"Bei Disruption handelt es sich um einen Prozess, bei dem ein bestehendes Geschäftsmodell oder ein gesamter Markt durch eine bahnbrechende Erfindung abgelöst bzw. „zerschlagen“ wird. Abgeleitet ist der Begriff vom englischen „disrupt“, was so viel wie „zerstören“, „unterbrechen“ oder „aufbrechen“ bedeutet.
Die Idee einer schöpferischen oder kreativen Zerstörung tauchte zwar bereits Mitte des 19. Jahrhunderts bei Karl Marx auf, jedoch erst im Jahr 1997 bezeichnete der in Harvard lehrende Wirtschaftswissenschafter Clayton M. Christensen die radikale Veränderung eines Marktes erstmals als „Disruption“. Große Unternehmen werden dabei plötzlich durch eine revolutionäre Entwicklung bedroht und sehen sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, ein bestehendes Geschäftsmodell von Grund auf zu verändern. Doch genau das stellt Unternehmen oftmals vor unlösbare Probleme, und so werden etablierte und bislang erfolgreiche Firmen einfach vom Markt verdrängt.
Innovation oder Disruption?
Nicht jede Innovation führt zu einer Disruption. Der Unterschied zwischen einer normalen und einer disruptiven Innovation liegt in der Art der Veränderung. Während bei ersterer ein Produkt oder ein Markt lediglich weiterentwickelt wird, kommt es bei letzterer zu einer Neuentwicklung mit ganz neuen Ansätzen und damit zur Zerschlagung des bestehenden Modells.
Ein Beispiel hierfür ist der Musikmarkt: Während die Erfindung der CD lediglich eine Weiterentwicklung der Schallplatte bedeutete, kam es mit dem Entstehen von Online-Musikvertrieben und -Tauschbörsen zu einer schrittweisen Zerschlagung des herkömmlichen Musikgeschäftes. Die im Jahr 1999 gegründete Tauschbörse Napster ermöglichte es, Musikstücke auf dem eigenen Rechner für andere freizugeben. Ganze Plattensammlungen konnten so untereinander getauscht werden. Der Erfolg war enorm – 80 Millionen Musikbegeisterte weltweit nutzten diese Möglichkeit. Nach verlorenen Copyright-Prozessen wurde dieser kostenlose Dienst bereits 2001 wieder eingestellt. Der Musikmarkt wurde dennoch komplett verändert. Die CD-Verkäufe brachen weg, und die Nachfrage nach physischen Tonträgern liegt nunmehr bei einem Fünftel von jener im Jahr 1999. Konsumenten können Musik nun online erwerben, und Musiker schaffen es auch ohne Plattenfirma, erfolgreich zu sein – Plattenfirmen und Händler werden damit zunehmend überflüssig. Heute dominieren Musik-Streaming-Dienste wie Spotify, Deezer oder Apple Music den Markt.
Prominente Beispiele
Das Auto
Mit der Zeit werden diese innovativen Entwicklungen jedoch entweder vergessen oder bleiben mit einem Gefühl der Nostalgie in Erinnerung. Wie heute beispielsweise alte Schwarz-Weiß-Fotografien betrachtet werden, die Autos und von Pferden gezogene Karren zeigen. Nach der ersten modernen US-Autoshow im Jahr 1900 in New York, dauerte es damals gerade acht Jahre, um die Anzahl der Autos derer der Pferde in der Stadt anzugleichen. Weitere fünf Jahre später waren die Vierbeiner fast gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden und damit auch die komplette Wertschöpfungskette, entlang der damaligen Pferdeversorgung.
Digitale Fotografie
Kopfschütteln löst die Erklärung der analogen Fotografie – vom Einlegen eines Films bis zu dessen Entwicklung im Fotolabor – inzwischen aus. Mittlerweile ist es unvorstellbar, dass man das Bildergebnis nicht sofort überprüfen kann, dass mehrfaches Auslösen der Kamera zusätzliche Kosten verursacht und dass das Bild nicht umgehend weiterverarbeitet und versendet werden kann. Für Unternehmen wie Kodak, Agfa oder Fuji bedeutete die Entwicklung der Digitalfotografie das Ende einstiger Marktführerschaft.
Das Internet
Ebenso wie die Fotografie erfuhr auch der Vorgang der Wissensaneignung eine grundlegende Erneuerung. Früher ging man in die Bibliothek oder nutzte ein Lexikon. Im Jahr 2014 stellte Bertelsmann die Produktion der 30-bändigen Brockhaus Enzyklopädie ein, womit eine 200-jährige Ära zu Ende ging. Wikipedia bzw. das Internet im Allgemeinen stellen nahezu unbegrenztes Wissen zur Verfügung und ersetzen das Druckwerk. Mit Sprachassistenten wie Siri, Alexa oder Google Assistant wird die Aneignung von Wissen noch leichter. Zusätzlich steht damit ein mobiler Assistent für Haus, Garten, Auto etc. zur Verfügung.
Das iPhone
Übrig bleibt manchmal nur entsetztes Staunen, wie etwa bei Nokia, dessen Geschäftsführer Stephen Elop eine Pressekonferenz mit Tränen in den Augen sowie mit den Worten beendete: „Wir haben nichts falsch gemacht, aber irgendwie haben wir verloren.“ Nokia konnte den Touchscreens von Apple und deren neuer App-Struktur nichts entgegensetzen und scheiterte darüber hinaus an fehlender Softwarekompetenz. Die durch neue Betriebssysteme ausgelöste Veränderung des mobilen Telefons hin zu kleinen Computern wurde im Unternehmen nicht nachvollzogen. Die Mobilfunksparte von Nokia wurde schlussendlich an Microsoft verkauft.
Disruption ist überall
Große, etablierte Unternehmen verkennen oftmals das Wachstumspotenzial von Nischenangeboten und scheuen das Risiko, sich damit auf dem Markt zu positionieren. Ob zum Beispiel der 3-D-Druck klassisches Drehen, Fräsen oder Gießen ablösen kann, lässt sich noch nicht mit Sicherheit voraussagen. Vielleicht besitzen aber bald viele Privathaushalte einen eigenen 3-D-Drucker, mit dem bestimmte Gegenstände dann einfach zu Hause selbst hergestellt werden können.
Doch was hat beispielsweise ein Barkeeper mit der Disruption zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Dabei ist bereits der erste vollautomatische Bartender am Markt erhältlich. Ausgestattet mit zwei Robotergreifarmen, 158 Spirituosen, zwei LCD-Screens und anderen Gadgets kann eine Einheit 80 Cocktails in der Stunde produzieren. Und in San Francisco existiert ein Burger-Lokal, welches ohne Koch auskommt. Ein „Burger-Automat“ übernimmt sämtliche Arbeitsschritte.
Vermutlich werden diese technischen Erfindungen den Menschen als Barkeeper oder Koch nicht unmittelbar ablösen, aber sie zeigen auf, dass Disruption heute allgegenwärtig ist.
Disruption – heute und in der Zukunft
Die zuvor genannten Beispiele betreffen den Bereich Essen, Ernährung und Tabak. Das Segment steht exemplarisch für zahlreiche Sektoren, welchen von der Disruption betroffen sind. Nachstehend eine Übersicht.
Amazon
Ein aktuelles Paradebeispiel für die Disruption ist Amazon, der Konzern gibt mittlerweile den Takt in vielen Bereichen an. Der Anteil von Amazon am US-Retailmarkt steigt stetig – betrug der Anteil 2012 nur etwas mehr als 2%, waren es 2018 bereits mehr als 6,5%. Der Marktanteil von Amazon am Online-Markt liegt derzeit hingegen schon bei fast 50%. Weniger bekannt ist, dass der Online-Gigant darüber hinaus ein enorm zugkräftiges Standbein mit seinem Web-Service-Angebot (IT-Infrastruktur auf Abruf) aufgebaut hat.
Netflix, YouTube & Co.
Klassische Medien geraten immer stärker unter Druck, da einerseits die Nutzerzahlen deutlich rückläufig sind und andererseits Werbung im digitalen Umfeld genauer und damit kostenschonender zur Zielgruppe durchdringt. In den USA verbringen Internetnutzer derzeit rund 82 Minuten pro Tag damit, sich digitale Videos anzusehen. Eine 18-fache Steigerung seit dem Jahr 2008. Lineare TV-Angebote verlieren seit 2012 hingegen deutlich Marktanteile und auch für 2019 wird in den Vereinigten Staaten wieder ein Rückgang von 4% prognostiziert.
5G – der neue Mobilfunkstandard
Wie bereits im Schöllerbank Analysebrief Nr. 365 Anfang Mai ausgeführt, wird die Einführung von 5G in der Telekommunikation viele Anwendungsmöglichkeiten mit sich bringen. Die Erwartungen der Industrie und Wirtschaft an die neue Technik sind groß. 5G bietet wesentlich höhere Datenübertragungsraten und größere Kapazitäten. Die Anwendungsgebiete der fünften Mobilfunkgeneration sind definitiv disruptiv: autonomes Fahren, Hologrammtelefonie, Gesundheitsdaten mit Echtzeitanalyse etc. Für zahlreiche Experten gilt 5G deshalb bereits heute, zusammen mit der Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz, als Haupttreiber für die Wirtschaft in der kommenden Dekade.
Disruption an der Börse
Es gibt viele Beispiele, wie disruptive Innovationen Märkte aufbrechen und ganze Branchen nachhaltig verändern können. Allen gemeinsam ist, dass diese disruptiven Prozesse, durch den hohen technologischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte, einfacher und deutlich schneller voranschreiten. Das ist auch an der Börse zu beobachten. Während im Jahr 1957 das durchschnittliche Alter eines Unternehmens, welches neu in den S&P 500 Index aufgenommen wurde, 75 Jahre betrug, lag das Durchschnittsalter im Jahr 2013 bei nur mehr zehn Jahren. Disruption gibt es aber nicht nur in Zusammenhang mit dem technologischen Wandel. Auch im geschäftlichen, industriellen und sozialen Sektor kann es zu Disruption kommen, wie beispielsweise der Übergang von monarchischen Strukturen zur Demokratie oder bei der Etablierung neuer Lebenswirklichkeiten, wie beispielsweise von Smart Spaces.
Das Unternehmen als Festung – wie man seine Investments vor Disruption schützen kann
Nur Unternehmen, die über langfristig verteidigbare Wettbewerbsvorteile verfügen, kommen in der Schoellerbank Vermögensverwaltung zum Einsatz. Nur diese Unternehmen werden auch in der Lage sein, kontinuierlich mehr als ihre Kapitalkosten zu verdienen. Ohne Wettbewerbsvorteile werden diese Profite durch Angriffe von Mitbewerbern geschmälert oder sogar dezimiert. Das ist auch der Grund, warum der legendäre Investor Warren Buffett diesen langfristig verteidigbaren Wettbewerbsvorteilen die Bezeichnung „moat“ (Burgraben) gab. Die langfristig verteidigbaren Wettbewerbsvorteile sind also so etwas wie der Verteidigungsgraben, der die Unternehmensfestung umgibt, um andere Marktteilnehmer davon abzuhalten, die eigene Ertragskraft zu schmälern.
Ein Beispiel für einen langfristig verteidigbaren Wettbewerbsvorteil ist etwa die Netzwerktechnik von Cisco. Das Unternehmen ist klarer Marktführer in diesem Wachstumsmarkt. Kunden schätzen vor allem die Zuverlässigkeit der Produkte. Da die Vernetzung in Unternehmen stetig zunimmt, können Störungen zu erheblichen Problemen bei der täglichen Arbeit führen. Die Geräte von Cisco wurden weltweit millionenfach über mehrere Jahrzehnte getestet. Für viele IT-Verantwortliche ist dies ein triftiger Grund, den Marktführer zu wählen. Neben dem Vertrauen in die Marke Cisco bringen auch Umstellungskosten erhebliche Wettbewerbsvorteile mit sich. In unzähligen Unternehmen sind bereits Produkte des Unternehmens installiert. Ein Wechsel des Anbieters brächte Risiken. Neben der Produktion von Hardware hat Cisco in den vergangenen Jahren verstärkt auf Software und Lizenzen gesetzt. Sicherheit wird großgeschrieben. Für viele Kunden ist eine integrierte Lösung vom Markt- und Technologieführer die Antwort auf diese Sorgen. Cisco hat ständig in Forschung und Entwicklung investiert und gehört zu den klaren Technologieführern in seiner Sparte. Zudem kaufen die Kalifornier auch regelmäßig kleine, innovative Firmen und integrieren deren Produkte in das eigene Produktangebot.
Investmentmöglichkeiten – wie man bei der Geldanlage von der Disruption profitieren kann
Als Anleger sollte man sich mit dem Thema Disruption auseinanderzusetzen. Bei nachhaltigen Investoren ist beim Thema Disruption ohnehin unabdingbar, die wichtigen Kriterien im Aktienbereich einzuhalten. Die Anlageexperten der Schoellerbank sind deshalb stets auf der Suche nach Aktien mit einem etablierten Geschäftsmodell, die profitabel sind, solide Bilanzen vorweisen können und zu einer fairen Bewertung gehandelt werden. Darüber hinaus gilt es auch permanent zu hinterfragen in welche Richtung sich ein Geschäftsmodell entwickelt, um nicht vom Markt verdrängt zu werden.
Darüber hinaus investieren die Anlageexperten der Schoellerbank Invest AG mit dem Dachfonds All Trends auch aktiv in das Thema Disruption. Gerade im Bereich Technologie und Sicherheit ist die Gewichtung prominent. Aber auch über den Bereich Alter und Gesundheit lässt sich ein Konnex zu disruptiven Tendenzen herstellen.
Fazit:
Anleger sollten das Thema Disruption bei ihren Anlageentscheidungen mitbedenken. Vor allem durch den immer schneller werdenden technologischen Fortschritt, gelingen revolutionäre Einschnitte bei bestehenden Marktstrukturen heute leichter als früher. Auch Innovationen sind ein wesentlicher Baustein des disruptiven Wachstums. Dadurch entstehen neue Märkte und Wertschöpfungsnetzwerke. Etablierte marktführende Unternehmen, Produkte und Allianzen werden hierdurch zusehends verdrängt.
Nur Unternehmen, die bereits heute über langfristig verteidigbare Wettbewerbsvorteile verfügen, werden es auch in Zukunft schaffen, mit den disruptiven Vorgängen Schritt zu halten. Langfristige verteidigbare Wettbewerbsvorteile sind deshalb für die Schoellerbank Anlageexperten im Rahmen des hausinternen Schoellerbank Aktien-Ratings eine unabdingbare Voraussetzung bei der Titelauswahl. Dabei wird auch laufend analysiert, in welche Richtung sich ein Geschäftsmodell weiterentwickeln könnte, um nicht vom Markt verdrängt zu werden. Zudem kann mit dem Dachfonds All Trends der Schoellerbank Invest AG auch aktiv in den Bereich Disruption investiert werden. Gerade in den Sektoren Technologie und Sicherheit ist die Gewichtung prominent. "
Gertraud Dürnberger, CPM, Fondsmanagerin
Bernhard Spittaler, CPM, Fondsmanager
Schoellerbank Invest AG
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