In einer Welt, die vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, fortgesetzten Unterbrechungen der Lieferketten und anhaltenden Risiken durch Covid-19 von geringem Wachstum und hoher Inflation geprägt ist, haben Anleger weiterhin mit vielen Unsicherheiten zu kämpfen. Hierzu gehören Risiken wie eine mögliche Rezession in der Eurozone, insbesondere falls der Krieg in der Ukraine weiter eskaliert sowie eine möglicherweise übertriebene geldpolitische Straffung der US-Notenbank, die die größte Volkswirtschaft der Welt ausbremst. Bei so vielen Unsicherheiten werden Anleger verständlicherweise nervös, wenn es um die künftigen Unternehmensgewinne und die Anlagerenditen geht.
Hinter all den beunruhigenden Schlagzeilen verbergen sich jedoch auch beträchtliche langfristige Chancen, die sich in diesem Zeitalter der Umbrüche ergeben. Sowohl Russlands Einmarsch in die Ukraine als auch die Pandemie haben dazu geführt, dass Unternehmen ihre Produktion zunehmend näher an ihre Heimatmärkte verlagern, was wiederum größere Investitionen auf der Angebotsseite der heimischen Wirtschaft zur Folge hat. Zudem treiben Unsicherheiten im Energiesektor die Energiewende voran. Und obwohl die erste Jahreshälfte für Technologieaktien schwierig war, könnten Themen wie Cybersicherheit, Robotik und Automatisierung weiter Fahrt aufnehmen.
Diese Ansicht vertreten Robin Beugels, Leiter Investment Management, und Chefstratege Robert Greil bei Merck Finck (Teil der Quintet Private Bank). Der europäische Vermögensverwalter veröffentlicht diese Woche seine „Counterpoint“-Publikation zum Halbjahr mit Prognosen zur Weltwirtschaft, den Finanzmärkten und den wichtigsten Anlageklassen. In diesem Marktausblick – der auf der Erwartung eines weltweiten Wirtschaftswachstums von 3,3 % im Jahr 2022 basiert (gegenüber 5,8 % im Jahr 2021) – werden fünf grundlegende Trends vorgestellt und erläutert, welche Folgen sich daraus für Anleger ergeben könnten.
Beugels und Greil verweisen auf eine Reihe von Mikro- und Makrotrends, die sich nach dem Ausbruch der Pandemie und dem Beginn des Krieges in der Ukraine beschleunigt haben und in folgenden Themenbereichen voraussichtlich zu bedeutenden Umbrüchen führen werden:
1. Unternehmen | Wenn es hart auf hart kommt
Die besten Unternehmen können in Zeiten der Unsicherheit, so wie heute, gedeihen, indem sie beispielsweise die Saat für die nächste Wachstumsphase ausbringen. Dies erfordert eine langfristige Perspektive und Flexibilität – insbesondere finanzielle Flexibilität. „Aus diesen Gründen geben wir Unternehmen mit starken Bilanzen und einem hohen freien Cashflow den Vorzug“, sagt Robin Beugels. „Finanzielle Stärke verleiht qualitativ hochwertigen Wachstumsunternehmen die nötige Flexibilität, die es ihnen ermöglicht, in einem Konjunkturtief weiter zu investieren.“
2. Branchen | Rückverlagerung, Wiederherstellung und Rückversicherung
Regierungen und Unternehmen bemühen sich aktiv, die Schwachstellen, die in den letzten Jahrzehnten durch Offshoring und unausgewogene wirtschaftliche Verhältnisse entstanden sind, zu beseitigen. „Dies wird zu erheblichen Investitionen in strategisch wichtigen Branchen führen, die widerstandsfähigere Lieferketten, eine verbesserte nationale Sicherheit und eine umfassendere Energieunabhängigkeit zum Ziel haben“, betont Robert Greil. „In den Schwellenländern hat sich China lange Zeit darauf konzentriert, seine Volkswirtschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen, sich stärker auf die Binnennachfrage zu konzentrieren und seine industriellen Wertschöpfungsketten zu verbessern.“ Für Merck Fincks Chefstrategen dürften diese Trends im nächsten Jahr wichtige Treiber für die Aktienmärkte sein.
3. Die Wirtschaft | Mit der Inflation leben
Es wird erwartet, dass die weltweite Inflation im Gesamtjahr 7,8 % erreichen und sich dann 2023 auf etwa 5 % abschwächen wird. Auch wenn dies über dem Niveau des Jahrzehnts vor der Covid-19-Pandemie liegt, das von Sparmaßnahmen und Bilanzsanierungen geprägt war, dürften die Zentralbanken nach mehreren Leitzinserhöhungen in diesem Jahr in der Lage sein, das Tempo ihrer Straffungen im nächsten Jahr zu verlangsamen: „Auf lange Sicht ist es unwahrscheinlich, dass einer Inflation, die aus der Energiewende und lokalen Lieferketten resultiert, mit anhaltend signifikanten Leitzinserhöhungen begegnet wird“, so Greil.
4. Energie | Erneuerbare und verlässliche Energie
Sowohl fossile Brennstoffe und als auch saubere Energie haben sich seit dem Einmarsch in die Ukraine im Februar besser entwickelt als der Markt. In einer Zeit, in der sich die Märkte auf die kurzfristige Notwendigkeit einer sicheren Energieversorgung konzentrieren, ist dieses Konzept der Risikominimierung sicher sinnvoll. Wenn die Begeisterung für fossile Brennstoffe nachlässt, werden sich die Anleger jedoch langfristig auf saubere Technologien konzentrieren. „Aktien aus dem Bereich saubere Energie haben sich seit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 besser entwickelt als der Markt“, sagt Beugels. „In diesem Jahrzehnt könnte die Divergenz zwischen Aktien aus dem Bereich saubere Energie und Aktien aus dem Bereich fossile Brennstoffe, die in den letzten zehn Jahren unterdurchschnittlich abgeschnitten haben, sogar noch deutlicher hervortreten.“
5. Technologie | Mit Volldampf durch dick und dünn
Die globalen Technologieaktien sind zwar dabei, den drastischsten jährlichen Rückgang seit 14 Jahren zu verzeichnen, jedoch gibt es gute Gründe für langfristig orientierte Anleger, Themen, die mit Technologie in Verbindung stehen, weiterhin überzugewichten, insbesondere im Rahmen eines diversifizierten Ansatzes. „Die größten Herausforderungen – Klimawandel, Energieunabhängigkeit, Pandemierisiken, Lebensmittelsicherheit und die Resilienz der Lieferketten – können alle potenziell durch Technologie gelöst werden“, sagt Greil. „Auch stehen einige der spannendsten neuen Chancen in Verbindung mit Technologie, wie etwa das Metaversum, künstliche Intelligenz, selbstfahrende Autos und die Genomik. Die langfristigen Aussichten für Technologie und Innovationen bleiben vielversprechend.”