Wieder ist eine Woche ins Land gezogen und die Welt hat sich, welch eine Überraschung ;-), weder gebessert noch ist sie in die Luft geflogen (wobei mich das ja von Tag zu Tag mehr überrascht). Das, während die ganze Welt permanent und an allen Ecken und Enden über Disruption, disruptive Technologien etc. spricht. Eh super. Der Kollege Schumpeter war das, glaub ich, mit der kreativen Zerstörung, oder?! Die Geschichte, dass sich Gesellschaften durch Technologien ändern, die manchmal langsamer, manchmal schneller in ökonomische und soziale Aspekte unseres Daseins eindringen, ist also eine ziemlich alte. Das insbesondere in unserer Industrie oftmals versucht wird, eine thematische Welle weit über die Grenzen des Sinnvollen zu reiten ist auch nichts Neues. Aber sei´s drum, leben wollen wir ja alle, Disruption hin oder her… :-)
Was - zumindest meinem Gefühl nach - aber oftmals mitschwingt, wenn über Disruption gesprochen und geschrieben wird, ist – zum Teil auf einem durchaus niederschwelligen Niveau – , dass wir eigentlich Angst haben müssten, weil wir das alles nicht verstehen werden, es ohnehin viel zu schnell geht und überhaupt ab jetzt sowieso alles anders wird. Nun, da bin ich nicht ganz sicher, ob das stimmt. ;-) Zumindest nicht in Bezug auf technologische Entwicklungen, sehen wir mal davon ab, dass wir es mittelfristig durchaus mit Skynet zu tun bekommen könnten. Aber langer, zugebener Maßen etwas konstruierter, Einleitung kurzer Sinn: die wirkliche Disruption und zwar die, vor der wir uns wirklich fürchten müssen, findet auf politischer Ebene statt.
Was nämlich gerade passiert, ist, dass vorrangig in den USA und im Vereinigten Königreich, zwar nicht die Demokratie abgeschafft wird (noch nicht? ;-)), aber die Institutionen, die das Volk vor zu viel direkter Einflussnahme, ie vor sich selbst, schützen, sollen ausgehebelt werden. Johnson auf der Insel scheint genau wie sein amerikanischer Counterpart kaum Interesse zu haben sich an Gesetze zu halten, wenn sie seinen Ideen entgegenstehen. Legitimieren tut er das ex ante mit dem Willen des Volkes, den er jederzeit in einer Wahl testen wollen würde. Tatsächlich würde er diese dann wohl auch gewinnen, weil, und hier schlagen wir die Brücke zu den disruptiven Technologien (Facebook und so ;-)), durch die direkte Kommunikation der politischen Führer mit ihren Wählern sich ein Trend ganz klar abzeichnet: das Vertrauen in Institutionen ist klar einem Vertrauen in Einzelpersonen gewichen, was in der Geschichte ja nicht immer gut gegangen ist. ;-)
Das lässt sich selbstverfreilich nicht nur im anglo-amerikanischen Raum beobachten, weil, wie hätte sonst ein Herr Strache (erinnern wir uns noch an ihn? ;-)) nach der Öffentlichwerdung des Ibiza Videos mehr als 30.000 direkte Vorzugstimmen bekommen können. Naja und KK lebt auch nicht nur davon, dass die ÖVP soo eine tolle Partei ist, die noch soo viel Stammwähler hat. Zum Problem wird das Ganze dann, wenn die parlamentarischen Kontrollmechanismen untergraben oder ausgeschaltet werden und man sich zum Prime Minister/Präsididenten (wiewohl der Titel hier vollkommen austauschbar ist, Kanzler, Kaiser, König…. Nur Führer geht eventuell nicht so gut, wenn man seine Absichten länger verschleiern will. ;-)) krönen lässt und dann natürlich alle Möglichkeiten eines gepflegten Cover Ups hat.
Die Geschichte ist dabei auch eine durchaus menschliche: Je wahrscheinlicher die einzelnen Proponenten der unterstützenden Parteien (Tories wie Republikaner etc) den Machterhalt ihres Primus einschätzen, desto eher werden sie bereit sein, die Wahrheit und ihr Rückgrat (so sie denn noch eines haben) zu biegen, denn wer will am nächsten Morgen schon auf der Verliererseite aufwachen (oder eben nicht, wie das in weniger friedliebenden Jurisdiktionen zu weilen angeblich vorkommen soll…) Klar ist natürlich auch, dass das Pendel ganz schnell in die andere Richtung schwingen kann, wenn die Macht einmal zu bröckeln beginnt.
Im Fall der USA sagt der Bauch, der als Indikator ja nie zu unterschätzen ist ;-), dass die Chance dort durchaus lebt, weil der Unaussprechliche mit zunehmenden Druck eventuell doch noch völlig austickt. Dem Briten würde ich da schon mehr taktisches Geschick attestieren… Was bleibt ist die Hoffnung und der Glaube ans System. *lol* Nein, gar nicht zynisch, solzialromantisch würd ich sagen.
Was tut sich sonst noch? Hongkong, Syrien/Türkei, schlechter werdende Konjunkturindikatoren und allgemeine Ratlosigkeit. :-) Abgesehen von der potentiellen disruptiven politischen Situation, haben die Zentralbanken durch die beispiellose Liquiditätsschwämme der letzten zehn Jahre auch für einer ganz gewaltige Disruption gesorgt, die bzw. deren Auswirkungen allerdings auch erst noch an die Oberfläche dringen muss: Noch nie in der Geschichte gab es eine Periode in der sich Unternehmen, auch wenn sie es nicht verdient hätten, so billig finanzieren konnten. Ein schlechtes Unternehmen bleibt nämlich - und da vertraue ich durchaus auf die Überzeugung meiner geschätzten Aktienfondsmanager Kollegen - ein schlechtes Unternehmen, mit oder ohne billigem Geld. Es dauert halt nur ein bisserl länger und es hat fraglos größere Auswirkungen, wenn es dann soweit ist…
Warum ist das Glas heut besonders dreiviertel leer (anstatt viertel voll)? Naja, jünger werden wir alle nicht…. ;-) Und aus!
Florian Gröschl, Geschäftsführer und Miteigentümer der Absolute Return Consulting GmbH
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