Gröschls Mittwochskommentar: 23/2022

Der wöchentliche Blick auf die Märkte, (Geo-)Politik, Known Unknowns und andere wichtige Entwicklungen. Verfasst von e-fundresearch.com Gastautor Florian Gröschl, Geschäftsführer und Miteigentümer der Absolute Return Consulting GmbH. Markets | 08.06.2022 11:15 Uhr
Florian Gröschl, Geschäftsführer und Miteigentümer der Absolute Return Consulting GmbH / © e-fundresearch.com & interfoto
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Heute wollen wir wieder einmal zumindest hauptsächlich über das Tier (den Markt) - nein nicht in mir ;-) - als schwarm-intelligente Wesenheit sprechen. Zu esoterisch? Sind wir doch alle Daten-getriebene, toughe Analysten, die von Fakten gelenkt unsere mehr oder weniger großen Schifferln durch den Ozean der Tränen steuern. Nicht immer, fürcht ich allerdings. 

Mitte Mai waren zB die Stimmen die lautesten, die nach einem Kapitulationsmove im Markt gerufen haben, denn was ist das schon für eine Korrektur, wenn am Ende nicht zumindest einige die Patschen strecken? Nun, zum einen ist aufgeschoben natürlich nicht aufgehoben und zum anderen finden angesagte Bewegungen in den seltensten Fällen statt. Wir alle kennen sicherlich mehr als einen Markt-Aficioando, der im Brustton der Überzeugung – und das gilt für genau jede Korrektur – in die Welt gerufen hat: Zehn Prozent tiefer steig ich dann ein. Needless to say, dass die restlichen Spieler auch nicht ganz blöd sind und solche Positionierungen vorwegnehmen und die Geschichte bei minus fünf, sechs, sieben, acht Prozent erledigt ist, der Markt dreht und es entweder heißt, dann hinterher zu hecheln oder sich wieder der Gartenarbeit zu zuwenden…

Aus psychosozialen Aspekten besonders spannend sind transitorische Marktphasen, während derer es nicht nur gilt, die ökonomischen Zeichen der Zeit einigermaßen richtig zu deuten, sondern auch was der Schwarm daraus zu machen geruht. Notabene bewegen wir uns hier eher im kurzfristigen Bereich, weil in the long-run wir eh alle Keynes folgen bzw. mittelfristig sich Markt und Ökonomie, so nicht eines von beiden manipuliert oder überreguliert wird, in die gleiche Richtung bewegen sollten. Aber zurück: Die Frage, die sich momentan bei der Veröffentlichung jedes Datenpunktes stellt ist: Sind good news heute good news, oder aber sind ökonomisch positive Zahlen doch eher marktbelastend?

Das Rational hinter dieser vermeintlichen Schizophrenie ist, bezogen auf den aktuellen Zinsanhebungszyklus, relativ leicht erklärt (auf der Meta-Ebene ;-)): Gute Zahlen (zB mehr neu geschaffene Stellen als erwartet) könnten bedeuten, dass die Fed, um in den USA zu bleiben, die EZB scheint ohnehin eher die Gerda Rogers zu befragen, die Zinsen aggressiver erhöhen muss, um die Inflation einzufangen, als das bisher eskomptiert war. Das wiederum würde aber Finanzierungen für Unternehmen zukünftig verteuern, Alternativinvestitionen in zinsbringende Anlagen begünstigen und insbesondere für Big-Tech und andere „Long-Duration-Assets“ die Diskontierungsfaktoren erhöhen und mithin den kalkulatorischen Fairvalue stärker nach unten drücken als bei anderen Werten. 

Was aber, wenn der Markt kurzfristige Indikatoren, insbesondere wenn diese, wie es bei Arbeitsmarktdaten eigentlich sein sollte, nachlaufend sind, überbewertet bzw. missinterpretiert, die FED da hindurchschaut und wir eh schon an der Spitze des Eisbergs angekommen sind? Na dann wär, so der Schwarm sich für Variante 1 (gute Zahlen sind eigentlich schlechte Zahlen) entscheidet, es eigentlich eine Kaufgelegenheit.  Wir sehen also – und auch das ist keine Neuigkeit ;-) – die ganze G´schicht ist furchtbar kompliziert. Was tut also der geneigte Anleger, wenn er nicht mehr weiter weiß (und grade keinen Arbeitskreis bilden kann *lol*), er zieht sich auf Spruchweißtümer, Gemeinplätze und absolute Wahrheiten zurück. Zeitloser Beliebtheit (so oder in ähnlicher Form) bei Portfoliomanagern, Beratern etc erfreuen sich zB: Bitte, wir investieren hier und zocken nicht kurzfristig herum. Der Markt hat immer recht. Market Timing funktioniert sowieso nicht und so weiter und sofort. 

Stimmt natürlich alles und wird sich auch nicht ändern - so lange wir irgendwelchen mehr oder weniger sinnvollen Vergleichsindizes hinterherjagen bzw. diese dazu benutzen, um unser Performance zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang mag ich bei Aktiennahen Investments persönlich am liebsten: Der Großteil der Underperformance kommt aus dem Stockpicking, aber aufgrund unseres ESG Ansatzes haben wir außerdem ein strukturelles Untergewicht zu Energie etc. und der Sektor ist im letzten Quartal besonders gut gelaufen. Natürlich auch vollkommen richtig, nur eigentlich vollkommen wertlos. Weil entweder der Investor weiß, was er kauft und wie es funktionieren wird oder aber sie will den Markt, aber dann sollte es wohl doch lieber ein ETF sein. Anzunehmen, dass ein Vehikel das zB 50 Titel im Portfolio hat immer und in jeder Marktphase das gleiche (oder mehr) macht, wie der aus 2000 Aktien bestehende Index, scheint schon ein bisserl naiv oder? 

Möglicherweise wäre es also Zeit, hier über einen ein wenig veränderten Ansatz nachzudenken, könnte es doch sein, dass nach 15 Jahren Geldgeschenken und Marktmanipulation ein neues-altes Zeitalter anbricht, in dem es wieder mehr darauf ankommt, was etwas wert ist und nicht ausschließlich, wo der Preis morgen liegen wird. :-)

Auf die Gefahr hin längenmäßig zu überziehen, noch eine kurze Markteinschätzung, wobei diese, wie natürlich grundsätzlich das gesamte Mittwochsmail :-), primär der Selbstreflektion dient: Die Inflation in den USA und mithin auch in Europa sollte auf dem aktuellen Niveau zumindest ein Plateau finden. Angebot- und nachfrageseitige Faktoren, sollten hier eine gleichermaßen beruhigenden Wirkung haben. Die Zentralbanken werden so aggressiv wie nötig, aber so akkommodierend wie möglich vorgehen, ob die EZB die Kurve kriegt, ist nicht sicher. Möglicherweise reicht aber der Einfluss der FED aus, um zumindest die Finanzmärkte nicht kollabieren zu lassen. Am Donnerstag(morgen) wissen wir da möglicherweise schon mehr. Wenn sich der Staub der ersten Zinserhöhungen gelegt hat, werden wir im Herbst eine Ergebnis offene Re-Evaluierung sehen, möglicherweise gibt´s ja dann doch noch den allseits erwarteten Kapitulationsmove. 

Zum Stichwort: Das Sterben in der Ukraine muss jetzt enden. Dieser Krieg kann nur von der westlichen, demokratischen Wertegemeinschaft am Verhandlungstisch beendet werden! Alles andere würde einen regionalen Schrecken ohne absehbares Ende oder ein überregionales Ende mit Schrecken für ganz Europa bedeuten. 

Live long & Prosper! 

Florian Gröschl, Geschäftsführer und Miteigentümer der Absolute Return Consulting GmbH

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