Am 20.10.2011 hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung der geltenden Finanzmarktrichtlinie MiFID (2004/39/EG, „MiFID I“) angenommen. Der Vorschlag gliedert sich in zwei Legislativvorschläge, eine Richtlinie („MiFID II“) und eine Verordnung („MiFIR“). Knapp ein Jahr später, am 26.10.2012, hat das EU-Parlament seine diesbezügliche Stellungnahme abgegeben[1]. Am 21.6.2013 kam es, nach langen Diskussionen, auch innerhalb des EU-Rats zur Einigung zu den nicht wenigen umstrittenen Fragen des Vorschlags der EU-Kommission[2]. Damit wurde der Weg für Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Parlament, Rat und EU-Kommission geöffnet, um eine gemeinsame Position zu finden, die es dem Parlament erlauben würde, MiFID und MiFIR in erster Lesung zu verabschieden. Angestrebt ist ein Beschluss des EU-Parlaments für Dezember 2013.
Inhaltlich enthalten die Textvorschläge des EU-Rats einige Änderungen im Vergleich zu den Texten von EU-Kommission und EU-Parlament. Diese betreffen auch das wichtige Thema der Produktintervention und distanzieren sich auch vom Ansatz des EU-Parlaments, nach welchem die von Wertpapierfirmen entwickelten Anlageprodukte, die sie Kunden zum Kauf anbieten, so konzipiert sein müssen, dass sie den Bedürfnissen und Charakteristika eines bestimmten Zielmarkts innerhalb der relevanten Kundenkategorie gerecht werden. Zudem hat der Ministerrat eigene Vorstellungen hinsichtlich der Regulierung der verschiedenen Handelsplattformen und des Algorithmus- und Hochfrequenzhandels entwickelt.
Übersicht
MiFID II sieht Änderungen vor in Bezug auf:
- spezifische Anforderungen an die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen,
- die Möglichkeiten, Ausnahmen von MiFID I zu gewähren,
- die Anforderungen an die Organisation und die Wohlverhaltensregeln von Wertpapierfirmen,
- die organisatorischen Anforderungen an Handelsplätze,
- die Zulassung und laufenden Pflichten der Erbringer von Datendiensten,
- die Befugnisse der zuständigen Behörden,
- Sanktionen,
- die auf Drittlandfirmen, die über eine Zweigniederlassung tätig werden, anwendbaren Vorschriften.
MiFIR legt Anforderungen fest in Bezug auf:
- die Veröffentlichung von Handelstransparenzdaten und die Meldung von Geschäftsdaten an die zuständigen Behörden,
- die Beseitigung von Barrieren, die einen diskriminierungsfreien Zugang zu Clearing-Einrichtungen verhindern,
- die Verpflichtung zur Verlagerung des Derivatehandels an organisierte Handelsplätze,
- spezifische Aufsichtsmaßnahmen in Bezug auf Finanzinstrumente und Derivatepositionen,
- die Erbringung von Dienstleistungen durch Drittlandfirmen ohne Zweigniederlassungen.
Darüber hinaus ergänzen weitere EU-Normen die Überarbeitung von MiFID I:
- VO (EU) Nr. 236/2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps (Vorschriften zur Offenlegung von Leerverkäufen, die es den Regulierungsbehörden einfacher machen, mögliche Fälle der Marktmanipulation oder Insider-Geschäfte im Zusammenhang mit Leerverkäufen aufzudecken),
- VO (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR) (Die Transparenz wesentlicher Derivate-Positionen wird erhöht, systemische Risiken für die Marktteilnehmer sollen verringert werden),
- Mit der Überarbeitung der Marktmissbrauchsverordnung (MAD, Kommissionsvorschlag vom 25.7.2012), die gemeinsam mit der Neufassung der MiFID vorgelegt wird, soll der Anwendungsbereich der Richtlinie ausgedehnt, die Effizienz erhöht und zu solideren Finanzmärkten beigetragen werden.
Wesentliche Inhalte von MiFID II
Spezifische Anforderungen an die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen
MiFID II greift stark in die Anlageberatung ein. Kunden und potenzielle Kunde sollen darüber zu informieren sein,
- ob die Anlageberatung unabhängig erbracht wurde,
- ob sie sich auf eine umfangreiche oder eine restriktivere Marktanalyse stützt,
- ob die Wertpapierfirma dem Kunden eine laufende Beurteilung über die Eignung der Finanzinstrumente bietet, die den Kunden empfohlen werden
- wie die erbrachte Beratung auf die persönlichen Merkmale des Kunden abgestimmt wurde.
Informiert die Wertpapierfirma den Kunden darüber, dass die Anlageberatung unabhängig erbracht wird, dann
- bewertet sie eine ausreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Finanzinstrumenten
- nimmt sie für die Erbringung der Dienstleistung an die Kunden keinerlei Gebühren, Provisionen oder andere monetäre Vorteile einer dritten Partei an.
Die Finanzinstrumente sollten hinsichtlich ihrer Art und Emittenten oder Produktanbieter gestreut sein und nicht auf Finanzinstrumente beschränkt sein, die von Einrichtungen emittiert oder angeboten werden, die in enger Verbindung zur Wertpapierfirma stehen.
Bei der Vermögensverwaltung soll es Wertpapierfirmen künftig untersagt sein, von Dritten finanzielle Vorteile jeglicher Art zu erhalten.
Reaktion auf technologische Entwicklungen
Als Reaktion auf die technologischen Entwicklungen beim Handel mit Finanzinstrumenten bringt MiFID II verschärfte organisatorische Anforderungen zur Sicherung der Effizienz und Integrität der Märkte. Potenziellen Risiken aus dem erhöhten Einsatz von Technologie (z.B. Handel mit elektronischem Marktzugang, algorithmischer Handel, bei dem ein Computeralgorithmus einzelne Aspekte eines Auftrags mit minimalem oder völlig ohne Eingreifen des Menschen automatisch bestimmt, Hochfrequenzhandel) sollen durch die Verpflichtung zur Umsetzung spezieller Risikokontrollen und zur Beachtung angemessener Handelsschwellen und Handelsobergrenzen eingedämmt werden. Wertpapierfirmen, die algorithmischen Handel betreiben, sollen dazu verpflichtet werden, der Aufsichtsbehörde jährlich vorzulegen:
- eine Beschreibung ihrer algorithmischen Handelsstrategien,
- die Einzelheiten zu den Handelsparametern oder Handelsobergrenzen, denen das System unterliegt,
- die wichtigsten Kontrollen für Einhaltung und Risiken,
- die Einzelheiten über ihre Systemprüfung.
Rohstoffderivate
Alle Ausführungsplätze, die Handel mit Warenderivaten anbieten, sollten über angemessene Obergrenzen oder sonstige geeignete Vorkehrungen verfügen, die dazu dienen, die Liquidität zu unterstützen, Marktmissbrauch zu verhindern und geordnete Preisbildungs- und Abrechnungsbedingungen zu garantieren. Aufsichtsbehörden sollen berechtigt sein, in aufrechte Derivate-Kontrakte einzugreifen und darauf hinzuwirken, dass eine Position verringert wird. Dieses verstärkte Positionsmanagement soll durch die Möglichkeit ergänzt werden, Positionen im Voraus und auf nichtdiskriminierende Weise zu beschränken.
Corporate Governance
Verbesserungen der Corporate Governance sollen dadurch erreicht werden, dass Wertpapierfirmen neben speziellen Qualitätsanforderungen für Geschäftsleiter auch Strategien zur Förderung der Diversität im Leitungsorgan in Bezug auf Alter, Geschlecht, Ausbildung, Beruf und Herkunft einzuführen haben.
Telefongespräche oder elektronische Mitteilungen in Bezug auf Kundenaufträge, bei denen die Dienstleistungen der Entgegennahme und Weiterleitung von Aufträgen und die Ausführung von Aufträgen im Namen der Kunden erbracht werden, sollen aufzuzeichnen sein.
Verschärfter Anlegerschutz
Neben den oben erwähnten Anforderungen an die Anlageberatung und die Portfolioverwaltung bringt das MiFID II Regime eine weitere Verschärfung der Anlegerschutzregelungen. Die Kundenkategorisierung (Kleinanleger, professionelle Kunden, geeignete Gegenparteien) bleibt bestehen, doch sollen Gebietskörperschaften und kommunalen Behörden eindeutig aus der Liste der geeigneten Gegenparteien und professionellen Kunden ausgeschlossen werden.
Weiters werden Bedingungen und Voraussetzungen festgelegt, unter denen Anleger auf dem Markt für bestimmte nicht komplexe Instrumente mit minimalen Pflichten bzw. minimalem Schutz von Seiten ihrer Wertpapierfirma frei Geschäfte tätigen können. Wertpapierfirmen, deren Wertpapierdienstleistungen lediglich in der Ausführung von Kundenaufträgen und/oder der Annahme und Übermittlung von Kundenaufträgen bestehen (execution only Geschäft), können Wertpapierdienstleistungen für ihre Kunden erbringen, ohne zuvor einen Eignungstest oder Angemessenheitstest machen zu müssen, wenn es sich um nicht komplexe Produkte handelt. Speziell strukturierte UCITS-Fonds, die nach dem geltenden MiFID-Regime als nicht komplexe Instrumente gelten, sollen jedoch künftig aus dem Anwendungsbereich des execution only Geschäftes ausgenommen werden.
Emissionshandel , Handelsplätze, neue Marktteilnehmer
Die neuen MiFID-Regeln werden auf (Klima)Emmissionszertifikate und den Verkauf strukturierter Einlagen von Kreditinstituten ausgeweitet. Der Handel mit Klimazertifikaten ist bis dato weitgehend unreguliert; strukturierte Einlagen als Anlageprodukt sind erst nach Veröffentlichung von MiFID I entstanden.
Weiters soll es zu Anpassungen des Marktstrukturrahmens kommen, denn zur bisherigen Einteilung der Finanzmärkte in regulierte Märkte, multilaterale Handelssysteme und systematische Internalisierer soll als vierte Gruppe die „organisierten Handelssysteme („organised trading facilities“, OTF) hinzukommen. Zudem soll eine neue Unterkategorie von Märkten eingeführt werden, die sogenannten „KMU-Wachstumsmärkte“, mit denen Klein- und Mittelunternehmen (KMU) geholfen werden soll, Finanzierungen zu erhalten.
Standardisierte OTC-Derivaten sollen künftig nicht mehr außerbörslich, sondern an Börsen oder elektronischen Handelsplattformen gehandelt werden.
Befugnisse der Behörden
Die Aufsichtsbehörden werden mehr Befugnisse bekommen. Sie werden eine Reihe von Sanktionen, verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Geldbußen verhängen können. Sie sollen bestimmte Finanzprodukte auch dauerhaft verbieten können. Daneben wird die ESMA direkte Befugnisse haben, Produkte und Dienstleistungen in Notsituationen vorübergehend zu untersagen.
Drittländer, Datenkonsolidierung
Regelung in Bezug auf Drittländer und verstärkte und effizientere Datenkonsolidierung runden das MiFID II Rahmenwerk ab.
Dr. Rolf Majcen, Managind Director, FTC Capital GmbH
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