Die Signale, die in den vergangenen Tagen von der US-Notenbank und von der Europäischen Zentralbank kamen, konnten unterschiedlicher nicht sein. Auf der einen Seite machte Mario Draghi mit überraschender Deutlichkeit klar, dass die EZB kurz vor der Lancierung neuer geldpolitischer Stimuli im Dezember steht. Genau in die entgegengesetzte Richtung zielte das jüngste Kommuniqué des Offenmarktausschusses der Fed. Hier wurde unerwartet freimütig auf die Möglichkeit einer Zinserhöhung noch vor dem Jahresende hingewiesen. Droht in diesem Spannungsfeld eine Zerreißprobe für die Finanzmärkte?
Derartige Befürchtungen dürften überzogen sein, weil der vermeintliche Gegensatz in der geldpolitischen Ausrichtung der großen Notenbanken gar nicht so groß ist. Zum einen resultiert die unterschiedliche Gangart aus dem zeitlichen Versatz der jeweiligen Konjunkturzyklen. So wie der wirtschaftliche Abschwung in den USA früher begann und damit die Fed im Jahr 2007 ein Jahr vor der EZB zu Zinssenkungen bewegte und die US-Notenbank auch bedeutend früher unkonventionelle Maßnahmen wie QE lancieren ließ, so wird jetzt die Kehrtwende zuerst in den USA vollzogen. Für die Finanzmärkte sind derartig versetzte Zyklen nicht ungewöhnlich und somit per se keine Quelle nachhaltiger Verunsicherung.
Zum anderen wird eine behutsame Rückführung der expansiven Geldpolitik in den USA weder für die Konjunkturdynamik in der weltweit größten Volkswirtschaft noch für die Finanzmärkte eine schwere Belastung sein. Das liegt allein im ureigenen Interesse der US-Notenbank, die den Aufschwung im eigenen Land genauso wenig durch kräftig steigende Kapitalmarktzinsen bremsen will wie durch eine nochmalige namhafte Aufwertung der eigenen Währung. Aus diesem Grund wird die Fed alles tun, um die Leitzinserhöhungserwartungen für die folgenden Quartale zu dämpfen, wenn sie im Dezember das Zielband für den Tagesgeldsatz um 25 Basispunkte anhebt. Mithin wird die Geldpolitik auch in den USA trotz des »Lift-offs« immer noch expansiv ausgerichtet bleiben. Vor diesem Hintergrund ist die erste Zinserhöhung der Fed seit neun Jahren kein Problem, sondern eher ein Gütesiegel, das die Normalisierung nach der vorangegangenen schweren Rezession dokumentiert.
Die Finanzmärkte beruhigen dürfte darüber hinaus das sich aufhellende konjunkturelle Umfeld. In den USA rechnen wir mit einer weiterhin robusten Aufschwungsdynamik, nachdem der Gegenwind von den eingebrochenen Ölinvestitionen und der USD-Aufwertung nachgelassen hat. In der Eurozone schiebt der anhaltende Nachholbedarf beim Konsum und den Investitionen die Konjunktur an. Und auch die Perspektiven für die chinesische Volkswirtschaft hellen sich auf. Die vielfältigen Stimuli der Regierung entfalten dort langsam aber sicher die gewünschte Anschubwirkung, was auch in dem am Montag veröffentlichten – über den Erwartungen liegenden – Anstieg des Oktober-Einkaufsmanagerindex von Markit zum Ausdruck kommt.
Fazit: Die bevorstehende Zinswende der Fed ist kein Problem, sondern ein Ausdruck der Normalisierung nach der tiefen Rezession und der bislang nur langsamen Erholung. Der wirtschaftliche Aufschwung sollte sich angesichts der günstigen fundamentalen Rahmenbedingungen fortsetzen. Entsprechend ist der Ausblick für Risikoassets wie Aktien, Unternehmensanleihen und Hochzinsanleihen für die nächsten Monate klar positiv.
Dr. Andreas Busch, Senior Analyst Economics, BANTLEON
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