Wirecard – was sonst dieser Tage, wenn´s nicht Covid-19 ist. ;-) Wobei einen kurzen Ausflug zur Dateninterpretation muss ich schon noch machen, aber dazu später. Also: Ist schon recht stark, wie hier aus einem Pornoseitenbetreiber ein Dax30 Unternehmen gemacht wurde, in dessen Bilanz man offensichtlich relativ problemlos die Nichtexistenz von € 1.9 Mrd. verschleiern konnte. (Wenn sie denn nicht doch noch wo auftauchen, wobei davon wohl nicht auszugehen ist.) Die Geschichte reiht sich mithin in die Kategorie Worldcom, Enron und Madoff ein, was per se schon eine gewisse Leistung darstellt. ;-)
Betrug ist leider etwas, das immer wieder vorkommt und wohl auch nicht gänzlich zu vermeiden ist. Spannend wird jetzt natürlich sein, aufzuarbeiten, wer da aller inwieweit unter einer Decke steckt. Die Bandbreite reicht hier sicher von proaktiver Tätigkeit bis zu (un)qualifiziertem Wegschauen und dürfte sich von den Rating-Agencies, die ja seit 2008 unsere speziellen Freunde sind, über die Wirtschaftsprüfer zur Aufsicht bis in die Politik ziehen. An dieser Stelle muss wohl eine Lanze für den Qualitätsjournalismus gebrochen werden, denn ohne diesen wäre es nicht zur Aufdeckung gekommen! Vielleicht tun wir doch hie und da eine Zeitung kaufen und uns nicht nur in diversen gratis Medien und Blogs informieren. Hier gilt das alte österreichische Sprichwort „Was nix kost, ist nix wert!“ wohl mehr als irgendwo anders.
Ein weiterer spannender Aspekt, den solche Geschichten immer mit sich bringen, ist die tägliche wachsende Anzahl von Expert*innen, die´s eh immer schon ganz genau gewusst haben, dass da was faul ist, aber sich halt nicht getraut haben, was zu sagen. Auch das kennen wir seit den Bernie´schen Katastrophen natürlich schon zur Genüge. Tatsächlich ist abzusehen, dass sehr bald in den Präsentationen diverser Assetmanager Prozess-Folien auftauchen werden, dass sie ja das immer schon so analysiert haben, dass eine Investition in Wirecard nie hätte stattfinden können. ESG haben ja eh auch alle schon immer gemacht, es ist quasi in unserer (der Asset Management Industrie) DNA, dass wir alles - bis auf ein paar traurige Ausnahmen – eh schon immer gemacht und gewusst haben bzw. wahrscheinlich haben wir´s ja sogar erfunden. ;-)
Nun, ist das natürlich bei Hedgefund-Investitionen relativ leicht, weil da muss ja wirklich nicht jeder mitspielen, wobei die Publikumsbeteiligung in Österreich bei so Geschichten dann doch immer recht hoch ist. Bei einem DAX30 Unternehmen aktiv (oder passiv) „Nein“ zu sagen ist hingegen schon eine ganz andere Geschichte. Insbesondere die potentiellen Schadenersatzansprüche diverser Geschädigter könnten sich gegen ein breites Feld von Beteiligten richten. Übrigbleiben werden mit großer Wahrscheinlichkeit, neben den Initiatoren der Unregelmäßigkeiten, die Wirtschaftsprüfer. Dass die Politik, die Ratingagenturen und Aufsichten Verantwortung übernehmen, ist leider historisch betrachtet eher unwahrscheinlich. Für das Image des ehemaligen Vorzeigekandidaten Deutschland, was Korrektheit, Organisiertheit und Sauberkeit anbetrifft, ist das leider nur ein weiterer Stein, der sich aus dem Mosaik der Ordnung in Richtung entropischen Chaos löst. Die Schlachthofgeschichte kann uns ja eigentlich auch nicht mehr wurscht sein, oder? Deutschland als Role Model für ein Land der Decling Markets der alten Welt?
Apropos Declining: – schon wieder so ein schöner Brückenschlag :-) - Wir sehen jetzt allenthalben total überraschend bessere Daten bei Arbeitslosenraten, neugeschaffenen Stellen, Konjunktur-Stimmungsumfragen etc., die alle scheinbar die V-Shaped Recovery Theorie zu untermauern scheinen. Tatsächlich fürchte ich, dass wir uns hier genüsslich ins eigene Taschl lügen, denn damit, dass die Welt kurzfristig nicht enden wird, war irgendwie schon zu rechnen und, dass der Konsum und mithin alles damit Verbundene wieder langsam zurückkommt, wenn die Lock-Down Maßnahmen gelockert werden, war irgendwie auch zu erwarten. Vergessen wir dabei aber bitte nicht, dass die Basis schon eine sehr niedrige, die Virus-Geschichte weit ab von erledigt ist und die Kurzarbeits-Schemata auch irgendwann enden werden und, wenn die Unternehmen/Tourismusbetriebe dann noch immer kein G´schäft machen, die Leute erst recht freigesetzt werden. Last but not least – wer, glauben wir, wird momentan Umfragen zur Geschäftsentwicklung beantworten? Die Unternehmen, die nach wie vor laufen, oder diejenigen, die gerade das vierte Mal das leicht abgeänderte Formular zur Beantragung von Kurzarbeit für ihre Mitarbeiter ausfüllen? – Abgerechnet wird immer erst am Schluss!
Geht alles erwartungsgemäß völlig den Bach runter? Nein, sicher nicht, aber Goldi-Locks, die wir, betrachten wir die Aktienmärkte, offensichtlich erwarten, sahen früher anders aus. Aber früher war ja bekanntlich alles besser! *lol*
Florian Gröschl, Geschäftsführer und Miteigentümer der Absolute Return Consulting GmbH
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