"Der ein oder andere Marktteilnehmer hat sicherlich bemerkt, dass die plötzliche Korrektur der Aktienmärkte Anfang Februar mit einem drastischen Anstieg der Volatilitätsindikatoren einherging. Mehr braucht es wohl nicht, um die Wahrnehmung zu festigen, dass Volatilität gleich Risiko ist und dass der bekannte VIX-Index seinen Beinamen in den Medien als „Index der Angst“ durchaus verdient.
Volatilität bedeutet technisch nichts weiter als die Schwankungsbreite eines Index um seinen historischen Durchschnitt. Und die gewöhnlich verwendeten Volatilitätsindikatoren wie der VIX sind diejenigen, die von den Marktakteuren implizit beim Preis der von ihnen angebotenen Optionen auf Börsenindizes herangezogen werden. Infolge natürlicher Vorsicht der Market-Maker schlagen diese impliziten Volatilitäten aus, wenn in Panik geratene Anleger in großer Zahl versuchen, ihnen zum Schutz ihrer Positionen Optionen abzukaufen. Und dieser plötzliche, starke Anstieg der Volatilität ist umso aufsehenerregender, da er auf eine lange Phase folgt, die von einem hohen Anlegervertrauen und geringen Bedürfnis nach Absicherung geprägt war. Im Grunde wird auf einen Schlag die „Volatilität der Volatilität“ geweckt.
In Wirklichkeit ist es jedoch normal, dass ein Markt, der seinem Wesen nach sehr vielen Unsicherheiten unterliegt, eine gewisse Volatilität aufweist. Nach der Spitze im Februar kehrte der VIX-Index übrigens wieder auf ganz gewöhnliche Niveaus zurück. Das eigentliche Marktrisiko für Anleger liegt woanders. Es findet sich in tiefen Brüchen, die ausreichen, um bisweilen über Jahre hinweg angesammelte Ersparnisse zu gefährden. Solche Ereignisse an den Aktienmärkten, die noch in Erinnerung sind, waren der Börsencrash vom Oktober 1987, der Einmarsch des Irak in Kuwait im August 1990, das Platzen der Internetblase 2002 und natürlich die Krise von 2008. Ohne die Parallelen zwischen ganz verschiedenen Situationen übertrieben darstellen zu wollen, ist bei diesen Ereignissen dennoch eine deutliche Destabilisierung von offensichtlich fest etablierten Gleichgewichtssituationen zu erkennen. Man kann in diesen Phasen hoher Stabilität sogar den Ursprung, wenn nicht die Ursache einer starken Anfälligkeit für äußere Einflüsse erkennen: Diese sind häufig sehr schwer vorherzusagen. Bei einer Untersuchung der aktuellen Marktrisiken sollten demnach die möglichen Faktoren einer Destabilisierung der langen, ertragreichen Genesungsphase der Märkte nach 2008 in den Blick rücken.
Geht man davon aus, dass die außerordentliche Intervention der Zentralbanken der Hauptgrund für das Wohlbefinden der Märkte seit 2009 gewesen ist, gilt ihre veränderte Politik als Hauptrisiko für eine Destabilisierung. Die Zentralbanken kauften seit 2009 für 11.000 Milliarden Dollar Wertpapiere. 2018 wird die Fed Wertpapiere für 400 Milliarden verkaufen, und die Europäische Zentralbank dürfte ihre Käufe schrittweise auf null verringern. Angesichts einer immer noch überschuldeten Welt, stellt diese Trendumkehr vor allem ein Risiko für die weitere Stabilität dar. Die Intervention der Zentralbanken hatte eine weitere indirekte Folge, nämlich die Vertiefung der Ungleichheit zwischen den Besitzern von Finanzvermögen, die vom Anstieg der Märkte profitierten, und den einfachen Arbeitnehmern, die keine Verbesserung ihres Lebensstandards feststellten. Diese Vertiefung begünstigte neben weiterer Faktoren das Aufkommen mächtiger Protestbewegungen. Im übrigen knüpft aus diesem Blickwinkel der Ausgang der jüngsten Wahlen in Italien an die Wahl Donald Trumps in den USA 2016 an. Diese Bewegungen tendieren dazu, das Credo des wirtschaftlichen Liberalismus und der Globalisierung zugunsten des Keynesianismus und des Protektionismus in Frage zu stellen. Sie sind in diesem Sinne für die Märkte eine Bedrohung des Gleichgewichts, das sie seit vielen Jahren trägt. Zum Glück für die Anleger sind die Mikroökonomie (Unternehmen) und die Makroökonomie (Volkswirtschaften), der eigentliche Motor der Märkte, der im Stande ist, diese Risiken zu überwinden. Solange dieser Motor der Wirtschaft rund und auf allen Zylindern läuft, können die Märkte mit vielen hypothetischen Bedrohungen zurechtkommen. Heute ist dies noch der Fall. Aber man muss sich im Klaren sein, dass die nächste Konjunkturverlangsamung diese Instabilität zutage fördern wird."
Didier Saint-Georges, Managing Director und Mitglied des Investmentkomitees, Carmignac
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