"Die europäische Landschaft für sozial verantwortungsvolle Investitionen wächst und gewinnt an Dynamik. In der aktuellen „European SRI study 2016“ des Eurosif gaben 278 Investment-Manager an, dass für mehr als 12 Billionen Euro an verwalteten Vermögen in Europa zu einem gewissen Grad sozial verantwortungsvolle Anlagegrundsätzen verfolgt werden. Nachhaltiges Investieren und die Einbeziehung eines ESG (Environmental, Social and Governance)-Ansatzes können insofern als im Mainstream der Fondsmanagementbranche etabliert angesehen werden. Als nächsten Schritt wird unsere Branche jedoch anerkennen müssen, dass ESG-Risiken – neben Finanz- oder rechnungslegungsbezogenen Risiken – nicht nur ein „grünes Label“ oder „nice to have“ sind, sondern ein wichtiger Treiber der langfristigen Performance.
Wir sehen die oberste treuhänderische Pflicht eines Vermögensverwalters gegenüber seinen Anlegern darin, so viele identifizierbare Risiken wie möglich zu mindern. Und dies beinhaltet auch Risiken im Zusammenhang mit schlechter Governance, mit der Unterrepräsentierung von Anteilseignern, der Missachtung sozialer Themen wie Gesundheit und Sicherheit sowie von ökologischen Herausforderungen. Vermögensverwalter wie wir bei Carmignac, die die Ersparnisse von Anlegern - oft ihre künftige Altersversorgung - anlegen, müssen langfristig denken. Unternehmen, die auf kurzfristige Erfolge abzielen und dabei höhere ESG-Risiken (oder andere höhere Risiken) in Kauf nehmen, werden weder in Ihrer Branche erfolgreich sein, noch im Laufe der Jahre eine profitable Anlage bieten.
Carmignac investiert beispielweise seit Gründung des Unternehmens in Schwellenländer. Hier manifestiert sich unsere Haltung zum Thema Corporate Governance maßgeblich. Die staatlichen Organe und Börsen von Schwellenländern haben erst spät damit begonnen, die in Industriestaaten üblichen Standards im Hinblick auf Transparenz, Stimmrechte und die Vertretung von Aktionärsrechten einzuführen. Eine gängige „Best-in-Class-Auswahl“, bei der Manager Portfolios aus solchen Unternehmen zusammenstellen, die den höchsten Nachhaltigkeits-Score aufweisen, lässt keinen Spielraum für ein aktives Management. Dies ist aber für Investitionen in Schwellenländern von zentraler Rolle, denn es müssen bestimmte Länder oder Sektoren berücksichtigt und andere vollständig vermieden werden. Ein ESG-Ansatz, der lediglich darauf beruht, Best-in-Class-Unternehmen zu bevorzugen, sendet vielleicht das Signal an Unternehmen, sich verantwortungsvoller zu verhalten. Das ist jedoch nicht unbedingt die einzige mögliche Methode. Wir als Anleger sollten den „guten Schüler“ belohnen, doch wir sollten den „schlechten Schüler“ nicht systematisch aufgeben. Als Anteilseigner können wir Unternehmen beeinflussen und mit ihnen interagieren – angefangen mit der Teilnahme an allen Abstimmungen und der Verfolgung eines Ziels mit Ausrichtung auf Nachhaltigkeit statt auf kurzfristige Performance oder Dividendenzahlungen.
Ein Beispiel für eine Anlage auf der Grundlage solider finanzieller Kriterien und einer positiven ESG-Wirkung ist der „Pure Player“ ISA CTEEP im brasilianischen Stromübertragungssektor. Strom stammt in Brasilien überwiegend aus Wasserkraftwerken, doch das Problem ist die Übertragung; bis 2020 sollen mehr als 3.500 km Stromleitungen installiert werden. ISA CTEEP ist eines der größten Unternehmen, das in der Lage ist, diese Leitungen zu installieren und zu finanzieren, und hilft damit, ärmere, abgelegene Regionen Brasiliens mit Strom zu versorgen. Das Umweltrisiko ist für Versorgungsunternehmer immer von kritischer Bedeutung. ISA hat eine ansehnliche Erfolgsbilanz und geht so vor, dass indigene Bevölkerungen geschützt und die Auswirkungen auf Anrainer-Gemeinden, Biodiversität und die Landnutzung minimiert werden.
Fonds folgen verschiedenen Anlageprozessen mit unterschiedlichen Anlageuniversen und Risikoprofilen – dementsprechend unterscheiden sich auch die ESG-Risiken und die Umsetzung von ESG-Grundsätzen von Fonds zu Fonds. All dies muss kontinuierlich überwacht und überprüft werden. Am Ende müssen Vermögensverwalter aber langfristig und nicht kurzfristig denken."
Sandra Crowl, Mitglied des Investmentkomitees, Carmignac
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