachfrage tendenziell auf zentral gelegene Objekte der nächsten Generation konzentrieren, während andererseits der Leerstand in der Peripherie voranschreiten dürfte. Davon sind insbesondere Sekundärimmobilien betroffen, die nicht mehr den Anforderungen an Zentralität, Technik oder Nachhaltigkeit entsprechen.
Außerdem dürfte der K-förmige Aufschwung zu einer zunehmenden Diversifizierung führen. Büroimmobilien werden voraussichtlich weiterhin in Europa dominieren, aber in einem diversifizierten Portfolio dürfte ihre Gewichtung zugunsten von Logistik und defensiven Immobiliensegmenten wie Wohnen, betreutes Wohnen (Studenten und Senioren) und Gesundheitsimmobilien abnehmen.
Ein weiteres Thema ist der Nachhaltigkeitsaspekt. Sowohl Mieter als auch Investoren werden ihre Konzepte anpassen, um sich auf eine emissionsarme Welt vorzubereiten. Da ESG-Kriterien zunehmend in die Entscheidungsprozesse integriert werden, erwarten wir einen erheblichen „braunen Abschlag“ auf kohlenstoffintensive Immobilien.
Flexibilität und Serviceorientiertheit ist ein weiterer Faktor bei Immobilien, der an Bedeutung gewinnt. Dieses Phänomen wird sich nicht auf Büros beschränken, sondern alle Anlageklassen betreffen: Logistik, Wohnen, Einzelhandel, Gesundheitswesen usw.
Wallut: Das Jahr 2022 dürfte von einer Normalisierung der Wirtschaft geprägt sein. Die Wachstumsaussichten bleiben auch 2022 gut, wenn auch gedämpfter als 2021. Sie wird sich allmählich an das vor der globalen Finanzkrise 2008 verzeichnete Aktivitätsniveau annähern. Nach einem Schub im Jahr 2022 dürfte auch die Inflation wieder auf das Niveau jener Jahre zurückkehren, d. h. ein Preisanstieg, der 1 % über dem nach der globalen Finanzkrise verzeichneten liegt.
Es mag sinnvoll sein zu bedenken, dass eine Inflation im Allgemeinen positiv für Immobilien ist, da die Mieten an die Inflation gekoppelt sind. Es besteht jedoch das Risiko eines Wertverlusts, wenn die Zinsen als Reaktion auf die Inflationserwartungen steigen. Historisch gesehen hat in Zeiten hoher Inflation, wie in den 1970er Jahren, die Indexierung der Mieten die Auswirkungen höherer Zinssätze überwogen. In dieser Zeit stieg die Bewertung von Büroimmobilien und übertraf die von Anleihen.
Wallut: In ganz Europa besteht ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot an Mietwohnungen. Wohnimmobilien gelten als defensive Anlagen, und das geringe bis nicht vorhandene Leerstandsrisiko macht sie für Investoren attraktiv. Der Wettbewerb übt jedoch Druck auf die Renditen aus, die unter den Renditen für Büroimmobilien liegen. Als Alternative bieten sich verwaltete Wohnimmobilien an, die den defensiven Charakter von Wohnimmobilien mit der Rendite von Gewerbeimmobilien kombinieren.