Das gespaltene Makrobild der Eurozone ist in der vergangenen Woche für jeden offensichtlich geworden: Auf der einen Seite setzten die Konjunkturdaten ihren Positivtrend unbeirrt fort. So sank die EUR-Arbeitslosenquote im September erstmals seit zehn Jahren wieder unter 9%. Gleichzeitig erreichte das BIP-Wachstum im 3. Quartal mit 2,5% gegenüber dem Vorjahr einen 6½-jährigen Höchststand. Die Umfrage der EU-Kommission vom Oktober führte schließlich eindrücklich die Breite des Aufschwungs vor Augen: Ob Industrie, Bauwirtschaft, Einzelhandel oder Dienstleistungsgewerbe – überall ist die Stimmung so gut wie lange nicht. Und dies gilt inzwischen für Nord- und Südeuropa gleichermaßen. Eigentlich ein optimales Umfeld für steigende Preise, zumal die Geldpolitik Banken und Wirtschaft weiterhin mit Liquidität flutet.
In den aktuellen Daten ist von Preisdruck aber nicht viel zu sehen – das ist die andere Seite des Makrobildes. Im Sommer schien es zunächst so, als ob bei der Kerninflation, welche die volatilen Energie- und Nahrungsmittelpreise ausklammert, der Durchbruch gelungen ist. Erstmals seit vier Jahren war sie aus der Seitwärtsrange um 0,8% ausgebrochen und schrittweise auf 1,2% gestiegen. Die vergangenen beiden Monate haben diese Bewegung aber wieder zunichte gemacht. Die Kerninflation fiel im Oktober auf 0,9% zurück. Von einem selbsttragenden und nachhaltigen Aufwärtstrend der Inflation, wie ihn die EZB anstrebt, kann noch nicht die Rede sein.
Dies ist Wasser auf den Mühlen der Inflationsskeptiker. Sie verweisen zum einen auf die Nachwehen der Finanzkrise – die Wirtschaft der Eurozone sei immer noch unterausgelastet. Zum anderen nennen sie strukturelle Argumente. Vor allem halte die Globalisierung die Lohnzuwächse in Schach. Der Inflationsausblick vieler Analysten fällt daher unverändert pessimistisch aus. Der Konsensus rechnet für 2018 nur mit einer minimalen Aufwärtsbewegung bei der Kerninflation.
Das sehen wir anders: Die jüngste Wachstumsbeschleunigung auf über 2% – bei einer Wachstumsrate des Produktionspotentials von lediglich 1% – hat die Unterauslastung weitgehend beseitigt. Die Lieferzeiten in der Industrie der Eurozone liegen auf Niveaus wie in früheren Boomphasen. Auch bei der Lohninflation ist eine Erholung in Sicht. In den Peripheriestaaten sind die Zeiten, in denen die Saläre gekürzt wurden, vorbei. Gleichzeitig zeichnen sich in Deutschland bei den anstehenden Tarifverhandlungen höhere Abschlüsse als in den Vorjahren ab. Auch bei den strukturellen Faktoren gibt es Indizien für eine Trendwende. In vielen Schwellenländern werden die Arbeitnehmer mutiger – allen voran in Osteuropa. In Rumänien, Bulgarien und Ungarn liegt das Lohnwachstum bereits über 10% im Vorjahresvergleich. Dies lässt die Preise für Vorprodukte steigen. Gleichzeitig nimmt der Abwärtsdruck auf die Löhne in Westeuropa ab.
Insgesamt sind das gute Voraussetzungen dafür, dass die Kerninflation in der Eurozone innerhalb der nächsten zwölf Monate um etwa ½ Prozentpunkt steigt. Das wird sich auch auf die Headline-Teuerungsrate übertragen, zumal die robuste Weltwirtschaft die Energie- und Nahrungsmittelpreise stabilisiert. Deshalb dürfte sich die Inflationsrate im 2. Halbjahr 2018 bei über 1,5% etablieren. Das ist zwar nach wie vor kein massiver Inflationsdruck, dennoch dürften die Inflationserwartungen nach oben korrigieren. Letzteres wird inflationsgeschützte Staatsanleihen beflügeln, die sich in den vergangenen Jahren lange Zeit schlechter entwickelt haben als ihre nominalen Pendants. Mithin zeichnet sich für Linker ein Comeback ab.