Obwohl das Jahr noch so jung ist, hat sich für mich bereits ein eindeutiger Favorit für das Wort des Jahres 2019 herauskristallisiert, nämlich: Fassungslosigkeit! Wie eine ganze Nation bin auch ich fassungslos, wie man ein Projekt, wenn man es so bezeichnen kann, so unfassbar (auch so ähnlich ;-)) schlecht managen kann wie den Brexit. Angefangen mit dem Verursacher David Cameron - wo ist der eigentlich untergetaucht ? - über die Befürworter Johnson und Farage, wovon erster immer noch versucht etwas zu werden, aber wohl über seine Libido gestolpert sein dürfte und der andere immer noch auf einem EU Ticket sitzt, bis hin zu Frau May und ihrer Entourage werden wohl die Protagonisten als Role-Model und die ganze Sache im allgemeinen als Lehrbeispiel, wie man auf politischem Wege was versemmeln kann, in die Geschichte eingehen. Das gilt, und das ganz explizit, einmal nur für den Prozess, wobei das Ergebnis, so wir in absehbarer Zeit eines sehen werden, wird wahrscheinlich mittelfristig auch kein besonders favorables sein. Das kurzfristig in jedem Fall schon den Bach hinunter getriebene Geld, wird man sowieso der Rubrik Sunk-Costs zubuchen müssen…
Fassungslos machen einen natürlich aber nicht nur die Briten. Hatte ich gestern das Glück mit Vertretern sowohl eines russischen als auch eines chinesischen Assetmanagers sozusagen am gleichen Tisch zu sitzen, wurde eines neben, der natürlich zum Teil divergierenden Eigen- und Fremdeinschätzung zum eigenen Haushalt ganz deutlich: Sowohl Russland als auch China nehmen sich selbst, sich gegenseitig und die USA als wichtige Wirtschaftsräume wahr. Danach kommt länger nichts und dann kommen europäische Einzelstaaten wie Deutschland und Frankreich. Die EU in ihrer Gesamtheit ist null Thema.
Wie man sich als einer der drei größten Wirtschaftsräume so unfassbar schlecht positionieren kann, dass man vom freundlichen Mitbewerb, dem man nota bene in keinerlei Hinsicht und Maßzahl, außer vielleicht China bei der Gesamtbevölkerung ;-), irgendwie nachsteht, kann einen eigentlich nur fassungslos machen, oder?!
Schuld sind wir Europäer daran zweifelsohne selber, denn jedes Volk bekommt die politische Vertretung, die es verdient bzw. wählt. Eine Diskussion darüber, ob alle Menschen über alles abstimmen müssen, obwohl sie die Tragweite der meisten Entscheidungen unter Umständen vielleicht nicht ganz fassen können, weil die Fassungslosigkeit ja nichts ist, was nur die Ökonomen unter uns befällt, ist eine Diskussion, die in einer repräsentativen Demokratie zu führen, wahrscheinlich eher unpopulär ist, oder. ;-) Worüber man aber laut nachdenken sollte, ist ob man die Politik nicht zur Wahrheit verpflichten sollte.
Hören sie es auch das ungläubige Kopschütteln?! *lol* Das hieße ja einen ganzen Berufsstand arbeitslos zu machen. Naja, wenn´s denn sein muss! :-)
Bevor wir noch kurz zum Markt zurückkommen, noch ein paar Sätze zur Inkarnation der Fassungslosigkeit: DJ Trump. Seit nunmehr 32 Tage befinden sich rund 800.000 US-Staatsbedienstete im Zwangsurlaub oder arbeiten unbezahlt, nur weil seine Einfältigkeit meint, eine Mauer bauen zu müssen, weil, wie wir uns ja aus dem Wahlkampf erinnern können, er von Construction, wenn schon von sonst nicht viel, ja was versteht. Die ganze Geschichte spottet per se schon jeder Beschreibung, die Implikationen auch auf das amerikanische Wirtschaftswachstum werden jedenfalls spürbar sein. Entgeht dem Konsum nicht nur das Einkommen besagter 800k Menschen, hängen natürlich auch eine Reihe von Zulieferbetrieben vom Sandwich-Bringer bis hin zum Bleistiftproduzent etc. von der Nachfrage in den staatlichen Entitäten ab. Dürften die Staatsdiener ihren Lohn nach Beendigung des Shut-Downs nachgezahlt bekommen, wird den Verdienstentgang der Subcontractor keiner auffangen. Fassungslosigkeit? Unter den Unternehmen die zusperren müssen sicher!
Der Markt beobachtete die Angelegenheit bisher mit professioneller Gelassenheit bzw. nach dem doch etwas schwierigen Dezember durchaus mit einer hoffnungsfrohen Gegenbewegung. Ob und in wie weit diese gerechtfertigt ist bzw. war, wird sich in den nächsten Tagen weisen. Aktuell mehren sich die Anzeichen, nicht zuletzt aus China, dass wir es doch mit einer gewissen Nachhaltigkeit bei der Abkühlung zu tun haben könnten. Wohl nirgendwo sonst als auf den Aktienmärkten liegen Euphorie und Fassungslosigkeit näher beieinander….
Florian Gröschl, Geschäftsführer und Miteigentümer der Absolute Return Consulting GmbH
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