Kevin Naumann: Welche Auswirkung die Herabstufung von Fonds auf den Vertrieb hat, ist bisher nicht zweifelsfrei zu bestimmen. Allerdings haben die Maßnahmen einiger Asset Manager Fragen aufgeworfen, insbesondere nach dem Warum. In vielen Fällen ist dieser Schritt nämlich nicht etwa auf einen Misserfolg oder ein anderes Ereignis zurückzuführen, sondern in erster Linie auf die sich weiterentwickelnde Regulatorik.
Naumann: Nein, die Anforderungen wurden konkretisiert. Als viele Asset Manager die ersten Fonds als Artikel 9 klassifiziert haben, waren die regulatorischen Mindestanforderungen an diese Fonds nicht eindeutig. Mittlerweile hat der Gesetzgeber die Definition der nachhaltigen Investitionen konkretisiert, die Erwartungen an Fonds mit nachhaltigen Begriffen im Namen formuliert und zusätzliche Anforderungen auf lokalen Ebenen ausgearbeitet. Dadurch konnten nicht alle Fonds die verschärften Anforderungen erfüllen und mussten herabgestuft werden.
Maren Schmitz: Zunächst einmal müssen sie sicherstellen, dass die Versprechen aus den vorvertraglichen Informationen eingehalten werden. Darüber hinaus sollten sie im Rahmen der Jahresberichte offenlegen, wie erfolgreich die nachhaltige Strategie war. Dazu gehört übrigens auch ein Vergleich zu den vorangegangenen Geschäftsjahren.
Naumann: Es gilt eine einfache Faustformel: Wenn ein Produkt die regulatorischen Anforderungen erfüllt, die verbindlichen Anlagerichtlinien einhält, in den regelmäßigen Berichten Transparenz schafft und sich die Performance stetig verbessert, werden die Anleger keinen Grund haben, dem Vermögensverwalter nicht zu vertrauen.
Naumann: Hier stehen die Regulatoren in der Pflicht, der Branche einen klaren Rahmen vorzugeben. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) hat beispielsweise im November 2022 einen Leitlinienentwurf zur Verwendung ESG-bezogener Begriffe in Fondsnamen zur Konsultation gestellt. Dadurch soll bei der Nutzung von Nachhaltigkeitsmerkmalen mehr Transparenz geschaffen und Greenwashing eingedämmt werden. Ziel ist es, dass durch den Namen eines Fonds unmissverständlich seine Anlagepolitik deutlich wird.
Schmitz: Natürlich sollten auch die Unternehmen tätig werden. Um Missverständnissen vorzubeugen und die Gefahr von Greenwashing zu minimieren, empfehlen wir unseren Kunden eine konservative Herangehensweise. Das gilt insbesondere für die Einstufung von nachhaltigen Produkten in Artikel-8- und Artikel-9-Fonds, aber genauso auch für die Versprechen, die sie ihren Kunden in den vorvertraglichen Informationen gegeben.
Naumann: Aber neben der Produktebene ist auch die Unternehmensebene von entscheidender Bedeutung. Eine gesamtheitliche und unternehmensweite Herangehensweise inklusive definierten Ambitionsniveau ist ein grundlegender Baustein, um nachhaltige Produkte erfolgreich zu entwickeln und zu vertreiben.
Schmitz: Grundsätzlich gilt: ESG-Themen betreffen die gesamte Wertschöpfungskette und somit fast alle Funktionen eines Unternehmens. Dadurch erhöht sich natürlich die Komplexität stark. Bei der Umsetzung sollte daher in den unterschiedlichsten Bereichen der Organisation geprüft werden, ob die benötigten Verantwortlichkeiten überhaupt vorhanden sind und die erforderlichen Prozesse implementiert wurden – vom Vorstand über die Geschäftsführung bis zu den operativen Geschäftsbereichen. Außerdem muss auf Unternehmensebene ein Ambitionsniveau definiert werden, das transparent auf allen Ebenen kommuniziert wird und als Orientierung für Entwicklungen von Produkten, Reportings und Prozessen dient.
Naumann: Auch hier spielen Glaubwürdigkeit und Transparenz eine große Rolle – und zwar entlang der gesamten Prozesskette. Legt ein Unternehmen beispielsweise ein hohes Ambitionsniveau fest und kommuniziert nach außen, eine Vorreiterrolle im Bereich Nachhaltigkeit einnehmen zu wollen, sollten einige Dinge im Vorhinein geprüft werden. Dazu gehört etwa, inwiefern die aktuellen Produkte, der Datenhaushalt, das Reporting sowie die Einstellung der Geschäftsleitung und Mitarbeitenden mit dem gewünschten Niveau übereinstimmen oder welche Maßnahmen in den Bereichen unternommen werden müssen, um dieses Niveau zu erreichen.
Schmitz: Eine große Herausforderung, die wir momentan am Markt beobachten, betrifft die Unternehmensstruktur. Unternehmen müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, wie ESG-Themen bestmöglich in die bestehende Struktur integriert werden können. Die Antwort kann sein, aktuelle Prozesse ESG-tauglich umzubauen. Es kann aber auch darauf hinauslaufen, die Systeme komplett neu auf ihre ESG-Fähigkeit auszurichten. Damit einhergehend müssen auch Verantwortlichkeiten neu definiert werden. Mit diesen teils radikalen und auch disruptiv anmutenden Schritten tun sich die Unternehmen aktuell noch sehr schwer.
Naumann: Entscheidend ist, dass die Ausgestaltung der Governance dem selbst definierten Ambitionsniveau und der gewünschten Außenwahrnehmung entspricht. Auf Unternehmensebene gibt es Themenbereiche, die bereits sehr klare Hinweise liefern, ob eine ESG-Governance leistungsstark ist – oder sie es überhaupt sein kann.
Schmitz: Eine leistungsstarke ESG-Governance ruht auf mehreren Säulen. Eine davon ist die ESG-Strategie. Sie sollte klar formuliert, dokumentiert und kommuniziert werden. Außerdem sollten messbare Ziele definiert werden. Eine zweite Säule bildet die Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen. Die entsprechende Berichterstattung sollte zum definierten Ambitionsniveau passen – die sowohl die vom Gesetzgeber als auch von den Stakeholdern gestellten Anforderungen erfüllen. Die dritte Säule ist die ESG-Kompetenz. Damit sind die Beschäftigten gemeint, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette über das erforderliche Fachwissen in Nachhaltigkeitsfragen verfügen sollten. Und Säule vier bezieht Datenanbieter ein – und den Umgang mit den von ihnen zur Verfügung gestellten Informationen. So sollte überprüft werden, ob gewisse Abhängigkeiten zu diesen Datenanbietern bestehen. Wenn ja, wie können diese verringert werden? Ebenso sollte überprüft werden, inwiefern Mängel bei den ESG-Datenanbietern kompensiert werden können.
Schmitz: Hier kommt es auf die Produkt- und Investitionsansätze, auf Derivate, die Messbarkeit von Zielen sowie auf Transparenz an. So sollte beispielsweise die Nachhaltigkeit eines Produkts wie etwa eines grünen Kredits oder einer grünen Versicherungspolice sowie deren Investitionsansatz nachgewiesen werden. Auch sollte identifiziert werden, wie nachhaltige Ziele komplexer Derivate geprüft werden und ihr Basiswert bewertet wird. Zudem sollte das Unternehmen untersuchen, wie der Einsatz von Derivaten als Teil der Anlagestrategie begründet wird. Die Unmessbarkeit von Zielen ist ein Problem. Hier sollten Unternehmen entscheiden, wie sie mit nicht quantifizierbaren Zielen und Indikatoren sowie mangelnder Verfügbarkeit erforderlicher ESG-Daten umgehen wollen. Und was Offenlegung angeht, sollten sie sicherstellen, dass ihre Produkt- und Investitionsansätze korrekt und den rechtlichen Anforderungen entsprechend beschrieben werden.
Naumann: Das hat verschiedene Gründe. Wir beobachten oftmals, dass die ESG-Governance nicht dem angestrebten Ambitionsniveau entspricht. Ursachen hierfür sind unter anderem, dass Verantwortlichkeiten für die Erhebung, Validierung und Berichterstattung von ESG-Daten fehlen. Oder, dass das Risikomanagement nur auf regulatorische Anforderungen ausgerichtet ist.
Schmitz: Zudem kann auch ein Produktmanagement, das im Investitionsansatz nicht dem Ambitionsniveau entspricht, die Governance schwächen. Weiterhin zählen Kundenkommunikation und das Berichtswesen zu den Themen, die eine höhere Aufmerksamkeit verdienen. Die gute Nachricht: Es gibt noch sehr viel Potenzial, die ESG-Governance stärker aufzustellen.
Über die Experten:
Maren Schmitz ist Head of Asset Management und Head of FS Strategy and Management Consulting bei KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Ihr Fokus liegt auf den Zukunftsfragen des Asset Management mit den Schwerpunkten in Sustainable Finance, Digital Assets, der Digitalisierung der Wertschöpfungskette und des kundenzentrierten Vertriebs.
Kevin Naumann ist Partner im Bereich Financial Services bei KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und leitet das Consulting Geschäft im Asset Management. Er begleitet Kunden im Kontext ESG von kleinen Workshop-Reihen bis hin zu umfangreichen Vorstudien und Umsetzungen bei der konsequenten Ausgestaltung der eigenen Strategie, Produktgestaltung und Prozesssicherheit, um diese Fragen effizient, pragmatisch und zukunftsfähig zu beantworten.