Kommentar: Bob Haber zur US-Finanzsystemkrise

Die US-amerikanischen Finanzmärkte leiden derzeit massiv unter den Folgen der Subprime-Krise. Im Folgenden erläutert Bob Haber, Fondsmanager des Fidelity American Growth Fund, Ursachen und Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Finanzmärkte. Markets | 08.04.2008 14:45 Uhr
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Eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte:

  • Beschleunigt durch die Vertrauenskrise an der Wall Street zehren massive Abschreibungen auf Hypotheken und andere Wertpapiere die Kapitalbasis von US-Finanzinstituten auf. Damit fehlt das nötige Kapital zur Kreditvergabe an Unternehmen und Verbraucher.
  • Eine ausreichend vorhandene Kreditebasis ist das Lebenselixier der Wirtschaft, denn es betrifft direkt jede Stufe des Wirtschaftskreislaufs und damit jedes Unternehmen im Land. Genau aus diesem Grund greift die US-Regierung schon seit langem direkter als in allen anderen Wirtschaftszweigen in das Geschehen in der Finanzbranche ein.
  • Um Liquidität in das System zu pumpen und damit die Kreditvergabe in Schwung zu bringen, setzt die US-Notenbank mittlerweile auch auf unkonventionelle Maßnahmen. So akzeptiert sie inzwischen sogar illiquide Papiere wie mit Hypotheken besicherte Wertpapiere als Sicherheit für Kredite an Banken und große Investmenthäuser.
  • Über solche neuen Kredite unterstützte die Fed die Übernahme von Bear Stearns durch JPMorgan. So versuchte sie, neue Unruhe an den Kreditmärkten zu verhindern, die größere systemische Verwerfungen, besonders an den riesigen Derivatemärkten, nach sich ziehen könnten.
  • Noch ist die Rekapitalisierung des US-Finanzsystems nicht abgeschlossen. Aber schon heute dürfte die Fed über unkonventionelle Maßnahmen mehr als jede andere Zentralbank in der Geschichte der USA getan haben, um dem angeschlagenen Finanzsystem auf die Beine zu helfen.
  • Zweifellos werden die Turbulenzen an den Finanzmärkten auch in nächster Zeit für Schwankungen an den Aktien- und Rentenmärkten sorgen. Es gibt jedoch zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit für ein erfolgreiches Meistern von Krisen im US-Finanzsektor.


Das Interview mit Bob Haber:

Was löste die Turbulenzen am Kreditmarkt aus?

Vorbote der Kreditkrise 2007-2008 war der Kurssturz von Wertpapieren, die mit zweifelhaften Hypotheken besichert sind. Als die Preise von Wohnimmobilien einbrachen und damit die Mängel bei der Kreditvergabe offen legten, gaben die Kurse von Wertpapieren, besichert durch zweitklassige Hypotheken, drastisch nach. Viele traditionelle Banken, Investmenthäuser und andere Finanzinstitute sahen sich nun gezwungen, den Wert solcher Hypothekenforderungen auf der Aktivseite ihrer Bilanz zu berichtigen. Bis Ende Februar 2008 summierten sich die Abschreibungen bereits auf 150 Milliarden US-Dollar. Damit stand ihnen nun weniger Kapital für die Kreditvergabe und für andere Aktivitäten zur Verfügung. Durch die plötzliche Flucht in Qualität verschärfte sich die Lage zusehends. Verlustträchtige Finanzdienstleister stießen in großem Umfang Vermögenswerte zu Spottpreisen ab, um ihr Kapital zu sichern. Damit aber lösten sie eine neue Verlust- und Verkaufswelle aus.
 
Warum erfassten die Turbulenzen auch komplexe Wertpapiere?

In Windeseile breitete sich die Subprime-Krise an den Kreditmärkten aus, denn die Flucht vor riskanteren Papieren war der Nährboden für weitere massive Abschreibungen und die Angst vor systemischen Risiken. In den Strudel hineingezogen wurden nun auch komplexe Finanzstrukturen und -derivate, die in den letzten zehn Jahren bei Anlegern hoch im Kurs standen. Diese komplexen Instrumente, angefangen von strukturierten Wertpapieren (CDOs), die mit Subprime-Hypotheken besichert sind, bis hin zu Tender-Option Bonds (TOBs), die von kommunalen Geldmarktfonds gehalten werden, stützen ihre Bonität auf zwei Merkmale.
 
Wie herkömmliche Anleihen sind auch diese Instrumente abhängig vom Kreditrisiko des Emittenten. Bei einer TOB-Struktur beispielsweise ist das die Kommune als Emittentin der in das Instrument eingebetteten Anleihe. Bei Kreditderivaten wie Credit Default Swaps (CDS) leitet sich der Wert der Wertpapiere vom vermeintlichen Risiko des emittierenden Unternehmens ab.
 
Ausschlaggebend für den Preis dieser komplexen Schuldtitel sind aber nicht zuletzt die Kreditverpflichtungen, die Kreditverbesserungen oder die in die Struktur eingebetteten Bestimmungen. Investmentbanken, Banken oder andere Finanzinstitute stellen in der Regel solche Kredit verbessernden Maßnahmen bereit. Diese beinhalten gegebenenfalls die explizite oder implizite Zusage, im Bedarfsfall Liquidität, Sicherheit oder sonstige Unterstützung bereitzustellen. Bei Derivaten wie Credit Default Swaps verpflichten sich Banken, ihren vertraglichen Zusicherungen als Geschäftspartner nachzukommen.
 
Die tatsächliche und vermeintliche Finanzkraft von Banken und Investmentbanken ist daher für das Funktionieren der Märkte für komplexe Wertpapiere und Derivate von elementarer Bedeutung. Hierzu ein Beispiel: In den letzten Wochen hat sich die Einschätzung des Marktes bezüglich der Kredite, die vielen komplexen Instrumenten zugrunde liegen, (z. B. Kommunalanleihen) möglicherweise kaum verändert. Viele Anleger haben jedoch den Eindruck, dass die Kreditverpflichtungen seitens der Finanzinstitute auf wackeligen Füßen stehen, was sich negativ auf den Preis dieser Wertpapiere auswirkt.
 
Die zunehmende Besorgnis hinsichtlich der Finanzlage der Finanzinstitute ist der Hauptgrund, warum die Krise in den letzten Monaten auf immer mehr Märkte für komplexe Schuldtitel übergegriffen hat. Mit in den Abwärtssog hineingezogen wurden auch Instrumente, die den kommunalen Auction Rate Securities, den Märkten für kommunale Geldmarktinstrumente (TOB =Tender Option Bonds und VRDN = Variable Rate Demand Notes) sowie den steuerpflichtigen Geldmarktinstrumenten (SIV = Structured Investment Vehicles, Conduits) und einem ganzen Bündel anderer Formen von Unternehmensanleihen und Verbraucherkrediten (CDO = Collateralized Debt Obligations, CLO = Collateralized Loan Obligations, etc.) zugrunde liegen. In einigen Fällen (z. B. bei Unternehmenskrediten oder fremdfinanzierten Transaktionen) haben Finanzinstitute Vermögenswerte, die sie nun nicht mehr veräußern können und daher in ihrer Bilanz halten müssen, wegen des Zusammenbruchs an den Märkten für komplexe Finanzinstrumente massiv im Wert berichtigt: Jenen Märkten also, die bis dato zu den wichtigsten Nachfragequellen gehörten. Die Folge: noch mehr Abschreibungen, ein weiteres Abschmelzen des Kapitals, das Horten sicherer Wertpapiere wie Staatsanleihen und eine Vertrauenskrise in der Finanzwirtschaft, die den normalen Kreditfluss lähmt.
 
Warum sind die Finanzinstitute für eine gesunde Wirtschaft so wichtig?

Zurzeit sehen sich die Finanzinstitute mit einem Schrumpfen ihrer Kapitalbasis konfrontiert, das ihnen die Vergabe von Krediten an Verbraucher und Unternehmen erschwert. Im Unterschied zu anderen Industriezweigen stellen Finanzinstitute eine Dienstleistung bereit, die sich direkt auf jeder Stufe des Wirtschaftskreislaufs und damit auf jedes Unternehmen im Land auswirken kann. Das Bankwesen und Kredite sind das Öl im Getriebe des Wirtschaftskreislaufs. Mit jeder Bedrohung für das Finanzsystem geht deshalb auch die Gefahr eines spürbaren Rückgangs des Wirtschaftswachstums einher. Aus diesem Grund greift die US-Regierung traditionell über ihre zuständigen Behörden direkter in das Geschehen in der Finanzbranche ein, als sie es in allen anderen Industriezweigen tut, angefangen von der Einführung der Einlagensicherung im Jahr 1934 bis hin zur Bankenkrise im Jahr 1989.
 
Als Folge aufsichtsrechtlicher Änderungen und Neuerungen an den Finanzmärkten verschwimmen nun zusehends die Grenzen zwischen traditionellen Banken, Investmentbanken und anderen Finanzinstituten. Bei ihrer Kreditaufnahme sind US-Unternehmen und selbst Verbraucher seit einigen Jahren immer weniger auf die Kreditvergabe über traditionelle Banken angewiesen, dafür aber verstärkt auf Kapitalmärkte, Kreditverbriefungen und diversifizierte Finanzdienstleister. So wurde die Investmentbank Bear Stearns unlängst durch eine konzertierte Rettungsaktion vor dem Zusammenbruch bewahrt, denn das Finanzunternehmen birgt vermeintliche systemische Risiken für das gesamte Finanz- und Kreditsystem, auch wenn es keine regulierte traditionelle Bank ist.
 
Warum rettet die US-Notenbank Bear Stearns?

Das Kapital eines Finanzinstituts ist schlicht der Betrag, der nach Abzug der Verbindlichkeiten von den Vermögenswerten übrig bleibt. Je mehr Kapital ein Unternehmen also hat, umso mehr kann es an andere ausleihen oder für sonstige Aktivitäten zur Verfügung stellen. Angesichts massiver Abschreibungen auf Hypotheken und andere Schuldtitel ist bei vielen Finanzanbietern die Kapitalbasis spürbar geschrumpft. Da der Markt für einige Vermögenswerte dieser Finanzinstitute wie Subprime-Hypotheken derzeit beinahe ausgetrocknet und ihr Marktpreis daher nicht eindeutig feststellbar ist, herrscht große Unsicherheit über ihren Wert und damit über die Höhe des Kapitals von Finanzfirmen.
 
Bei immer mehr Finanzinstituten wächst daher inzwischen die Angst vor einem Zahlungsausfall eines Mitbewerbers, weshalb sie den Handel oder die Kreditvergabe untereinander scheuen, wie es offenbar bei Bear Stearns der Fall war. Kommt es zum Zahlungsausfall eines Finanzinstituts, besteht die Gefahr, dass dieser große Flurschäden auf sämtlichen Märkten anrichtet, auf denen das Institut noch aktiv ist. Bear Stearns beispielsweise gehörte nachweislich zu den großen Geschäftspartnern am Markt für Credit-Default Swaps (CDS) und andere Derivate. Eine Insolvenz von Bear Stearns hätte Zweifel an den Kreditverpflichtungen sämtlicher Geschäftspartner ausgelöst und damit tausende von Transaktionen gefährden können mit ungeahnten Folgen für den 45 Billionen US-Dollar schweren CDS-Markt.
 
Mit zahlreichen Maßnahmen versucht die US-Notenbank deshalb, die Kreditklemme zu entschärfen und angeschlagene Finanzinstitute vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Seit kurzem akzeptiert sie mit Hypotheken besicherte Wertpapiere und andere Vermögenswerte mit geringerer Bonität als Sicherheit für Kredite an Banken und große Investmentbanken. Diese Kredite stellen eine vergleichsweise günstige Finanzierungsmöglichkeit dar. Sie ersetzen momentan illiquide, d. h. kaum handelbare Vermögenswerte durch erstklassige und hoch liquide US-Staatsanleihen. Im Falle von Bear Stearns stellte die Fed Berichten zufolge JPMorgan einen Kredit in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar zur Übernahme von Bear Stearns bereit und akzeptierte als Sicherheit dessen Vermögenswerte.
 
Auf diese Weise fungiert die Fed als "Kreditgeber der letzten Instanz" und versucht so, weiteren Turbulenzen an den Kreditmärkten vorzubeugen, die größere Verwerfungen im System auslösen könnten. Über solche Liquiditätsspritzen an Banken und andere Finanzinstitute können diese derzeit kaum verkäufliche Wertpapiere gegen hochwertige Titel eintauschen. Ziel ist, das Vertrauen in die Märkte wieder herzustellen, damit sich die Finanzinstitute untereinander wieder Geld leihen und schließlich die Kreditvergabe an Unternehmen, Hauseigentümer und Verbraucher wieder in Schwung kommt.
 
Sind weitere Maßnahmen der Fed erforderlich?

Mit ihren aktuellen Maßnahmen geht die Fed weit über ihre traditionelle Aufgabe hinaus, Leitzinsen für das Bankensystem festzulegen. Zwar hat die Fed die Zinsen seit September 2007 in beispielloser Weise gesenkt, ihre Zinssenkungen aber sind eine stumpfe Waffe im Kampf gegen die Kreditmarktkrise. Ein Lockern der Zinszügel setzt nur mittelfristige Impulse für die Wirtschaft. Als lebensrettende Sofortmaßnahme für Banken, die sich wegen angespannter Bilanzen nicht in der Lage sehen, ihre Kreditvergabe - koste es, was es wolle - auszuweiten, taugen Zinssenkungen wenig. Die wunde Stelle, in die die Fed mit ihren gezielten Krediten an Finanzinstitute den Finger legt, ist das mangelnde Vertrauen der Banken untereinander, das einer Kreditvergabe am Interbankenmarkt entgegen steht. 
 
War die Fed erfolgreich bei der Rekapitalisierung des Finanzsystems?

Die Maßnahmen der US-Notenbank an sich haben bislang nicht zu einer Rekapitalisierung des Finanzsystems beigetragen, denn sie sehen nur eine kurzzeitige Kreditvergabe (über den Austausch von Vermögenswerten) und keine dauerhafte Bereitstellung neuen Kapitals vor. Anders ausgedrückt: Trotz der Bemühungen der Fed, die Liquiditätsklemme zu lösen, hat die Fähigkeit des Finanzsystems zur Kreditvergabe wegen der abschmelzenden Kapitalbasis der Banken in den letzten Monaten erheblich nachgelassen.
 
Kehrt das Vertrauen zurück, werden die Banken mit der Zeit wohl ihre Bilanzen über die Kapitalaufnahme bei privaten Investoren (Staatsfonds, Private Equity, Hedgefonds oder ganz allgemein Aktienanleger) sanieren können. Falls nicht, könnten weitere Maßnahmen von offizieller Seite erforderlich sein. Zu den derzeit in Washington diskutierten Optionen gehören Überlegungen, Kreditgebern über staatliche Stellen Hypotheken verbilligt abzukaufen. Zudem könnte die Fed auch andere unkonventionelle Methoden in Betracht ziehen, um direkt oder indirekt Vermögenswerte angeschlagener Finanzinstitute zu erwerben. Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank, hat sich intensiv mit Finanzkrisen auseinandergesetzt, insbesondere mit der Großen Depression und dem Bankenzusammenbruch nach dem Platzen der Blase in Japan in den neunziger Jahren. Bislang hat er vermutlich mehr als jeder andere US-Zentralbanker in der Geschichte der USA getan, um die Krise im USFinanzsystem über unkonventionelle Maßnahmen zu entschärfen.
 
Die Risiken weiterer offizieller Maßnahmen - seitens der Fed oder der Regierung - trägt letztlich der US-Steuerzahler. Noch bleibt abzuwarten, ob weitere Schritte erforderlich sind. Aber die Geschwindigkeit der Ereignisse legt den Schluss nahe, dass man sich den Problemen eher früher als später wird stellen müssen. In der Zwischenzeit reiht sich Bear Stearns in die historische Zeittafel großer zusammengebrochener Wall Street-Firmen ein, darunter Continental Illinois (1984), Drexel Lambert Burnham (1990) und Long Term Capital Management (1998). Zweifellos werden die Turbulenzen an den Finanzmärkten auch in nächster Zeit für Schwankungen an den Aktien- und Rentenmärkten sorgen. Es gibt jedoch zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit für ein Meistern von Krisen im US-Finanzsektor.

Performanceergebnisse der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung eines Investmentfonds oder Wertpapiers zu. Wert und Rendite einer Anlage in Fonds oder Wertpapieren können steigen oder fallen. Anleger können gegebenenfalls nur weniger als das investierte Kapital ausgezahlt bekommen. Auch Währungsschwankungen können das Investment beeinflussen. Beachten Sie die Vorschriften für Werbung und Angebot von Anteilen im InvFG 2011 §128 ff. Die Informationen auf www.e-fundresearch.com repräsentieren keine Empfehlungen für den Kauf, Verkauf oder das Halten von Wertpapieren, Fonds oder sonstigen Vermögensgegenständen. Die Informationen des Internetauftritts der e-fundresearch.com AG wurden sorgfältig erstellt. Dennoch kann es zu unbeabsichtigt fehlerhaften Darstellungen kommen. Eine Haftung oder Garantie für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen kann daher nicht übernommen werden. Gleiches gilt auch für alle anderen Websites, auf die mittels Hyperlink verwiesen wird. Die e-fundresearch.com AG lehnt jegliche Haftung für unmittelbare, konkrete oder sonstige Schäden ab, die im Zusammenhang mit den angebotenen oder sonstigen verfügbaren Informationen entstehen.

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