Die Angst vor einer Rezession wiegt offensichtlich schwer. Aber ein solch abrupter und dramatischer Markteinbruch ist ohne Einbeziehung von psychologischen Aspekten nicht zu verstehen.
Zunächst einmal bildet die Ausbreitung der Pandemie in jedem betroffenen Land eine einheitliche, glockenförmige "Epidemie"-Kurve, die zunächst eine exponentielle Wachstumsrate aufweist. Doch selbst mit diesem objektiven, statistischen Wissen scheinen die täglich veröffentlichten Zahlen die Menschen, auch die Finanzmarktteilnehmer, immer noch zu überraschen. Absurd, aber wahr: die sich abzeichnende Beschleunigung sorgt etwa wie in den Vereinigten Staaten nach wie vor für Erstaunen - was erklärt, warum die Reaktionen so langsam erfolgten, oft an Panik grenzten und in jedem Fall suboptimal waren.
Zweitens müssen wir die Entwicklung der Stimmung berücksichtigen. Es ist die Zuversicht der Anleger, welche die wirtschaftliche Erwartungen in konkrete Marktbewegungen umwandelt. Nun hatten die Anleger mehr als ein Jahrzehnt lang guten Grund zu der Annahme, dass die Wirtschaft im Laufe der Zeit stabil und die Zinssätze niedrig bleiben würden, da diese Ergebnisse durch die ultimativen Belege der Glaubwürdigkeit - die Zentralbanken selbst - garantiert wurden. Die Bewertungen für buchstäblich alle Finanzanlagen waren nur wenige Tage, bevor die Coronavirus-Bedrohung erkannt wurde, auf Rekordhochs gestiegen. Noch besser - oder eher noch schlechter - diese beruhigend vorhersehbaren Trends ermutigten eine steigende Flut von Anlegern, sich Geld für die Nutzung dieser Chancen zu leihen.
Kein Begriff fasst die Situation zu Beginn des Jahres 2020 besser zusammen als die Fragilität. Die Party hätte durchaus noch eine ganze Weile weitergehen können - das heißt, solange kein brutaler Schock eintreffen würde. Und nun: Wer kann sich aber einen brutaleren Schock vorstellen als den Lockdown von fast der Hälfte der Weltbevölkerung?
Didier Saint-Georges, Mitglied des Investmentkomitees, Carmignac
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