Eine weitere Kriegswoche liegt hinter uns und aus Aufregung – die direkt Betroffenen nehmen das natürlich völlig anders war – wird Alltag, das gilt vor allem für die Märkte. Die Extremszenarien sind weitestgehend wieder ausgepreist, wobei diskutiert werden kann, ob nicht, sollten die Berichte über die Schwächen der russischen Armee stimmen, der Einsatz von noch unverhältnismäßigeren Mitteln oder die Wahrscheinlichkeit eines gröberen Fehlers nicht eher steigt. Aber wollen wir mal glauben, dass es nicht so ist. Eine Lösung des Konflikts in absehbarere Zeit scheint immer unwahrscheinlicher und die moralische Frage, der sich Präsident Zelenzky spätestens von zukünftigen Generationen wird gegenübersehen, wie viel zivile Opfer zu tolerieren sind, um die territoriale Integrität der Ukraine vor 2014 wiederherzustellen, wird immer hörbarer.
Der alte amerikanische Grundsatz, mit Terroristen nicht zu verhandeln, ist sicherlich ein guter und sinnvoller, wenn´s dann aber um die eigene Mama etc. geht und aus der Abstraktion plötzlich Realität wird, verschieben sich wohl die moralischen Ansprüche. Wie viele meiner Kinder bin ich bereit für Haus und Hof zu opfern? Meine Antwort wäre recht rasch gefunden, insbesondere dann, wenn der halbe Hof eh schon den Kindern meines Bruders gehört. 😉 Was aber natürlich nicht die Verpflichtung nimmt, sich die Sache bis zum Schluss selbst anzuschauen. Das gesagt, dürfte mit denselben handelnden Personen auf beiden Seiten, unabhängig von ihren moralischen, gerechtfertigten oder auf der anderen Seite eben nicht gerechtfertigten Standpunkten, wohl keine friedensbringende Lösung mehr erzielbar sein, fürcht ich.
Verlassen wir also geographisch und gedanklich das schwierige Terrain und begeben uns dorthin, von wo man sagt, dass weder Moral noch Ethik, die treibenden Kräfte sind. Nein, nicht in die USA 😉, auf die Finanzmärkte. Da die Aktienmärkte ja sowieso seit 2008 ihr eigenes, von der Realität nur am Rande tangiertes Ding tun, lassen wir die links liegen und springen schnurstracks auf die US-Zinskurve. Hier bewegt sich bzw. hat sich in den vergangenen Tagen ja einiges bewegt und es scheint, als wäre J. Powell nicht geneigt (for a good reason!) hier kurz- bis mittelfristig mehr Ruhe hineinzubringen. Er hat es dabei aber auch alles andere als leicht oder wie es in einem gestrigen Bloomberg Morning Mail gestanden ist: The bond market suggests that the chance the central bank can engineer a soft landing is fading by the week, with the war in Ukraine exacerbating the inflationary pressures.
Wie wir wissen, haben zum einen die Energiepreise, ob der niedrigeren Steuern in den USA, einen viel direkteren Einfluss auf die Inflation und zum anderen scheint sich die Lohn-Preisspirale jenseits des Atlantiks schon deutlich schneller zu drehen. Das wiederum macht ein beherztes Erhöhen der Zinsen notwendig, um ein bisserl Druck aus dem Kessel zu nehmen und da befinden wir uns dann im Balance Akt zwischen Abstechen und Überhitzen. Erschwerend kommt hinzu, dass man hier einen Gehirntumor mit dem Küchenmesser im Halbdunklen operieren muss, man also schon ein bisserl Glück braucht, den Patienten nicht zu verlieren. Aktuell scheint der Markt Hin und Her gerissen zu sein, ob das was wird oder nicht. Jedenfalls dürfte bei rund 2,5% eine nahezu magische Barriere liegen, zu der zwischen 3 und 10 Jahren alles konvergiert.
Will man eine, von Vielen als Indikator für eine Rezession interpretierte, Inversion der Zinskurve sehen, ist der Weg dahin dann natürlich auch nicht mehr weit. Wobei da eine gewisse Unsicherheit unter manchen Beobachtern zu herrschen scheint, ob eine invertierte Zinskurve eine Rezession bedingt oder umgekehrt. 😉 Noch ist jedenfalls alles drin und wenn sich die Post-Covid´sche Aufbruchsstimmung etabliert und wir es doch, wie es einer unserer Lieblingsmanager vor ein paar Wochen gemeint hat, mit den Roaring Twenties des 21sten Jahrhunderts zu tun bekommen, wird sich die Kurve in den hinteren Bereichen, wohl nach oben verschieben und alles wird gut. Nur halt nicht für die, die lange Staatsanleihen halten, denen stehen dann mittelglückliche Zeiten bevor.
Mittelglücklich sind natürlich auch die Anleihen-Investoren in Europa mit steigenden Zinsen, mit dem zusätzlichen ungünstigen Faktor, dass hier das Wirtschaftswunder noch deutlich schwerer zu finden ist, als in den USA. Die ganzen europäischen Probleme, die ja schon vor dem russischen Angriff da waren und nur von der durchaus überraschenden Einigkeit gegen einen externen Feind überdeckt wurden bzw. werden, sind hinlänglich bekannt. Ob und wie sehr die EZB also den gleichen Weg gehen kann, wie die FED und zur Bekämpfung der Inflation die kurzfristigen Zinsen anheben wird, ohne die Südeuropäischen Staaten damit in die Bredouille zu bringen, werden wir sehen. Fix ist, dass das lange Ende der Zinskurve keine Freude mit Inflation hat und auch wenn 0,50% Verzinsung für deutsche zehnjährige Staatsanleihen absolut nicht viel ist, hat man mit der korrespondierenden Anleihe seit August 2021 bereits mehr als 8% Verlust gemacht.
Wenn wir uns jetzt die durchschnittlichen österreichische Pensionsveranlagung anschauen, die wahrscheinlich rund zwei Drittel in europäischen Staatsanleihen längerer Laufzeit veranlagt ist (bitte es geht hier nicht um die detaillierte Allokation! 😊) und mit den Aktieninvestments heuer marktbedingt bisher auch kaum Glück gehabt haben wird, wird das für die Pensionisten bzw. für deren Ansprüche heuer nominell, wenn nicht noch etwas ganz Superes passiert, kein brüllendes Jahr. Ziehen wir davon dann noch zwischen fünf und acht Prozentpunkte Inflation ab, real noch viel weniger. Naja, und wollen wir dann noch den Prognosen der Demographen glauben, dass die ganzen Boomer jetzt auch noch in Pensionen gehen, braucht man kein Mathematiker zu sein, um festzustellen, dass da immer weniger Kaufkraft für immer mehr Menschen übrigbleibt.
Was bleibt uns also: Ora et labora et lege! Wobei ich persönlich den Fokus ganz klar auf 2. und natürlich jeden Mittwoch auch auf 3. legen würde. 😉
Florian Gröschl, Geschäftsführer und Miteigentümer der Absolute Return Consulting GmbH
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