e-fundresearch.com: Wie bewerten Sie die derzeitige Situation des Healthcare-Sektors, insbesondere vor dem Hintergrund der schwachen Kursentwicklung in den vergangenen Quartalen sowie der aktuell historisch niedrigen Indexgewichtung?
Marcel Fritsch: Der Gesundheitssektor ist seit Jahresbeginn hinter dem Gesamtmarkt zurückgeblieben. Hauptgründe sind die politische Unsicherheit in den USA und die robuste Konjunktur, die zyklischen Branchen zugutekommt. Die Abgaben spiegeln Bewertungsanpassungen wider, nicht aber eine Verschlechterung der Fundamentaldaten. Strukturell bleibt die Ertragskraft vieler Unternehmen intakt. Die Indexgewichtung liegt auf einem historischen Tiefpunkt und deutet auf mittelfristiges Aufholpotenzial hin. Mit stabileren politischen Rahmenbedingungen dürfte sich die Bewertungslücke zum Gesamtmarkt schließen.
Dazu passend:
e-fundresearch.com: Welche langfristigen Entwicklungen und strukturellen Faktoren werden Ihrer Einschätzung nach die Dynamik und Ausrichtung des Sektors in den kommenden Jahren am stärksten beeinflussen?
Marcel Fritsch: Langfristig wird der Gesundheitssektor von klaren strukturellen Faktoren getragen. Die alternde Bevölkerung führt zu einer stetig wachsenden Nachfrage nach Therapien gegen chronische Erkrankungen. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung neuer Technologien zu, insbesondere der Künstlichen Intelligenz. Sie verkürzt Entwicklungszeiten, senkt Kosten und erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit klinischer Studien mit potenziell tiefgreifenden Folgen für Forschung und Entwicklung.
Neben Pharmaunternehmen prägen auch spezialisierte Medizintechnikanbieter den Sektor. Mit innovativen Lösungen steigern sie Effizienz und Behandlungsqualität. Während traditionelle Hersteller stärker unter regulatorischem Preisdruck stehen, verlagert sich die Innovationsdynamik zunehmend in Richtung Biotech und Medtech. Hinzu kommt eine anhaltend hohe Zahl an Fusionen und Übernahmen, mit denen große Konzerne technologische Lücken schließen und sich Zugang zu neuen Märkten sichern.
Der Gesundheitssektor bleibt damit ein struktureller Wachstumsmarkt, getragen von Demografie, Technologie und Innovation.
e-fundresearch.com: Welche Rolle messen Sie gesundheitspolitischen Entscheidungen und regulatorischen Rahmenbedingungen, insbesondere in den USA, für die Geschäftsentwicklung und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Healthcare-Bereich bei?
Marcel Fritsch: Die USA sind der weltweit wichtigste Gesundheitsmarkt. Politische Entscheide und regulatorische Vorgaben entfalten dort unmittelbare Wirkung auf Geschäftsentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit der Branche. So schlug Präsident Trump eine Preisregulierung nach dem Most-Favored-Nation-Prinzip vor. Da ein solcher Schritt die Zustimmung des Kongresses erfordert, der dafür keine Mehrheiten erkennen lässt, erscheint eine Umsetzung aber wenig wahrscheinlich.
Für Verunsicherung sorgten auch neue Zollmaßnahmen. Während Pharma- und Biotechfirmen bisher weitgehend verschont bleiben, sind Medizintechnikhersteller betroffen und optimieren ihre Produktionsstandorte. Mittelfristig dürfte auch die Biopharmaindustrie diesem Beispiel folgen.
Von großer Bedeutung ist zudem das National Institutes of Health (NIH), die zentrale Forschungsbehörde mit einem Budget von rund 48 Milliarden Dollar jährlich. Trump schlägt für 2026 Kürzungen um 40% vor. Wahrscheinlicher ist eine moderate Reduktion um etwa 10%, da das Repräsentantenhaus für ein stabiles Budget und der Senat gar für eine leichte Erhöhung ist. Für die Branche wäre dies sehr gut verkraftbar.
Kurzfristig belasten politische Diskussionen und regulatorische Unsicherheiten das Sentiment der Anleger und damit die Bewertungen. An den langfristigen Wachstumstreibern Demografie, Innovation und Technologie ändert sich indes nichts.
e-fundresearch.com: In welchen Bereichen oder Teilsektoren innerhalb des Healthcare-Universums sehen Sie derzeit die größten Chancen für Investoren, und welche Kriterien sind für Sie bei der Auswahl besonders entscheidend?
Marcel Fritsch: Anlegerchancen ergeben sich dort, wo Rückschläge zu günstigeren Bewertungen geführt haben, während die Wachstumsperspektiven intakt bleiben. So ist Novo Nordisk nach Enttäuschungen bei Adipositas-Medikamenten und Prognosesenkungen wieder attraktiver bewertet. Intuitive Surgical profitiert vom erfolgreichen Marktstart des neuen Operationsroboters da Vinci 5. Erholungspotenzial sehen wir auch bei US-Krankenversicherern wie UnitedHealth sowie bei Life-Sciences-Unternehmen wie Thermo Fisher und Danaher. Maßgebend für die Aktienselektion bleiben Innovationskraft, Preissetzungsmacht, ein widerstandsfähiges Geschäftsmodell und die Fähigkeit, strukturelle Trends wie Digitalisierung und demografischen Wandel profitabel zu nutzen.
e-fundresearch.com: Welche technologischen oder medizinischen Neuerungen könnten Ihrer Einschätzung nach in den kommenden Jahren den größten Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Wachstumschancen des Healthcare-Sektors haben?
Marcel Fritsch: Ein wesentlicher Hebel liegt im Einsatz Künstlicher Intelligenz. Sie kann die Entwicklung neuer Medikamente deutlich beschleunigen und die Erfolgswahrscheinlichkeit klinischer Studien erhöhen. Schätzungen zufolge lässt sich die Entwicklungszeit um 40 bis 70% verkürzen, wodurch Kosten von bis zu 70 Mrd. Dollar eingespart werden könnten. Effizienzgewinne ergeben sich auch bei Toxizitätsanalysen und der Auswahl geeigneter Patienten für Studien. Darüber hinaus eröffnen sich neue Wachstumsfelder in Diagnostik, personalisierter Medizin und Operationsrobotik.
e-fundresearch.com: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Fritsch!
Über Marcel Fritsch:
Marcel Fritsch ist seit 2008 bei Bellevue Asset Management tätig. Er ist Leiter Healthcare Fonds & Mandate und Co-Lead Portfoliomanager diverser Bellevue Healthcare Fonds, darunter Medtech & Services, Digital Health und Asia Pacific Healthcare. Davor arbeitete er über 3 Jahre als Berater bei Deloitte Touche Tohmatsu mit Fokus auf die Analyse von Geschäftsstrategien, die Beurteilung von Organisationsstrukturen sowie die Bewertung von Unternehmen im Vorfeld von Unternehmenstransaktionen. Marcel Fritsch verfügt über einen Abschluss in Betriebswirtschaftslehre der Universität St. Gallen (HSG).
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