Ob dieser Optimismus anhält, ist schwer vorherzusagen, da zahlreiche Epidemiologen mit einer weiteren steigenden Zahl neuer Covid-19-Fälle rechnen, wenn sich die Wirtschaften wieder weiter öffnen. Nichtsdestotrotz glauben wir, dass die erste Hälfte des Jahres 2020 unsere These unterstützt, dass sich das längerfristige Muster der zügigen Erholung in Schwellenländer nach Krisen wiederholt. Dieses Muster analysieren wir und erläutern, inwiefern wirtschaftliche Veränderungen in Schwellenländern gute Aussichten für deren Aktien bieten können.
Erholung der Schwellenländer nach drastischem Einbruch
Da eine globale Rezession infolge der Pandemie erwartet wurde, fiel der MSCI Emerging Markets-Index zwischen 17. Januar und 23. März um etwa 33,9 %. Obwohl der Kursverlust dem des S&P 500 und des MSCI EAFE (Europa, Australien, Ferner Osten bzw. Industrieländer ohne USA) ähnelte, verzeichneten einige Schwellenländer stärkere Rückgänge, darunter Brasilien und Russland mit einem Minus von über 50 %. Nachdem der MSCI Emerging Markets-Index Ende März seinen Tiefststand erreicht hatte, erholte er sich bis zum 30. Juni um 31,2 %. Während die Pandemie in den Industrieländern generell abzuflauen scheint, breitet sich der Virus in vielen Entwicklungsländern – insbesondere in Brasilien und Indien – weiterhin aus: Der S&P 500 und der MSCI EAFE-Index outperformten die Schwellenländer seit ihrem Tief und erzielten bis zum 30. Juni einen Gewinn von 38,5 % bzw. 31,5 %.
Marktzyklen verstehen
Das gängige Muster, dass Schwellenländer-Wertpapiere nach einer größeren Krise stärker steigen als in den USA und anderen entwickelten Märkten, ist nicht ungewöhnlich. In Krisenzeiten suchen Investoren sichere Häfen wie US-Dollar, Treasuries und den Schweizer Franken. Diese Massenflucht wirkt sich auf die Markttauglichkeit für bestimmte Assets der Schwellenländer wie Aktien, Schuldverschreibungen und Währungen sowie Liquidität negativ aus, was den Kursrückgang noch verschärft. Zudem sind viele Entwicklungsländer vom globalen Wachstum und die Handelsströme abhängig und dementsprechend stärker auf Fremdfinanzierungen und Direktinvestitionen angewiesen. Diese Faktoren wiederum können negative Nachrichten über das globale Wachstum und andere Faktoren noch verstärken, was zu einer negativen Rückkopplung führt.
Ungeachtet dieser Befürchtungen, die größtenteils durch aktuelle und längerfristige strukturelle Mängel und Probleme unterstützt wurden, ist es aus Anlegersicht normal, Schwellenländer-Aktien schnell abzustoßen. Diese Überreaktion ermöglicht es Aktien, sich überproportional zu erholen. Historisch betrachtet outperformen Schwellenländer 12 bis 18 Monaten nach dem Höhepunkt einer Krise die USA und andere Industrieländer. Dabei sollten wir uns folgendes in Erinnerung rufen:
- Während der SARS-Epidemie Anfang 2003 schnitten Aktien aus der von der Krise am stärksten betroffenen Länder unterdurchschnittlich ab, erzielten aber in den folgenden 12 Monaten eine starke absolute und relative Performance. China, Taiwan und Südkorea waren von SARS am stärksten betroffen, was sich an den Rückgängen der MSCI-Indizes in Dollar um 15,3 %, 19,0 % bzw. 31,3 % von ihren entsprechenden Höchstständen im Dezember 2002 und Januar 2003 auf ihre Tiefststände im März und April 2003 zeigte. Im Gegensatz dazu fiel der S&P 500 in den USA zwischen 14. Januar und 5. März 2003 um 14,0 %. Als SARS den Höhenpunkt erreichte, begannen sich die Märkte in China, Taiwan und Südkorea zu erholen. In den folgenden 12 Monaten, in denen Anfang März 2004 in allen vier Ländern Spitzenwerte bei Aktien erreicht wurden, waren die Gewinne wie folgt: MSCI China 106,1 %; MSCI Taiwan 77,9 % und MSCI Korea 95,4 %. Der S&P 500 erzielte vom Tiefststand 2003 bis zum 4. März 2004 einen Gewinn von 44,5 %.
- Während der Weltfinanzkrise erreichten die Schwellenländer-Aktien Ende Oktober 2008 ihren Tiefststand, wobei der MSCI Emerging Markets-Index einen Verlust von 66,1 % gegenüber dem Vorjahr verzeichnete. Die Industrieländer verzeichneten geringere, aber immer noch erhebliche Verluste, wobei der MSCI EAFE-Index und der S&P 500-Index vom Höchst- bis zum Tiefststand um 61,8 % bzw. 56,5 % fielen. Um den Auswirkungen der Finanzkrise entgegenzuwirken, kündigte die chinesische Regierung ein Konjunkturprogramm im Wert von mehr als 10 % ihres Bruttoinlandsprodukts an. Als Reaktion darauf kam es zu einer Outperformance der Schwellenländer gegenüber den entwickelten Märkten. Von seinem Tiefststand am 27. Oktober 2008 bis zum 4. November 2010 stieg der MSCI Emerging Markets-Index um 153,4 %, während der MSCI EAFE und der S&P 500 Index gegenüber ihren Tiefstständen vom 9. März 2009 um 83,8 % bzw. 79,5 % zulegten.
Ein Blick auf die Märkte von heute
Der wichtigste Unterschied zu früheren Krisen ist die Tatsache, dass gegenwärtig nahezu jedes Land weltweit betroffen ist. Gleichzeitig durchlaufen die Staaten unterschiedliche Phasen in Bezug auf Infektionsraten, Fallzahlen, bestehenden Schutz- und Beschränkungsmaßnahmen sowie die Einhaltung dieser Verordnungen. In dieser Hinsicht hinken viele Entwicklungsländer China, Korea, Europa und den Vereinigten Staaten hinterher. Als die Infektionszahlen in China ihren Höhepunkt erreichten, begann sich der Aktienmarkt des Landes wieder zu erholen. Heute zählt China zu einem der Länder, die im bisherigen Jahresverlauf am besten abgeschnitten haben. Wir glauben, dass andere Länder diesem Beispiel folgen werden, wenn sich die Fallzahlentwicklung dort verlangsamt oder umkehrt. Da die Länder die Lockdowns Schritt für Schritt aufheben, ist es jedoch wichtig, auf Anzeichen für steigende Covid-19-Fallzahlen zu achten, die die Erholung der Aktienmärkte kurzfristig negativ beeinflussen könnten.
Schwellenländer-Aktien erlangen ihren Wert durch überdurchschnittliche Gewinnwachstumsraten und langfristige Wachstumsperspektiven. Insgesamt könnte der MSCI Emerging Markets-Index potenziell Alpha relativ zum US-Markt generieren, wenn eine Kombination aus Gewinnwachstum, Bewertung und Ertragsströmen die Entwicklungsländer begünstigt. In den letzten Jahren kam es jedoch zu keinem überragenden und zu keinem sichtbaren Gewinnwachstum, was zu einer relativen Unterperformance im Vergleich zu den USA führte.
Die sich wandelnde Natur der Schwellenländer
Gewinnwachstum und Bewertung hängen weitgehend von der Zusammensetzung des MSCI Emerging Markets-Index ab. Die Zusammensetzung ändert sich im Laufe der Zeit und wird durch folgende Faktoren beeinflusst: frühere Zyklen, wirtschaftlicher Entwicklungsstand und Kapitalmarktaktivitäten, einschließlich des Übergangs von Unternehmen von staatlichem in privates Eigentum und der Börsengänge von New Economy- sowie Unternehmergesellschaften (siehe Abbildung 1 und 2). Nach dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, das mit dem rasanten Wachstum Chinas und dem anschließenden Anstieg der Infrastrukturausgaben des Landes verbunden war, um die Finanzkrise 2008 zu kompensieren, waren die Rohstoffproduzenten, die Grundstoffindustrie und die Hersteller langlebiger Güter die eindeutigen Gewinner. Als jedoch zu Beginn des folgenden Jahrzehnts das Hochgefühl durch steigende Infrastrukturausgaben nachzulassen begann, verlagerte sich die Zusammensetzung des Schwellenländer-Index auf die Rohstoff- und Grundstoffindustrie. Darüber hinaus hatten viele Länder – allen voran China – das bis 2008 florierende Marktumfeld genutzt, um öffentliche oder quasi-öffentliche Banken, Unternehmen der Grundstoffindustrie und Versorgungsunternehmen zu privatisieren. Infolgedessen war der MSCI Emerging Markets-Index Anfang 2010 stark auf Rohstoffe ausgerichtet, wobei Energie sowie Grundstoffe fast die Hälfte des Index und rohstoffintensive Volkswirtschaften 57 % der Benchmark ausmachten.
Abbildung 1: MSCI Emerging Markets-Index – ausgewähltes Branchen-Exposure (in %)
Quelle: MSCI
Abbildung 2: MSCI Emerging Markets-Index – Top-5-Länder-Exposure (in %)
Quelle: MSCI
Zwar sahen die meisten Regierungen nach der Finanzkrise von einer Aufstockung weiterer Schuldverschreibungen ab, doch die Verschuldung im nichtfinanziellen bzw. nichtstaatlichen Bereich sowie die Kreditaufnahme auf der Ebene der Lokalregierungen und Provinzen nahmen im Falle Chinas deutlich zu. Das Ergebnis war eine Phase der Schuldenkonsolidierung und ein langsameres BIP-Wachstum als angenommen, das sich nach der Finanzkrise zunächst in den Industrieländern manifestierte und sich dann zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen 2010 und 2020 in den Entwicklungsländern fortsetzte.
Diese Kombination aus einem langsamer als erwarteten Wachstum in China und dem Rest der Welt sowie der starken Benchmark-Gewichtung in Richtung Rohstoffe in den Schwellenländern führte zu einem verlorenen Jahrzehnt für die Schwellenländer insgesamt. Ungeachtet dessen gab es dennoch einige Perlen bei den Wertpapieren.
Abbildung 3: Repräsentative Top-Index-Performer (10 Jahre bis 31.12.2019)
Name | Kumulierte Rendite (in %) |
Largen Precision | 1396 |
Tencent | 1038 |
Anta | 798 |
Taiwan Semiconductor | 686 |
TAL Education | 559 |
Quelle: MSCI
*Der Index ist der MSCI Emerging Markets-Index
Blick in die Zukunft
Wir glauben, dass die höhere Gewichtung von Sektoren, die im MSCI Emerging Markets-Index als Wachstumsunternehmen eingestuft werden, in Verbindung mit historischen Daten, die belegen, dass Aktien mit dem Ende von Krisen steigen, darauf hindeuten, dass die Schwellenländer eine potenziell attraktive Gelegenheit für Investoren darstellen, die nach langfristigem Kapitalwachstum suchen. Wie bei vergangenen Marktzyklen ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die zunehmende Verbesserung der Stimmung bei Investoren alle Bereiche gleichermaßen positiv beeinflussen wird. Deshalb glauben wir, dass für Investoren, die nach qualitativ hochwertigen Einzeltiteln mit soliden Fundamentaldaten suchen, die potenziell eine Outperformance erzielen, eine Research-orientierte Strategie am geeignetsten sein könnte.
Gregory M. Jones, CFA, Senior Vice President, Portfolio Manager & Pragna D. Shere, CFA, Senior Vice President, Portfolio Manager, Alger, ein Partnerunternehmen von La Française