„Special Situations“ – worum geht es einem Fonds, der sich danach nennt? Um hohe Erträge aus der Spekulation über Übernahmeziele und über Aktien in der Erholungsphase?
Ich glaube, der Begriff „Special Situations“ (besondere Situationen) kann durchaus in die Irre führen: Anleger verbinden mit einem Special-Situations-Fonds häufig mehr Risiko und Volatilität. Wie Sie schon sagten, kann man darunter verstehen, dass das Portfolio vorwiegend aus Unternehmen in Nöten besteht oder auf Restrukturierungs- und Übernahmekandidaten abzielt. Viele Special-Situations-Fonds sind tatsächlich äußerst kurzfristig ausgerichtet: Sie spekulieren massiv auf Quartalsergebnisse, zielen auf Arbitrage oder beteiligen sich an Aktionärsaktivitäten. Aber von diesen Ansätzen halte ich nicht viel.
Welchem Ansatz folgt der Schroder ISF Special Situations?
Der Fonds ist sicherlich nicht aggressiv und kurzfristig ausgelegt. Wir wollen vielmehr nachhaltig höhere Erträge erzielen, aber bei geringerer Volatilität – sogar mit geringerem Risiko als viele am Markt angebotene Core-Fonds. Flexibilität ist das wesentliche Merkmal des Fonds: ohne Einschränkung unabhängig von einem Index zu investieren. Das gibt mir z.B. die Möglichkeit, grundsätzlich in jede Aktie zu investieren, deren Aussichten noch nicht im Aktienkurs enthalten sind. Der Vorteil: Ich muss eine Aktie nicht allein deswegen halten, weil sie im Index eine bestimmte Gewichtung aufweist.Können Sie uns ein Beispiel geben?
Einige Fondsmanager halten Positionen der größten Aktien in Europa, z. B. Nokia, HSBC oder Novartis, selbst wenn sie die Aussichten dieser Unternehmen negativ beurteilen würden – 0,5% eines Portfolios könnten z. B. in Nokia-Aktien angelegt sein im Vergleich zu der Nokia- Gewichtung von etwa 1,2% im MSCI Europe Index. Dies ist eine Untergewichtung, aber dennoch eine aktive Position. Aber warum sollte Nokia überhaupt im Portfolio sein, wenn man nicht davon überzeugt ist, mit dieser Aktie Geld verdienen zu können? Im Schroder ISF Special Situations verzichten wir ganz auf Index-Schwergewichte, die aus unserer Sicht nur schwache Wachstumsaussichten aufweisen und/oder überbewertet sind. Für mich ist dieser Ansatz weniger riskant.Hohe Erträge bei niedriger Volatilität – das ist sicher nicht einfach? Wie erreichen Sie das?
Indem ich versuche, die besten Unternehmen am Markt herauszupicken. Ich filtere Aktien heraus, indem ich die Fundamentalanalyse und Unternehmensbesuche kombiniere. So möchte ich Aktien finden, die ausgezeichnete Wachstumsaussichten haben und dabei zu soliden Bewertungen gehandelt werden. Ich achte auf das Geschäftsmodell eines Unternehmens, die Quellen seiner Zahlungsströme, die Nachhaltigkeit seines Wachstums und seiner Margenexpansion, sein Management-Team und seine Bewertung.
Und wie halten Sie die Volatilität niedrig?
Das will ich durch gründliche Streuung erreichen. Ich diversifiziere das Portfolio nach Wachstumstreibern, Investment-Themen, Marktkapitalisierung und Stil – wir investieren in Value- und Growth-Aktien. Ich will in vielen Unternehmen investiert sein und stelle dabei sicher, dass das Portfolio keinem Thema oder Stil übermäßig ausgesetzt ist. Der Markt belohnt unterschiedliche Stilarten zu unterschiedlichen Zeiten, häufig weil sich die Risikobereitschaft verändert: Wir möchten so diversifizieren, dass das Portfolio unabhängig von der Marktentwicklung positive Ergebnisse erzielt.
Dabei profitieren Sie gewiss von der Größe des europäischen Marktes?
Ja, Europa eignet sich gut für diesen Ansatz: Es ist für einen Stockpicker ideal aufgrund der Vielfalt von Unternehmen und Ländern. Da gibt es zum Beispiel dänische Enzym-Produzenten, italienische Luxusmanufakturen, französische Stahlrohr-Hersteller, griechische Lotteriebetreiber, spanische TV-Gesellschaften ... Ich könnte noch viele Beispiele nennen.
Sie streuen also nach Ländern und Branchen?
Nein, denn es ist wichtig, über die gleiche Gewichtung verschiedener Sektoren und Branchen hinauszugehen. Die Volatilität rein mithilfe traditioneller Risiko-Reports zu steuern ist nach meiner Ansicht nicht der beste Ansatz. Aktien werden bisweilen willkürlich Sektoren zugeordnet, ohne die verschiedenen Treiber ihres Geschäfts zu berücksichtigen. Ein klassischer Risiko-Report informiert zum Beispiel darüber, wie stark Informationstechnologie-Aktien in einem Portfolio im Vergleich zu einem Index gewichtet sind. Das erscheint mir für den europäischen Markt aber nicht besonders sinnvoll. Die Faktoren, die für die einzelnen Unternehmen eines Sektors wichtig sind, können nämlich stark variieren und sind häufig ohne jeden Zusammenhang. Ich halte zum Beispiel Neopost im Portfolio; das französische Unternehmen stellt Frankiersysteme, Adressiersysteme und andere Produkte für das Post- und Versandwesen her. Neopost betreibt damit ein völlig anderes Geschäft als Ericsson, der schwedischer Telekommunikations-Ausrüster, und dennoch sind beide im gleichen Sektor eingeordnet. Entsprechend empfiehlt mir also ein Risiko-Bericht, sie unter dem gleichen Blickwinkel zu betrachten.
Sie haben bereits angesprochen, dass es wichtig ist, das Geschäftsmodell, die Zahlungsströme usw. eines Unternehmens zu untersuchen. Sicher ist die volkswirtschaftliche Analyse im gesamten Europa für die Aktienauswahl ebenso bedeutend?
Aus meiner Sicht nicht. Faktoren wie Zinsen, Arbeitslosenzahlen und Inflationsraten sind bis zu einem gewissen Grad wichtig. Aber meine Anlageentscheidungen treffe ich nicht aufgrund meiner Ansichten zu makroökonomischen Entwicklungen oder Daten. Ich finde es schwierig, zu einem bestimmten Zeitpunkt die entscheidenden volkswirtschaftlichen Faktoren zu finden und auf einen Nenner zu bringen. Es ist sogar noch schwieriger, das richtige Timing dafür zu finden.
Wie gehen Sie mit Marktprognosen um?
Ich lasse mich nicht auf Prognosen ein, wohin die Märkte laufen, und nehme mir nicht viel Zeit, über die aktuellen Konjunkturindikatoren und Prognosen nachzudenken. Das chinesische Wirtschaftswachstum richtig vorherzusehen, den Ölpreis korrekt zu prognostizieren oder weltweite Zinsentwicklung richtig vorwegzunehmen – all das verrät wohl ein gutes Gespür, lässt sich aber nicht verlässlich wiederholen. Viele Fragen zu künftigen Marktbewegungen sind nur äußerst schwierig zu beantworten, und auch das stets nur mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor. Noch schwieriger, ja fast unmöglich wird es, die Ergebnisse und Auswirkungen all dieser Entwicklungen gleichzeitig zu prognostizieren. Zum Beispiel in diesem Jahr: Wer wäre denn in der Lage gewesen, zu prognostizieren, dass Inflationsängste die Märkte in aller Welt heimsuchen werden, wie es im Mai der Fall war? Und warum geschah dies im Mai und nicht im April oder im Juni? Und wer prognostizierte korrekt, dass die Fed im August ihre Leitzinserhöhungen stoppen würde?
Welche Faktoren berücksichtigen Sie bei Ihren Anlagen?
Marktprognosen lassen sich nicht verlässlich wiederholen, wiederholbar ist es allerdings, Unternehmen fundamental zu analysieren, mit dem Management zu sprechen und nach Wachstumsaussichten zu suchen, die sich im Aktienkurs noch nicht widerspiegeln – und so Erfolg versprechende Aktien zu finden. Das ist meine Aufgabe. Meine Portfolios bestehen aus etwa 60–70 Aktien, die nach meiner Meinung im Lauf der Zeit nachhaltig gute Erträge erzielen können. Ich filtere den Markt, indem ich mich mit den Geschäftsleitungen von Unternehmen überall in Europa treffe, entscheide, welche Unternehmen gute Aussichten bieten und sie bewerte. Meine Anlagestrategie besteht allein darin, nachhaltige konsistente Erträge zu erzielen – und die Einzeltitelauswahl ist die beste Möglichkeit, dies zu erreichen.
Weitere Informationen zum Interview entnehmen Sie bitte dem PDF - als Download im Info-Center.