Wilhelm rechnet damit, dass die wirtschaftliche Aktivität in der Eurozone im kommenden Jahr nur leicht um etwa 1,3 Prozent zunimmt. „Die Bäume wachsen zwar nicht in den Himmel, die Rezessionsängste, die die Märkte noch im Herbst gebremst hatten, waren aber übertrieben. “, so der Vorstand von Union Investment. Allerdings: „Es kommt darauf an, dass sowohl die Politiker bei ihren Sparmaßnahmen als auch die Europäische Zentralbank in der Geldpolitik die richtige Dosis finden.“
Ein stärkeres Wachstum ist in Übersee zu erwarten: „Wir rechnen im Jahr 2015 in den USA aufgrund des Binnenkonsums mit einem Wachstum von 2,7 Prozent.“ Daher könne man zunehmend bei Europa und den USA von einer „Welt der zwei Geschwindigkeiten“ sprechen.
In den Schwellenländern wird die Entwicklung noch mehr als in den Vorjahren von der konjunkturellen Dynamik Chinas sowie von der Lage am Rohstoffmarkt abhängen. Für China rechnet der Vorstand im Jahr 2015 mit einer Zunahme der Wirtschaftsaktivität um 7,1 Prozent. Damit setzt sich bei den Wachstumsraten der leichte Abwärtstrend der letzten Jahre fort. Von einer noch stärkeren Konjunkturabschwächung in China geht Wilhelm nicht aus.
„Leichter Rückenwind für die globale Wirtschaft kommt vom Ölpreis, der zuletzt deutlich nachgegeben hat“, sagt Wilhelm. „Um einen dauerhaften Effekt auf die Konjunktur zu haben, müssen die Notierungen längerfristig niedrig bleiben.“. Dies sollte nach der jüngsten Entscheidung der OPEC, die Förderquoten konstant zu halten, zumindest für die nächsten Monate der Fall sein. Das entlastet sowohl Unternehmen als auch Verbraucher vor allem in stark vom Ölimport abhängigen Regionen wie beispielsweise Asien und der Eurozone, Rohstoffexporteure wie Russland und Brasilien belastet er hingegen.
Die Geopolitik wird nach Meinung von Wilhelm auch in den kommenden Jahren ein potenzieller Belastungsfaktor für die internationalen Kapitalmärkte bleiben. „Die USA, Russland und China versuchen zur Zeit gleichzeitig, ihre Rollen in der Welt neu zu definieren, und das sorgt für anhaltende Unsicherheit“, so der Anlagestratege.
Deflationssorgen übertrieben
Die Teuerungsraten werden nicht zuletzt wegen der gesunkenen Energiepreise niedrig bleiben oder sogar noch etwas nachgeben – gleichwohl hält Wilhelm die Deflationssorgen für übertrieben: „Wir erwarten in den nächsten Jahren weltweit ein moderates Wirtschaftswachstum, das inflationsfrei, aber eben nicht deflationär verlaufen wird“, erklärt der Vorstand. „Zudem ist das Thema Deflation für die Notenbanken ein rotes Tuch und sie werden alles in ihrer Macht stehende tun, um sie zu vermeiden.“ Die Teuerungsrate im Euroraum liegt seiner Einschätzung nach im Jahr 2015 bei 0,7 Prozent.
Wegen der geringen Inflationsraten und des schwachen Wirtschaftswachstums wird die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen in der Eurozone auf ihrem historisch niedrigen Niveau belassen. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass die expansiven Maßnahmen noch ausgedehnt werden – zunächst voraussichtlich ab Anfang 2015 über den Ankauf von Unternehmensanleihen. Auch Japan setzt die expansive Geldpolitik fort. Andere Währungsräume hingegen werden sich vom Weg der letzten Jahre abkoppeln. „In den USA und in Großbritannien rechnen wir 2015 mit den ersten, allerdings sehr moderaten Zinserhöhungen“, so Wilhelm. Die US-Notenbank Fed, die im Oktober 2014 ihr Anleiheankaufprogramm beendet hat, startet damit vermutlich in der zweiten Jahreshälfte. „Es wird den Kapitalmärkten weiter nicht an Liquidität fehlen“, betont der Vorstand.
In diesem Umfeld werden die Renditen von Staatsanleihen der Eurozone sehr niedrig bleiben. Die zehnjährige Bundesanleihe, die im November unter der Marke von 0,7 Prozent notierte, kann zwar in der Rendite wieder leicht über die ein Prozentmarke steigen – entscheidend dafür wird aber die Geldpolitik sein. Sollte die EZB im nächsten Jahr ihre Anleihekäufe auf Staatsanleihen ausweiten, dann kann der Zins sogar noch weiter sinken, obwohl vom aktuellen Niveau nur noch wenig Platz nach unten ist. „Auf jeden Fall bleibt uns bei dem aktuellen Wachstumspfad das Niedrigzinsumfeld noch mehrere Jahre erhalten“, so Wilhelm.
Anlagedilemma verschärft sich weiter
Grundsätzlich verschärft sich das Anlagedilemma am Rentenmarkt dadurch weiter. Renditepotenzial besteht bei ausgewählten Peripherieanleihen, ansonsten sind aber nur noch hochverzinsliche Papiere (High Yield) und Titel aus den Schwellenländern wirklich attraktiv. Für institutionelle Investoren sind daneben Rentengattungen wie etwa forderungsbesicherte Wertpapiere und Nachrangtitel wie beispielsweise Contingent Convertible Bonds, kurz CoCo-Bonds, eine Möglichkeit. Angesichts höherer Zinsen außerhalb des Euroraums gilt aber gerade im Anleihebereich, dass es für Anleger keine Alternative zu einer internationaleren Ausrichtung ihrer Portfolios gibt.
Weiter attraktiv bleiben Anlagen in Immobilien. Das zeigt sich in der ungebrochen hohen Nachfrage durch alle Investorengruppen, die im Vergleich zum letzten Jahr noch einmal um ein Drittel zugelegt hat. „Die Renditeaufschläge bei Immobilien bleiben interessant, zumal die Spitzenmieten in vielen Regionen der Welt weiter steigen“, sagt Wilhelm.
Am Rohstoffmarkt ist das Bild uneinheitlich. Insbesondere der Ölpreis sollte unter Schwankungen auf einem niedrigen Niveau verharren und erst mittelfristig wieder zulegen. Die Notierungen für Edelmetalle werden vor dem Hintergrund der niedrigen Inflation im Jahresverlauf schwach bleiben. Positiv sind die Aussichten hingegen bei Industriemetallen. Insgesamt bleiben Rohstoffe aber trotz eines sehr schwierigen Jahres 2014 und des zunächst verhaltenen Ausblicks als Anlageklasse ein wichtiger Baustein für ein diversifiziertes Portfolio. Für Anleger mit einem etwas längeren Zeithorizont haben Rohstoffe nach den zum Teil deutlichen Preisrückgängen der letzten Monate auf jeden Fall Potenzial.
Gute Chancen für steigende Unternehmensgewinne
Am positivsten fällt nach Einschätzung von Wilhelm das Kapitalmarktbild für die Anlageklasse Aktien aus – und das trotz der erreichten hohen Indexstände. Damit die Kurse weiter klettern, müssten nun allerdings auch die Unternehmensgewinne steigen. Die Chancen dafür stehen derzeit gut. Für die Konzerne aus dem Euroraum ist die Berichterstattung zum dritten Quartal die beste seit langem gewesen. Und es gibt weitere Gründe, die für Aktien aus Europa sprechen: „Wir rechnen damit, dass der Euro auf Jahressicht weiter nachgibt“, sagt Wilhelm. Davon sollten vor allem exportorientierte Unternehmen profitieren. Darüber hinaus helfen die niedrigen Energiepreise, die Kosten der Konzerne zu senken. „Wir favorisieren auch japanische Aktien – vorausgesetzt Premierminister Abe setzt seinen expansiven wirtschaftspolitischen Kurs weiter fort“, erklärt der Vorstand.
Balance zwischen Chancenorientierung und Sicherheitsbedürfnis
„Insgesamt wird das Kapitalmarktumfeld im kommenden Jahr keinesfalls weniger anspruchsvoll sein als im Jahr 2014“, so Wilhelm. Weder die Konzentration auf eine einzelne Assetklasse noch die Fokussierung auf eine Anlageregion sind unter Chance-Risiko-Aspekten zielführend. Mehr denn je kommt es auf eine gut abgestimmte Mischung und risikoabsichernde Maßnahmen an. „Ein vielversprechender Ansatz für die Geldanlage sind moderne Multi-Asset-Lösungen, die eine gute Balance zwischen Chancen und Sicherheit in sich vereinen“, resümiert Wilhelm.